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Fotograf Wolfgang Tillmans über die Bösen, den Generationenkonflikt und Ecstasy

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Wolfgang Tillmans Herr Tillmans, Sie sind Ende der 60er Jahre geboren, ich Mitte der 80er. Worin unterscheiden wir uns? Der Hauptpunkt ist, dass ich vielleicht noch der letzte Jahrgang bin, in dem Eltern mit Popkultur noch überhaupt nichts zu tun hatten, dem Ganzen also von Grund auf fremd und feindlich gegenüberstanden, weil sie es überhaupt nicht selber kannten. Dadurch hatte man also von vornherein immer die Möglichkeit, sich abzusetzen. Ich hatte keine Eltern, die jung sein wollten. Die Idee von Eltern als Freunden, mit denen ich auf ein Rockkonzert gehe und mit denen ich eine Kultur teile, war überhaupt nicht vorhanden. Jeder für sich konnte also seinen eigenen Raum aufmachen, in dem nicht schon die ganzen Eltern saßen. Ich denke, ihr seid zu bedauern, dass ihr so eine natürliche Abgrenzung nicht habt. Es ist natürlich auch das erste Mal, dass ich von „euch“ rede, dass mir das „Anders-Generationsartige“ aufgezwängt wird. Angesichts eines Geburtsdatums von 1985, das mir unglaublich vorkommt, muss ich das aber auch kampflos hinnehmen. Ich sehe mich auch heute nicht als alt an, auch nicht als Mittel-Alter. Diese endlos andauernde Jugend, die wir uns nehmen, ist wahrscheinlich merkwürdig für euch, vielleicht ist es auch toll. Aber das kriegt ihr auch nicht weg. Ihr könnt nichts daran ändern, dass eben alle jung sind. Die Rolling-Stones mit 65 sind auch noch jung. Dieses Jung-Sein ist nicht mehr so eindeutig. Gleichzeitig wird heute immer mehr Erwachsensein von den Jungen gefordert, weil sie ständig konsumieren sollen. Wann mussten Sie das erste Mal selbst Verantwortung übernehmen? Ich persönlich habe für mich mit 18 oder 19 Verantwortung übernommen, als ich mich bemüht habe, eine Ausstellung zu machen, von zu Hause weggezogen bin und eine eigene Wohnung genommen habe. Ich habe mich damals in Hamburg nicht nur um die Zukunft, sondern um das Hier und Jetzt gekümmert, habe das ernst genommen und nicht auf die Zukunft verschoben. Damals habe ich nicht gedacht, das alles sei nur Probelauf. Ich habe nicht gewartet bis ich einen Abschluss hatte und mich dann erst ernst genommen. Auf der einen Seite ist es gut, dass man noch die 20er Jahre lustig und unbesorgt leben und lernen kann, und auf der anderen Seite muss man sich seiner Kraft bewusst sein. Was man mit 22 oder 24 macht, hat eben auch eine ganz besondere Kraft und Aufgabe. Ich kann nur vom Künstlerischen reden und sagen, dass ich eben auch ein paar meiner wichtigsten Dinge bereits in dem Alter getan habe und auch heute noch gut finde. Ich unterrichte als Professor in Frankfurt, und oft sehe ich da Leute mit 28, die überhaupt nicht das Gefühl haben, dass das, was sie jetzt tun, das Potential hat, bedeutend sein zu können. Sie haben bereits als Schüler begonnen, Bilder aus Zeitungen zu sammeln und zu dokumentieren, bis Sie dann selbst zur Kamera gegriffen haben. Vor allem das Hamburger Nachtleben und Ihre Freunde waren da Thema. Wollen Sie wichtige Augenblicke und Menschen auf diese Weise vor dem Vergessen bewahren? Nein. Der Gedanke des Bewahrens, Festhaltens und Besitzens kam mir nie. Es war eher das Gefühl, andere Leute damit anzustecken, was für eine tolle Welt das ist und das auch mitteilen zu wollen. Also kein In-Die-Vergangenheit-Kucken. Denn sobald man etwas bewahrt, denkt man ja schon an die Vergangenheit. Es war auf das Hier und Jetzt beschränkt. Erst heute, wo ich auf zwanzig Jahre Bilder schauen kann, wird mir der sammelnde Charakter bewusst. In einem Text über Ihre Bilder war zu lesen, dass deren Ästhetik im Banalen liege. Funktioniert Freundschaft für Sie nach einem ähnlichen Prinzip? Die Herausforderung von Beziehung