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Europa, Land der Freiheit? Sechs Autoren suchen Antworten

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Der Niederländer Rashid Novaire, 27, ist einer der Teilnehmer. Er hat 1999 seine erste Sammlung von Kurzgeschichten, „Reiher in Kairo", veröffentlicht. Sein neuer Roman erscheint 2007. Zu Deutschland hat er einen speziellen Bezug: Er war bereits Stipendiat der Villa Concordia in Bamberg. Warum hast du an dem Essay-Wettbewerb teilgenommen? An erster Stelle stand das Thema - Freiheit. Das war für mich schon immer, vor allem auch persönlich, ein großes Thema. Als Kind habe ich eine Waldorfschule besucht und am Ende des Jahres haben wir immer einen Text bekommen. Der Titel eines Textes, den ich bekommen habe, war „Freiheit ist freiwillige Gebundenheit“. Seitdem interessiert mich dieses Thema sehr. Natürlich war aber auch das internationale Setting dieser Veranstaltung ein starker Anreiz. Die Fragestellung des Wettbewerbs war: „Europa – die große Freiheit?“ Was ist deine Antwort? Ich habe untersucht – denn ich fand eine Untersuchung spannender, als eine Antwort – wie es in meiner Familie war. Fast alle Familienmitglieder sind emigriert. Zum Beispiel hat meine Urgroßmutter von Hitler eine Medaille bekommen, weil sie mehr als zehn Söhne bekommen hat, war aber gleichzeitig eine Polin im Hitler-Deutschland. Ich habe die Assimilation dieser Gruppe anhand der Biografie meiner Großmutter untersucht. Mein Vater kommt aus Marokko und ist in die Niederlande emigriert. Auch hier habe ich untersucht, wie er sich angepasst hat. Dann habe ich versucht, das zu vergleichen. Dies war meine Herangehensweise an die Frage nach Freiheit in Europa.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Außerdem wurde noch nach der Vision für das Europa im Jahr 2025 gefragt. Wie sehen deine Zukunftsvorstellungen aus? In Holland sprechen wir momentan viel über den Islam und deshalb hoffe ich auf einen „europäischen Islam“. Ich glaube hier muss sich etwas entwickeln. Wie könnte der aussehen? Gemäßigter als in der islamischen Welt? Ja, eine englische Frauenrechtlerin hat mal gesagt, Rebellion gegen Tyrannei ist Gehorsam vor Gott – und ich glaube, dass das stimmt. Ich glaube, dass in der Diskussion der Moment der Kritik im Zentrum stehen muss. Ich glaube aber, dass es noch einige, mindestens aber zwei Generationen braucht, bis es einen eigenständigen und unabhängigen europäischen Islam gibt. Das ist aber sehr schwer zu sagen. Was waren deiner Meinung nach die Gründe, dass die Leute in deinem Heimatland im letzten Jahr das EU-Verfassungsreferendum abgelehnt haben? Der Grund war, dass die Leute von den Politikern nicht genug informiert worden sind. Hier liegt der Fehler natürlich einerseits auf Seiten der Politik und andererseits bei den Leuten selbst. Es wird heute immer mehr zur Lebenshaltung, dass man sagt: Ich weiß und ich verstehe nichts. Gibt es in deinem Heimatland eine Diskussion über die Zukunft der EU? Die öffentliche Diskussion um die EU dreht sich um viele Themen, aber nicht um das, worum es eigentlich geht. Die Leute sprechen über den Euro und wie teuer alles geworden ist, aber nicht über die Zukunft. Die Debatte, was wir zur Europäischen Union beitragen können, ist noch nicht in Holland angekommen. Freunde von mir, vorwiegend Schriftsteller, haben kürzlich in Amsterdam ein Europäisches Institut gegründet, um eben darüber zu diskutieren. Auf Eurer Lesereise sind auch zwei Nicht-Europäer, einen Palästinenser und eine Ukrainerin, dabei. Inwiefern unterscheiden sich deren Essays von euren, den „europäischen“ Essays? Man erfährt, dass Sicherheit und Freiheit Teil der Geschichte dieser Länder sind und das damit auch eine gewisse Angst Teil dieser Geschichte ist. Der Palästinenser Atef Abu Saif hat ein Essay über das Monopolisieren von Humanität geschrieben und warnt vor diesem Monopolisierungsprozess. Das heißt, dass verschiedene Kulturen sagen: Wir sind die Humanität und nur so wie wir es machen, ist es richtig. Die 23-jährige Ukrainerin beschreibt, wie sie Europa sieht. Sie ist jetzt das erste Mal in Europa und hat sehr detailreich ihre „story of survival“ beschrieben, zum Beispiel wie sie das erste Mal Kaugummi gekaut hat. Auch spricht sie über den Kapitalismus in Europa. „In Europa kann man alles, was man will, kaufen – und ein bisschen mehr.“ Außerdem sagt sie, dass sie vor allem durch ihre Geschichten reich ist und dass ohne diese Geschichten in Europa etwas fehlt. Das ist, glaube ich, auch die Essenz aller Essays: Wir müssen unseren eigenen Beitrag zu Europa so stark machen, dass Europa etwas vermisst, wenn es unseren Beitrag nicht integriert. Das wäre sehr wichtig – das man weiß, was man zu bieten hat und nicht nur, was man zu fragen hat. Was gefällt dir bei deinem jetzigen Aufenthalt in Deutschland am besten? Ich habe sehr viel gelernt. Man sagt ja: „You believe you are so tolerant, but lots of times you are also indifferent.” Das heißt, dass man einen eigenen Standpunkt braucht, um einen anderen tolerieren zu können. Am meisten freue ich mich auf die Städte, die ich noch nicht gesehen habe: Leipzig, Hamburg, Stuttgart und Essen. Am 9. August ist die Auftaktveranstaltung in Berlin, am 11.8. lesen sie in Leipzig, dann folgen München (13.8.), Stuttgart (15.8.), Essen (16.8.), Hamburg (18.8.)

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