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"Fan-Fiction ist eine ernstzunehmende Literaturform" - Interview mit Vera Cuntz
Du sprichst heute über die Bedeutung von Fans und Fan-Fiction in der digitalen Wissenswelt. Worin liegt die? Viele von uns haben die Vision vom Web 2.0, vom Internet als Pfad zur Demokratisierung von Wissen. Und Fan-Fiction ist ein wichtiger Teil davon. Es geht darum, den kulturellen Kanon zu erweitern, den Blick nicht mehr ausschließlich auf den Künstler und seine Kunst zu richten sondern auch dem Rezipienten eine Stimme zu geben. Mit dem Internet entsteht ein riesiges Archiv, an dem sich jeder beteiligen kann und das nie abgeschlossen sein wird. Und wie bei Wikipedia arbeiten in der Fan-Fiction ganz viele Leute freiwillig, unbezahlt und mit hoher Energie daran, dieses Archiv zu erweitern.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Fans in der aktiven Ausübung ihrer Begeisterung: Hier bei der Veröffentlichung des Bandes 'Harry Potter and the Deathly Hallows' im Sommer 2007, Foto: reuters Wie bist du auf dieses Thema gekommen? Parallel zu meiner Magisterarbeit habe ich mich bereits mit dem Thema Fans beschäftigt. Und da kamen privates und wissenschaftliches Interesse zusammen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass ein großer Mangel in der deutschen Wissenschaft zu diesem Thema herrscht. Man tut sich da noch sehr schwer, sich mit dem Zuschauer auseinanderzusetzen. Woran liegt das? “Fan” hat einerseits immer den Anstrich von Mainstream-Kultur. Und andererseits geht die Ehrerbietung vor dem Kunstwerk verloren, wenn man sich mit Fans befasst, denn dann muss man automatisch auch darüber nachdenken, inwiefern der Fan Einfluss auf den Künstler und auf dessen Kunst hat. Dann lässt sich dieses Bild des Genies nicht mehr aufrecht halten, das irgendwo in einem Kämmerchen sitzt und sich das Kunstwerk ausdenkt. Du erforschst Fankulturen - musst Du dafür zum Beispiel auf Star Trek Conventions gehen? Ich untersuche die Fankultur vor allem in Internet. Zwar kenne ich auch Leute persönlich, die auf Conventions gehen, aber die zentrale Frage meiner Forschung ist die Fankultur im Netz. Dabei beschäftige ich mich vor allem mit den Produkten, die Fans kreativ im Netz anfertigen, also Fan-Fiction, Videos, Gedichte und Zeichnungen aber auch Reviews und Besprechungen. Und welche Fankulturen hast du dabei besonders im Auge? Star Trek ist gemeinsam mit Star Wars das erste große Massen-Fandom. Das beginnt so Ende der 70er Jahre mit Heften, die verschickt wurden und mit Fanclubs, die sich organisierten. Das sind die Startpunkte meiner Forschung. Im Bereich Film- und Fernsehen ist auch Harry Potter sehr stark, dabei sage ich bewusst Film, weil ich glaube, dass die Bücher allein nicht gereicht hätten, um ein so großes Publikum zu erreichen. Darüber hinaus gibt es ganz viel Material zu Fernsehserien wie Lost oder Heroes. Bevor ich dich nach deinen wissenschaftlichen Ergebnissen frage: Wenn du soviel mit Fans zu tun hast, hast du nicht den Eindruck, dass die ein wenig verrückt sind? Diesen Eindruck bekommt man bei ganz vielen Phänomenen, die sich in den neuen Medien abspielen. Wenn man sich Leute anguckt, die beispielsweise World of Warcraft spielen, entsteht dieser Eindruck bestimmt auch. Man hat einfach, wenn man sich ganz intensiv mit einem Produkt der Popkultur beschäftigt, schnell das Gefühl, dass es keinen gesellschaftlichen oder politischen Wert hat. Dabei muss ich aber