und Freundschaft ist, dass man immer wach bleiben muss und nichts für selbstverständlich annehmen darf. Für mich ist es der weltgrößte Horror, dass ich in menschlichen Beziehungen etwas übersehen habe, dass ich jemanden verletzt habe, weil ich etwas nicht mitbekommen habe. Ich bin komischerweise auch noch nie richtig enttäuscht worden, weil ich da einen ziemlich guten Selbstschutz habe. Ich erwarte nichts von anderen, die Menschen müssen nichts für mich tun. Ich habe keinen Anspruch darauf, denn alles muss auf Gegenseitigkeit beruhen, und insofern kann ich nicht von jemand anderem enttäuscht werden. Wenn eine Freundschaft nicht klappt, bin ich da ein Teil davon, ich würde das nie jemand anderem vorwerfen. Diese normalen zwischenmenschlichen Probleme, wenn mal jemand nicht anruft oder so, das kann ich überhaupt nicht verstehen. Wenn sich Leute darüber aufregen, haben sie wohl ein langweiliges Leben und suchen ständig nach Dramatik. Leute, die besitzergreifend sind, halte ich mir fern. Eine Freundschaft, die ständig verbale Bestätigung braucht, kann nicht entspannt sein. Was ist das Schöne an einer richtig guten Freundschaft? Dass man über sich lachen kann. Dass man sich schamlos ausziehen kann – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Letzten Endes sind die natürlich die besten Freunde, denen man nichts vormachen muss. Ich feiere in meiner Freizeit auf diversen Festivals bei Konzerten von Maximo Park, The Hives und anderen Bands. Sie dagegen waren ein Fan der Technoszene und deshalb entstand 1992 auch eine Fotoserie über die Berliner Love-Parade. Was hat Sie an dieser Welt so fasziniert? Ich war vor drei Wochen in Mexico City, und da war auf dem riesigen zentralen Platz eine Indianergruppe, die Percussion machte. Man kann einerseits sagen Touristenquatsch, aber das waren schon halbwegs authentische Leute, die da Tänze aufführten und einen extrem harten Base-Drum schlugen. Ich habe nur daran gedacht, wie ähnlich das 1992 im „Planet“ war und dass Deutschland mal so etwas Unvernünftiges hatte. Ich habe mich daran erinnert, wie irre das eigentlich in diesem vernunftliebenden, rationalen Deutschland war, in dem alle Kunst und Musik handgemacht und ernsthaft sein muss. Damals wurde das neue Lebensgefühl nicht von Außen durch eine Rockgeste oder so gezeigt, sondern deine kreativen, gedanklichen Räume haben sich von Innen aufgemacht, wenn man die Trommel aufs Dach bekommen hat. Gerade dieses Meditativ-Monotone habe ich immer an Maschinenmusik gemocht. Die Härte schien irgendwie eine angemessene Reaktion auf die Welt zu sein. Diese Szene ist natürlich mit einem gewissen Umfeld untrennbar verbunden, z.B. mit Drogen... Bei den Drogen war ich in der glücklichen Lage, die guten Drogenerlebnisse abzuspeichern und nicht jedes Wochenende haben zu müssen. Du musst dir das so vorstellen: Als meine Freunde und ich das erste Mal Ecstasy genommen haben, 1988, dachten wir: Das muss jeder nehmen, das müssen wir unseren Eltern geben. Das ist so toll, das wird den Weltfrieden bringen. Ich weiß nicht, ob das dann tatsächlich so viel reineres MDMA war (Anm. d. Red.: chemische Verbindung, die zur Gruppe der Amphetamine gehört; Hauptinhaltsstoff des Ecstasy), aber wir glaubten damals wirklich, das würde die Welt verändern. Es war das Ende des Kalten Krieges, und wir hatten das Gefühl, es beginnt was Neues. Es war eine absolut positive Kraft und Energie. Zum ersten Mal gab es keine Prügeleien im Nachtleben, Hetero-Männer tanzten entspannt miteinander und ließen eine Nähe zu, die sonst nie möglich war. Das hat eine Weichheit gebracht und einen Statusdrang aus dem Nachtleben herausgenommen – es ging eben nicht um Kleidung und Schicksein. Seit dieser Zeit sind auch noch andere Drogen erschienen, aber die hatten nicht diese Durchschlagkraft. Es war einfach eine neue Droge verfügbar, die