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"Es herrscht eine Kultur des Vertuschens"

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John F. Nebel ist das Pseudonym eines Journalisten, Netzaktvisten und Bloggers auf metronaut.de. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Menschenrechte und Polizeigewalt. Im Internet ruft er nun dazu auf, mit einem Crowdsourcing-Projekt selbst die Transparenz zu schaffen, für die der Staat seiner Meinung nach nicht sorgt. Mit jetzt.de spricht er über die Probleme, die entstehen, wenn Polizisten gegen Polizisten ermitteln sollen, über seine persönlichen Erfahrungen und über die Hoffnung etwas zu verändern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


jetzt.de: Die Polizei ist dazu da, die Einhaltung von Recht und Ordnung zu überwachen. Du willst den Spieß umdrehen und mit deinem Crowdsourcing-Projekt die Polizei überwachen. Kann das überhaupt funktionieren?
John F. Nebel: Die Möglichkeiten und die Situation zum Beispiel bei Demonstrationen haben sich in den letzten Jahren geändert. Dadurch, dass Leute mit Handy und Kameras Fälle aufzeichnen können, in denen Polizisten Gewalt ausüben und Grenzen überschreiten, ist eine Dokumentation möglich. Das ist wichtig, um die Anzahl der Fälle festzuhalten und mit Material zu belegen. Es ist also schon eine Art von „Bürger kontrollieren die Polizei“. Das ist aber nicht unser eigentliches Ziel. 

Sondern?
In einer Demokratie darf einfach keine Atmosphäre der Straflosigkeit herrschen, was aber der Fall ist, wenn Polizisten gegen Polizisten ermitteln. Ziel sollte es deswegen sein, dass verstärkt unabhängige Mechanismen und Instanzen etabliert werden, in denen keine hierarchischen Abhängigkeiten der Polizei mehr herrschen. Die Instanzen sollten nicht mit Polizisten, sondern mit Unabhängigen besetzt werden, die auch die Befugnisse haben, zu ermitteln. Wichtig wäre auch eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, damit sie sicht nicht mehr hinter ihrer Uniform verstecken können, und eine unabhängige Audio- und Videoüberwachung auf Polizeiwachen, die nicht manipulierbar ist.

Der Vorfall in München, bei dem eine Frau von einem Polizisten geschlagen wurde, ging durch alle Medien, aber kommt so etwas wirklich häufig vor?
Das in München ist schon ein krasser Fall, aber Spiegel TV zum Beispiel hat gezeigt, dass auch Leute, die nur im Park gegrillt haben, misshandelt wurden. Aus eigener Beobachtung kann ich sagen, dass man auf Demonstrationen viele Fälle findet. Da wird zum Beispiel Pfefferspray gegen friedliche Sitzblockierer verwendet, obwohl es nur als Selbstverteidigungswaffe gedacht ist. Alleine in Bayern gab es im letzten Jahr 257 Anzeigen von Polizeigewalt – und eine Verurteilung.      

Nehmen derartige Gewalttaten durch Polizisten zu?
Das mit dem Pfefferspray zum Beispiel hat schon zugenommen, ja. Aber es ist schwer zu beweisen, weil keine Statistiken darüber geführt werden. Das genau wäre eine Forderung: Macht doch mal Statistiken darüber, was eingesetzt wird, zu welchem Zweck und mit welcher Begründung. Ob die Zahl zugenommen hat, kann ich nicht sagen, grundsätzlich besteht aber ein Widerspruch, wenn sich eine Institution selbst kontrolliert. Gerade in der Polizei hat man einen Korpsgeist. Da decken sich Leute gegenseitig und Polizisten die gegen Fehlverhalten von Kollegen vorgehen, werden geächtet. Es herrscht eine Kultur des Vertuschens. Die Polizei muss transparenter werden, eben weil sie das Gewaltmonopol hat.  

