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„Falsche Hoffnung ist eine zerstörerische Kraft“
jetzt.de: Passenger war ursprünglich eine Band, die sich aber vor fünf Jahren aufgelöst hat. Nach dem Auseinanderbrechen der Band musstest du dir Gedanken darüber machen, wie du Geld verdienen willst und hast dich dazu entschlossen, Straßenmusiker zu werden. Kannst du dich noch an die Zeit erinnern?
Mike Rosenberg: Das war eine schwierige Zeit. Wir haben zwar eine Platte aufgenommen, aber als Band nicht funktioniert. Das hört man dem Album auch an, die ist weder Fleisch noch Fisch. Kein wirklicher Pop, aber auch nicht interessant genug, um etwas anderes zu sein. Also haben wir uns aufgelöst. Gleichzeitig ist meine Beziehung in die Brüche gegangen und ich habe mein Haus verloren. Damals ist wirklich alles schief gelaufen, was hätte schief laufen können. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich keine Kohle mehr hatte und nicht wusste, wie es weitergehen soll. Ich hätte im Supermarkt arbeiten können, habe mich aber entschieden, es als Straßenmusiker zu versuchen. Und da habe ich schnell gemerkt, dass es auf der einen Seite finanziell funktioniert und ich auf der anderen Seite meine Songs unters Volk bekomme. Also bin ich durch Großbritannien gereist, habe tagsüber auf der Straße und abends in Pubs gespielt. Vier Jahre lang.
Was haben denn deine Eltern dazu gesagt, als du ihnen mitgeteilt hast, dass du deinen Lebensunterhalt als Straßenmusiker verdienen willst?
Die waren stolz auf mich. Sie haben ja gesehen, dass ich nicht bloß besoffen Oasis-Songs nachspiele, sondern es mir ernst damit ist. Und dass ich bereit bin, hart dafür zu arbeiten. Die haben mich voll und ganz unterstützt und sind natürlich wahnsinnig froh darüber, dass es gerade so gut läuft.
Ich nehme mal an, dass sie aber nicht so begeistert waren, als du mit 16 Jahren die Schule abgebrochen hast.
Nein, davon waren sie nicht so angetan. Welche Mutter freut sich schon darüber, wenn ihr Sohn die Schule schmeißt. Anfangs hatte meine Mom hart damit zu kämpfen, aber sie hat es überlebt. Und ich auch.
Ein „gewöhnlicher“ Job jenseits der Straßenmusik stand für dich aber nie zur Debatte?
Nein. Ich habe irgendwann die Entscheidung getroffen, mich voll und ganz der Musik zu widmen – egal, ob vor zehn Leuten im Pub oder vor 10.000 Leuten in einem Stadion. Glücklicherweise hat das funktioniert.
Hattest du manchmal Zweifel, dass das klappt?
Natürlich. Aber es hat mir geholfen, dass ich schon sehr früh viele der illusorischen Vorstellungen eines Musikerlebens aufgegeben habe. Viele junge Musiker träumen von Plattenverträgen, Groupies und Nummer-Eins-Hits, aber diese Dinge bedeuten mir nichts. Doch genau solche hoch gesteckten Erwartungen machen viele Musiker kaputt. Falsche Hoffnung ist eine zerstörerische Kraft.
Erfolg interessiert dich also nicht?
Ich möchte in erster Linie als Mensch erfolgreich sein, erst dann als Musiker. Wenn es mit der Musik gut läuft, ist das toll. Aber wenn du dadurch zu einem Arschloch wirst, hast du mehr verloren als gewonnen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mike Rosenberg, alias "Passenger"
Sprechen wir trotzdem mal über wirtschaftlichen Erfolg. Viele Menschen stellen sich unter einem Straßenmusiker einen verlotterten armen Schlucker vor. Du warst aber immerhin in der Lage, deine letzten vier Alben mit der Straßenmusik zu finanzieren. Wieso klappt das bei dir so gut und bei anderen nicht?
Schwer zu sagen. Die erste Platte „Wide Eyes Blind Love“ habe ich mit Freunden im Schlafzimmer aufgenommen – die hat gerade mal 200 £ gekostet. Davon habe ich auf der Straße aber mittlerweile 30.000 Stück verkauft. Zusammen mit den Verkäufen der anderen Alben und dem Geld, das ich durch Auftritte verdiene, bin ich ganz gut über die Runden gekommen.
Du hattest jahrelang keinen festen Wohnsitz und hast bei deinen Eltern, bei Freunden und in Hostels gepennt. Ich stelle es mir hart vor, überhaupt keinen richtigen Rückzugsort zu haben.