irgendwie den Zeitgeist getroffen hat und die Leute unlogische Dinge tun ließ - in einer psychologischen Weise, die sehr befreiend war. Aber die eine Hälfte will immer mehr haben und kommt nicht damit klar, dass Ecstasy eben leider nie so gut ist wie beim ersten Mal. Außerdem werden oft die negativen Seiten übersehen … Die da wären? Ich hab einmal eine schlechte Pille gehabt, in der LSD drin war. Wenn man dann halluziniert, ohne es zu wollen, ist das sehr beängstigend. Oft sind die Themen Ihrer Bilder ja auch hochgradig politisch, wie zum Beispiel Ihre Ausstellung „Soldiers - The Nineties“, die junge Soldaten in Uniform zeigt. Wie politisch muss jeder einzelne von uns sein? Die Notwendigkeit, etwas zu tun, ist ja leicht zu erkennen. Man muss nur mal einen Kilometer über die Grenze nach Polen schauen, wo der Präsident super-homophob vorgeht, oder nach Italien, wo die katholische Kirche aktiv in die Innenpolitik eingreift und gleichgeschlechtliche Partnerschaften verbieten will. Du musst nur die Augen aufmachen und du siehst, dass schlechte, böse Menschen jeden Tag am Werke sind, das Leben anderer Menschen schwerer zu machen. Jeden Tag arbeiten Männer daran, den Körper von Frauen zu kontrollieren. Wenn du nichts dagegen tust, werden die morgen daran weiterarbeiten. Deswegen sind die 90er Jahre eine trügerische Zeit gewesen, denn wir glaubten damals, dass mit Bill Clinton als Präsident neue Zeiten aufgezogen würden - nach Reagan und Bush. In Wirklichkeit hat zu dieser Zeit die religiöse Rechte aufgeholt und jeden Tag daran gearbeitet, Frauen- und Schwulenrechte zurückzudrehen. Dasselbe ist auch in Deutschland der Fall. Man darf sich nicht täuschen lassen, wenn Feinde sich nicht feindlich geben und der Papst wie ein netter Intellektueller daherkommt. Denn der Mann arbeitet wirklich durchtrieben und böse daran, dein persönliches Leben zu beeinträchtigen. Viele Leute macht dieses Bewusstsein zwar traurig, aber das heißt noch nicht, dass sie tatsächlich selbst aktiv werden. Also ich finde zum Beispiel Leserbriefe-Schreiben eine wunderbare Sache, wenn man sich mal überlegt, wie viele Leute sie dann auch lesen. Einfach um zu fragen, warum alles immer blöder werden muss, warum immer schlechtere Musik gespielt wird, warum Kultursendungen immer kürzer werden und warum immer weniger Wortbeiträge im Radio laufen. Das Irre ist, wenn man sieht, was Aktivismus hervorgerufen hat. Die Sechziger und Siebziger Jahre sind meiner Ansicht nach eine riesen Erfolgsstory. Trotzdem muss man alles, was an gesellschaftlichem Fortschritt gewonnen wurde, immer wieder verteidigen. Man darf leider nicht glauben, dass das so bleibt. Auf den folgenden Seiten siehst du Bilder von Wolfgang Tillmans, die auch in der Münchner Ausstellung zu sehen sind.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Anders pulling a splinter from his foot (b/w), 2004; C-Print, 200 x 140 cm


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

shiny shorts, 2002; C-Print, 51 x 61 cm


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

inner sense


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lights (Body), 2002; Video, Sammlung Goetz


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

sportflecken, 1996; Inkjet-Print, 200 x 137 cm


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

untitled (Concorde) installation, 2007; Wandinstallation bestehend aus 12 unique C-Prints in Plexiglas-Rahmen


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Urgency XIV, 2006; C-Print, 237 x 181 cm


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

windfall, 2002; C-Print, 140 x 200 cm


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

rain, 2006; C-Print, 200 x 140 cm All images by Wolfgang Tillmans, courtesy Galerie Daniel Buchholz, Köln.

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