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Engelmacherinnen oder: Ein Museum über Verhütung und Abtreibung

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Fiala, 47, ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Wien und recherchierte mit der Biologin und Journalistin Susanne Krejsa die Geschichte von Verhütung und Abtreibung. Seit 16. März 2007 sind die Berichte und Fundstücke im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch zu sehen. Fiala ist Ärztlicher Leiter von gynmed, einem Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung. Er schrieb bereits zu Studienzeiten Broschüren zum Thema Verhütung. Herr Fiala, seit zehn Tagen ist Ihr Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch geöffnet. Was sehe ich dort? Zum Beispiel Gegenstände aus Uganda, wo ich ein halbes Jahr in einem Krankenhaus gearbeitet habe. Dort kamen viele Frauen nach einem illegalen Schwangerschaftsabbruch zu uns. Wir haben eine Schachtel hingestellt, in der wir Fremdkörper gesammelt haben, die wir in den Gebärmüttern der Frauen gefunden haben. Welche Fremdkörper? Äste, Stäbe, Plastikstifte. Das ist makaber, aber wir zeigen die Gegenstände in der Ausstellung. So wird klar, wie unfassbar die Zustände in Uganda und anderen Ländern sind, wo der Schwangerschaftsabbruch verboten ist. Sie sagen, der Abbruch dort sei illegal. Wegen eines Gesetzes der Briten aus dem Jahr 1803 ist der Abbruch dort immer noch verboten. Also machen es die Frauen wie bei uns vor 100 Jahren: Sie versuchen selbst abzutreiben. Und kommen dann in einem erbärmlichen Zustand ins Krankenhaus, schwer verletzt. Das hat mich weit mehr entsetzt als die Armut, bis hin zur körperlichen Übelkeit. Das ist wie Krieg. Krieg gegen Frauen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Gegenstände aus dem Krankenhaus in Uganda. Wie war es bei uns vor 100 Jahren? Da gab es bei uns noch Engelmacherinnen. Wie? „Kinder engeln“ ist eine Formulierung, die es anscheinend in fast jeder Sprache gibt. Bis vor 100 Jahren war das anatomische Verständnis der Menschen sehr gering. Es war sicherer, das Kind auszutragen und dann töten zu lassen – von einer Engelmacherin. Unerwünschte Kinder wurden also in die „Pflege“ weg gegeben. Die Engelmacherinnen haben die Kinder schlecht ernährt oder bei offenem Fenster im Winter liegen lassen. In den Todesanzeigen hieß es dann „Der Herrgott in seiner unergründlichen Liebe hat es zu sich geholt.“ In weiterer Folge lernten die Leute, wie man Abbrüche macht. Indem man mit einer Stricknadel die Fruchtblase sprengt. Und zwar im vierten oder fünften Monat, wenn die Frau die Schwangerschaft nicht mehr verstecken kann. Und das versuchen die Frauen in Uganda heute noch. Dort und auch in anderen afrikanischen Ländern ist es an der Tagesordnung. Immer wieder aber stechen sich die Frauen zum Beispiel in die Blutgefäße – und verbluten. Aber ihr Museum widmet sich nicht nur der Abtreibung, oder? Nein, das ist nur der kleinere Teil. Wir zeigen vor allem die Geschichte der Verhütung. Das klingt sehr lehrreich. Fast ein bisschen trocken. Wussten Sie, dass Kondome früher aus Luftblasen von Fischen hergestellt wurden? Oder dass man in den USA immer noch Schafsdarm-Kondome kaufen kann? Das wusste ich nicht. Die Luftblasen kamen irgendwann aus der Mode. Gemeinsam mit einem Wiener Präparator haben wir aber zum Herzeigen eines angefertigt. Und in einem Verkaufskatalog aus München aus dem Jahr 1936 haben wir ein „Kondom-Trockengestell“ gefunden. Damit man die Kondome waschen und wieder verwenden konnte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Luftblasenkondom. Das ist heute kaum vorstellbar. Genauso wie die Tatsache, dass Frösche bis in die Sechziger Jahre für Schwangerschaftstests verwendet wurden. Wir haben mit einer Laborantin und einem Arzt gesprochen, die das noch selbst gemacht hat. Auf der zweiten Seite steht, wie das mit den Fröschen funktionierte und wie du das Museum auch per Telefon besuchen kannst.