Aber die Polizei will das verhindern?
Wahrscheinlich denken viele Polizisten, dass sich die Forderung gegen sie richtet. Aber eigentlich bietet Transparenz ihnen ja auch eine Chance sich zu rechtfertigen. Es bringt ihnen also auch etwas, wenn man der Polizei die Kontrolle ein stückweit entzieht, um sicherzustellen, dass keine Materialien verschwinden und der Selbstschutz der Polizisten nicht mehr greifen kann.  

Mit deinem Crowdsourcing-Projekt willst du das jetzt selbst in die Hand nehmen. Wie genau soll das aussehen?
Einerseits wollen wir eine Chronologie erarbeiten von Fällen von Polizeigewalt, in denen es zu einer Verurteilung kam, und von Fällen, die gut dokumentiert sind, aber keine Verurteilung zur Folge hatten. Wir wollen Parteien im Bundestagswahlkampf fragen, wie sie zu dem Thema stehen und wollen auch die Gesetzeslage klar machen. Viele NGOs aber auch Fußball-Fanclubs sammeln schon Informationen darüber. Es geht also darum, Informationen zu bündeln und zum Beispiel in Infografiken zugänglicher zu machen. Das Projekt läuft ja gerade erst an. Was genau daraus entstehen wir, werden wir sehen.  

Auf deinem Blog und auf Twitter rufst du dazu auf, dir Material zu schicken und von Fällen zu berichten. Wie stellst du dabei sicher, dass die Informationen der Wahrheit entsprechen?
In manchen Fällen kann man sich wahrscheinlich nicht zu 100 Prozent sicher sein. Aber dadurch, dass wie gesagt die Anzahl der Videoaufnahmen zugenommen hat, gehe ich davon aus, dass es schon viel Material gibt, das relativ eindeutig ist.    

Ziel des Projekts ist es also Informationen zu sammeln und zugänglich zu machen. Was erhoffst du dir sonst noch davon?
Letztendlich erhoffe ich mir davon, dass das Projekt die Forderungen nach mehr Transparenz untermauern und die Dringlichkeit einer Veränderung deutlich machen wird. Mit viel Material, das fundiert und gut recherchiert ist, wird man auch einen gewissen politischen Druck aufbauen können.    

Woher kommt dein großes persönliches Interesse an diesem Thema?
Grundsätzlich engagiere ich mich seit acht Jahren für Grundrechte, Bürgerechte und Freiheitsrechte. Es sind die wichtigsten Rechte und die müssen wir uns immer wieder erkämpfen, damit unsere Gesellschaft frei und demokratisch bleibt. Aber ich habe auch persönliche Erfahrungen mit Polizeigewalt gemacht.  

Welche Erfahrungen waren das?
Um 2000 herum zum Beispiel war ich auf einer Demonstration – als Journalist mit Presseausweis um den Hals. Ich hatte damals noch so eine uralte Digitalkamera mit Diskette. Damit habe ich eine Festnahme fotografiert. Ein Polizist hat die Kamera genommen, sie kaputt getreten und mir ins Gesicht geschlagen. Ich habe das damals angezeigt, aber die Anzeige wurde eingestellt. Das war für mich ein klassischer Fall, wie Straflosigkeit funktioniert. Damals gab es eben noch keine Kameras, die das auch gefilmt haben, und wenige Zeugen. Der Polizist war nicht identifizierbar. Es war eine persönliche Erfahrung davon, wie auch ein Vertreter der Presse nichts wert ist, wenn die Aufnahmen gerade unangenehm sind.  

Deswegen hast du beschlossen, etwas zu ändern?
Es geht hier nicht um meine persönlichen Gefühle. In einer Demokratie ist es immer wichtig, Polizeiarbeit transparent zu machen. Und wenn einem selbst etwas passiert, ist man noch sensibler dafür, was geht und was eben nicht geht.

Text: teresa-fries - Foto: jortgies / photocase.com

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