Das ist tatsächlich das härteste am Straßenmusiker-Dasein. Am Anfang war das noch nicht so ein großes Problem, da war die ganze Angelegenheit noch ein so aufregendes Abenteuer, dass ich gar keine Zeit hatte, darüber nachzudenken. Aber mittlerweile merke ich, wie wichtig es ist, sich auch mal zurückziehen zu können. Ich suche daher gerade nach einem kleinen Zimmer nur für mich allein.
Mittlerweile spielst du nicht mehr nur auf der Straße, sondern auch in großen Hallen, warst gerade sehr erfolgreich mit Ed Sheeran auf Tour. Da fragt man sich natürlich: Warum soll man für einen Auftritt von dir bezahlen, wenn du doch auf der Straße umsonst spielst.
Eine berechtigte Frage. Aber ein Konzert von mir ist etwas vollkommen anderes als ein Straßengig. Ein Konzert hat einen ganz anderen Vibe, ist viel fokussierter, das ist eben ein Event. Bei einem Straßenkonzert gibt es kein Konzept, da agiere ich spontan. Aber auch das hat seinen Reiz.
http://www.youtube.com/watch?v=xUaqwwq8PXo
Spielst du selbst denn lieber auf der Straße oder im Konzertsaal?
Ich liebe beides. Wenn bei schönem Wetter auf der Straße plötzlich 200 Leute um dich herum stehen und du diese Fremden von deiner Musik überzeugst, ist das ein unglaublich tolles Gefühl. Aber wenn Leute bewusst zu deinem Konzert kommen und deine Songs mitsingen können, ist das genauso schön. Das kann man nicht gegeneinander aufwiegen.
Dein Song „Let Her Go“ war auf Platz 1 in den Beneluxländern. Hast du eine Erklärung dafür, wieso der Song gerade in diesen Ländern so gut ankommt?
Einem Typen vom niederländischen Rundfunk gefiel meine Platte, also spielte er den Song im Radio – zwei Wochen später war ich mit „Let Her Go“ auf der 1. Daran sieht man, wie schmal der Grad zwischen Erfolg und Nicht-Erfolg manchmal ist. Eine einzige Person kann dafür verantwortlich sein, ob dein Song durch die Decke geht oder nicht. In diesem Fall ist mein Album zufällig in die Hände des richtigen Mannes geraten. Hätte er die Platte nicht gehört, würde mich in Holland immer noch keine Sau kennen.
Wie kommt man denn an die richtigen Leute heran?
Das ist die alles entscheidende Frage und hat viel mit Glück zu tun. Ich persönlich glaube aber daran, dass man sich Glück erarbeiten kann. Wenn man stets alles gibt, nett und freundlich ist, Gelegenheiten beim Schopf packt und Qualität abliefert, erhöht das zumindest die Chancen, mit seiner Kunst etwas zu erreichen.
Wie wichtig ist mittlerweile das Internet für einen Straßenmusiker?
Ich profitiere sehr von der Existenz des Internets und hätte es sicherlich um einiges schwerer gehabt, wenn ich 20 Jahre früher geboren worden wäre. Facebook und Twitter sind fantastische Tools, über die ich mich permanent mit Leuten austauschen, sie informieren und mit ihnen in Kontakt bleiben kann.
In einigen Städten gibt es klare Regeln darüber, ob man im öffentlichen Raum Musik machen darf. Informierst du dich, bevor du in eine Stadt fährst?
Sicher, aber die Infos im Internet unterscheiden sich oft stark von der Realität. Solange man sich an bestimmte Verhaltensregeln hält, gibt es nur selten Probleme.
Welche Regeln sind das?
Man sollte nicht fluchen, nicht zu laut spielen und nicht besoffen sein. Im Normalfall hat die Polizei vor Ort wichtigere Dinge zu tun als jemanden in Gewahrsam zu nehmen, weil er singt und Gitarre spielt.
Dennoch wirst du sicherlich die eine oder andere schlechte Erfahrung gemacht haben, oder?
Natürlich, mir ist schon alles widerfahren. Ich bin beleidigt, festgenommen und bestohlen worden – irgendetwas passiert immer. Es gibt immer jemanden, der dich nicht mag und seinen Frust an dir auslassen will.
Wie reagierst du darauf?
Mein Motto lautet: Kill Them With Kindness. Und das funktioniert meistens. Wenn du superfreundlich bist, fällt es den Leuten schwer, dich niederzumachen. Außerdem sind sie meistens gar nicht sauer auf dich, sondern bloß unzufrieden mit sich selbst. Und das wissen die auch.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
„All The Little Lights“ (Re-Release) von Passenger erscheint am 22. Februar.