sagen: Gerade im Bereich Fan-Fiction sehe ich durchaus eine politische Ebene. Das musst du erklären. Fan-Fiction ist eine Literaturgattung, die Texte umfasst, die rund um einen Film oder Serie von Fans geschrieben werden. Da gibt es zum Beispiel so genannte Drabbles, das sind Texte, die exakt 100 Worte lang sind, und die somit eine neue Literaturform bilden. Aber es gibt auch richtige Epen von hohem künstlerischem Wert, die mehrere Bände lang sind und zum Beispiel Spin-off-Geschichten zu Harry Potter sind. Und ich glaube, dass durch diese Form der Literatur für viele Fans eine Möglichkeit entstanden ist, Probleme zu artikulieren und eine Stimme zu haben. Hier können gesellschaftlich marginalisierte Inhalte thematisiert werden. Und durch die anderen Fans hat man automatisch ein Publikum und somit auch einen Bezugsrahmen. Und durch diese Fan-Fiction im Netz bekommen die Fans einen neuen Artikulationsraum, den es vorher nicht gab? Genau. Das Internet macht da einen Austausch möglich und so entstehen nicht nur neue Kontakte, es gibt auch die Möglichkeit, diese Texte zu verbessern. Ich halte Fan-Fiction nämlich für eine ernstzunehmende Literaturform. In Japan, wo das Urheberrecht etwas anders funktioniert, ist es beispielsweise gar nicht unüblich, dass Manga-Zeichner ihre Karriere mit Fan-Fiction beginnen. Und ich glaube, wir müssen uns bewusst machen, dass auch unsere Kultur schon immer davon gelebt hat, Ideen wiederzuverwerten - ohne dass das ein Diebstahl wäre. Wie reagieren denn die Künstler, deren Fans Fan-Fiction produzieren? Das ist ganz unterschiedlich. Viele Autoren und Filmemacher sehen das mittlerweile als sinnvolle Erweiterung und sind sich auch bewusst, dass die Fans ihre Produkte nutzen und ja auch Geld bezahlen. Gerade zu Star Trek werden von Seiten der Programmgestalter Wettbewerbe ausgeschrieben, an denen sich die Fans beteiligen können. Es gibt aber auch andere wie etwa Anne Rice (“Interview mit einem Vampire”), die wirklich versucht hat, einen Fan nach dem anderen zu verklagen. Und da findet man kaum noch Literatur im Internet. Hältst du das für richtig? Ich glaube es ist ein großes Kompliment, das man als Künstler bekommen kann, wenn ein Fan etwas so toll findet, dass er eine eigene Geschichte schreiben will. Und das tut in diesem Moment auch niemandem weh, es ist auch keine Konkurrenz, denn Fan-Fiction funktioniert ja nicht ohne den Originaltext. Deshalb glaube ich, das sollte man als Künstler nicht ignorieren. Wenn der Fan mit seinen Texten Geld verdienen will, ist natürlich klar, dass an den Ideengeber Geld abfließen muss. Jetzt verrate uns zum Abschluss noch, was du in deiner Dissertation eigentlich genau untersuchst. In meiner Dissertation geht es unter anderem darum, inwiefern eine homoerotische Komponente in den Harry Potter Filmen existiert, von den Fans aufgenommen und verarbeitet wird. Es gibt einen straighten also einen hetero-normativen Text und ich möchte herausfinden, wie es kommt, dass so viele Fans beispielsweise Harry ein homoerotisches Verhältnis andichten. Und die These, die ich beweisen möchte, ist, dass die Filme dies durch Andeutungen selber schon hervorrufen. Bist du eigentlich noch immer Harry Potter Fan oder hat die Forschung dir das ausgetrieben? Naja, ich bin auch immer noch Filmfan und trotzdem Filmwissenschaftlerin. Ich glaube, das geht durchaus zusammen. Denn eigentlich muss man als Wissenschaftler immer ein Stück weit Fan von dem sein, womit man sich beschäftigt.