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"Glückliche Liebesgeschichten hören wir sehr selten"

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In Afghanistan wird gerade die erste Generation nach der Talibanherrschaft erwachsen und entdeckt die romantische Liebe für sich – und das Internet und seine vielen Flirt-Möglichkeiten. Wie ist es, sich in einer immer noch konservativen und streng muslimischen Gesellschaft zum ersten Mal zu verlieben? In der (extrem beliebten) Radiosendung "The Night of the Lovers" auf dem Kabuler Sender Arman Radio FM erfährt man davon, denn dort erzählen junge Afghanen ein Mal in der Woche ihre Liebesgeschichten.

Ajmal Noorzai, 25, moderiert seit sechs Jahren bei Arman Radio. Seit einem Jahr ist er der Host von "The Night of the Lovers". Im Interview spricht er über gebrochene Herzen, Morddrohungen auf Facebook und Frauen, die für Sex vor der Ehe ins Gefängnis kommen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ajmal Noorzai

jetzt.de: In Afghanistan wurden Hochzeiten lange Zeit von der Familie arrangiert. Das Konzept „romantische Liebe“ ist also noch relativ neu, oder?
Ajmal Noorzai: Auf dem Land, in den Provinzen gibt es immer noch keine Liebeshochzeiten. Dort haben die Frauen keine Rechte, die Familie sucht ihnen ihre Ehemänner aus. Hier in Kabul hat sich das in den vergangenen Jahren geändert, jeder hier kennt mittlerweile Paare, die aus Liebe geheiratet haben, in der eigenen Familie oder der Nachbarschaft, und die jungen Menschen lernen langsam, damit umzugehen. Viele Beziehungen laufen aber über das Smartphone oder Facebook ab. Manchmal verliebt sich darum jemand auch nur in die Vorstellung von einer anderen Person. Vor allem die afghanischen Jungs suchen im Internet und über das Telefon nach Mädchen, nur, um mit ihnen zu schlafen.

Seit wann gibt es „The Night of the Lovers“?
Seit dem Valentinstag 2014. Unser Sender-Manager Sameem Sadat kam auf die Idee, als er auf dem Heimweg Jungs und Mädchen gesehen hat, die telefonierten und lachten. Sie wirkten verliebt, so, als ob sie mit ihrem Freund oder ihrer Freundin sprechen würden ­– und da dachte Sameem, es wäre schön, wenn sie ihre Geschichten erzählen könnten.

Wer ruft denn bei dir in der Sendung an?
Hauptsächlich Mädchen im Teenageralter.

Und wie viele?
Wir ermitteln das nicht genau und haben keine Studien dazu – aber die Telefone klingeln und klingeln. Ich denke, wir bekommen jede Woche etwa 90 bis 100 Anrufe.

Was erzählen die Anrufer so?
Meine liebste Geschichte war die von einem Paar, das sich am Telefon verliebt hat. Aber irgendwann hat sie ihn einfach nicht mehr erreicht. Als das Mädchen die Geschichte erzählt hat, hat sie dabei sehr geweint. Ich musste sogar selbst weinen...

Passiert dir das öfter?
Manchmal. Weil die Geschichten einfach zu traurig sind. Glückliche Liebesgeschichten hören wir sehr selten – Liebe bedeutet nun mal gebrochene Herzen.

"Manche Menschen schreiben Nachrichten, dass sie uns umbringen wollen"

Als Moderator so einer Sendung musst du sicher das Vertrauen der Zuhörer gewinnen – damit sie dann anrufen und ihre Geschichte erzählen.
Ja. Sameem rief mich an, erklärte mir das Konzept der Sendung und sagte: Ich will dich als Host, weil du auch Fernsehmoderator bist, die Mädchen kennen und mögen dich und vertrauen dir, sie werden dir ihre Geschichten erzählen. Und ich war selbst grade verliebt und hatte Erfahrung damit, konnte die Gefühle der Verliebten also gut nachvollziehen...

http://vimeo.com/118958255 Aus einer der Geschichten, die bei "The Night of the Lovers" erzählt wurden, ist ein animierter Kurzfilm entstanden.

Du moderierst die Sendung zwar, gibst den Anrufern aber keine Tipps, wie man das aus Call-in-Shows bei uns kennt. Wieso nicht?
In einem traditionellen Land wie Afghanistan würde es Probleme geben, wenn wir ihnen Tipps geben. Vor allem viele Männer hier mögen solche Ratgeber-Shows nicht und würden dafür sorgen, dass wir abgesetzt werden. Darum soll die Show nur eine Plattform für Geschichten über die Liebe sein. Die Anrufer können hier ihr Herz ausschütten. Und es hilft ihnen, die Geschichten anderer zu hören.

Ihr sendet die Geschichten aber nicht live.
Nein, wir haben ein automatisches Aufnahmesystem. Unsere Hörer rufen dort an und ihre Geschichte wird aufgezeichnet. Im Radio kündige ich sie an, dann wird sie gesendet. Allerdings meistens mit geänderten Namen. Man kann seine Geschichte auch per Mail oder Facebook einreichen, dann wird sie von einer Moderatorin vorgelesen. Und nach jeder Geschichte spielen wir ein Lied, das thematisch dazu passt.

Eure Sendung gefällt sicher nicht allen, oder?
Manche Leute schicken uns Nachrichten oder schreiben böse Kommentare, wenn wir Geschichten auf Facebook posten: dass wir die Show absetzen sollen, dass sie die Menschen zum Sex verführt, dass sie uns umbringen wollen und wir schamlos sind und so weiter.

Und für afghanische Frauen ist es sicher besonders schwierig, offen über ihr Liebesleben zu sprechen.
Ja, aber das verändert sich langsam. Und bei uns anzurufen ist für sie ganz ungefährlich, durch die geänderten Namen kann sie ja niemand erkennen.

Ihr habt auch Frauen besucht, die wegen „moralischer Vergehen“ im Gefängnis sitzen, und sie ihre Geschichte erzählen lassen. Was ist ihnen passiert?
Laut Islam und afghanischem Recht sollen Mädchen bis zur Hochzeit jungfräulich bleiben. Wenn sie ihre Jungfräulichkeit vorher verlieren, will niemand sie heiraten oder sie kommen sogar ins Gefängnis. Im Frauengefängnis von Kabul haben wir Frauen besucht, die dort sind, weil ihnen so etwas passiert ist. Zum Beispiel, weil ihnen ein Mann seine Liebe geschworen hat, sie Sex hatten und der Mann sie danach verlassen hat. Die Familie hat ihn dann von der Polizei festnehmen lassen und zur Hochzeit gezwungen. Die Geschichten, die uns diese Frauen erzählt haben, sind eine Art Warnung für andere Verliebte – wir wollen ihnen mit unserer Sendung zeigen, was wahre Liebe ist und was nicht.

Text: nadja-schlueter - Foto: oH

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