Wie soll das mit den Fröschen gehen? Männlichen Fröschen wurde der Harn der Frau unter die Haut gespritzt. War die Frau schwanger, hat der Frosch binnen drei Stunden Spermien produziert. Fast jede gynäkologische Abteilung hatte deshalb eine Froschzucht. Den „Froschtest“ als medizinischen Begriff kannte jeder. Das funktioniert wirklich? Ja. Sie wollen vor allem aufklären, oder? Wir wollen die Geschichte der Fruchtbarkeit und den langen Kampf um eine sichere Verhütung zeigen. Wir zeigen Berichte unfassbarer Verzweiflung von Frauen zu früheren Zeiten. Meine Kollegin und ich haben über vier Jahre hinweg mit unzähligen Fachärzten gesprochen und sind in der Welt herumgefahren. Wir haben ergreifende Berichte zusammen getragen und eine riesige Anzahl an Methoden, die Frauen zur Verhütung oder auch zur Abtreibung verwendet haben - der große Teil davon ist unwirksam oder gefährlich. Aber die Frauen hatten keine Alternativen. Solch ein Museum – gibt es das schon? Interessanterweise nicht. Dabei ist die Kontrolle der Fruchtbarkeit eine der größten kulturellen Leistungen des Menschen. Das hat solch einen großen Einfluss auf die Lebensqualität. Nun wissen Sie sehr viel über Verhütung und vor allem Abtreibung. Was haben Sie gelernt? Tiefe Dankbarkeit, heute zu leben. Und die wollen Sie vermitteln? Der Sinn des Museums ist, die „Kraft der Fruchtbarkeit“ zu dokumentieren. Die Natur hat für den Menschen etwa 15 Schwangerschaften während eines Lebens vorgesehen. Wer das aber nicht möchte, und dafür gibt es gute Gründe, der muss sich schützen. Und obwohl wir in einer Zeit leben, in der so viele sichere Verhütungsmittel wie noch nie greifbar sind, verhüten viele nicht oder falsch. Deshalb wollen wir aufklären und auch die Geschichte dokumentieren – bis zur Entwicklung der Pille gab es ja keine Methode, Fruchtbarkeit wirksam zu kontrollieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Museum am Anfang: Christian Fiala hat die ersten Fundstücke zur Probe an die Wand gepinnt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

So sieht es heute aus. Wie waren bisher die Reaktionen? Eine Frau von der ÖVP in Wien hat uns als „Tötungsmuseum“ bezeichnet. Das ist aber auch die Ausnahme. Die Frau war noch nie hier. Sonst sind die Reaktionen sehr positiv – die öffentliche Diskussion zu Verhütung und Abbruch ist ja nicht ganz einfach. Wir hoffen, dass uns über den historischen Umweg eine Versachlichung gelingt. Würden Sie Schulklassen einen Besuch empfehlen? Ich denke, er ist die ideale Ergänzung zum Unterricht. Die Schüler begreifen etwas über sich. Manche denken zuerst: „Sind in dem Museum gebrauchte Kondome drin?“ Und begreifen hier, dass es um sie selber geht. Ich glaube, man kann sagen, dass die Leute berührt und verändert gehen. Darf ich fragen ob Sie selbst Kinder haben? Sie dürfen. Ich habe keine Kinder. Wahrscheinlich habe ich immer zu gut verhütet. +++ Das Museum bietet eine Audioführung an, die per Handy oder Skype von jedem Festnetz aus zugänglich ist. So kann die Führung auch von Außen abgefragt werden. Die Nummern lauten 0043 1 2363 00 00 für den Ausstellungs-Teil Verhütung und 0043 1 2363 00 01 für den Teil Abbruch. Alle Fotos: Museum

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