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Eltern können auch zu viel Liebe geben

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Ihr seid beide gerade im Kino zu sehen: beide in der Rolle von Kindern, die die Erwartungen ihrer Eltern, was Schule und Ausbildung betrifft, nicht erfüllen können – und darunter leiden. Glaubt ihr, das sind nur Einzelfälle, die sich Drehbuchschreiber ausdenken? Constantin: Die meisten Eltern wollen das Beste für ihre Kinder, das kann man voraussetzen. Aber viele machen dann trotzdem einiges falsch – und setzen ihre Kinder unter Druck. Jeder geht anders mit diesem Druck um. Armin, meine Rolle in „Falscher Bekenner“, lässt das einfach über sich ergehen. Er ist zu faul und zu müde, um mit seinen Eltern zu reden. Stattdessen geht er zu sinnlosen Vorstellungsgesprächen und flüchtet sich in eine Traumwelt. Constantin: Ich glaube, das kommt tatsächlich häufig vor bei Leuten, die mit der Schule fertig werden und sich nie Gedanken gemacht haben, was sie nachher eigentlich machen wollen. Die geraten dann in so eine Leere.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Fotos: Edgar Zippel Ihr habt beide schon früh mit der Schauspielerei angefangen – gab es diese Phase der Unentschlossenheit also nie? Katharina: Nein, ich bin früh in die Schauspielerei hineingewachsen. Es gab auch nie dieses Sicherheitsdenken, erst etwas Solides als Grundlage zu machen und sich dann in der Kunst zu versuchen. Constantin, war für dich auch immer klar, was du werden willst? Constantin: Eigentlich schon. Aber ich will auch nicht nur Schauspieler sein. In ein paar Jahren möchte ich Regie führen, Drehbücher schreiben, ich mache Musik in meinem eigenen Studio – ich habe also mehrere Standbeine, das ist meine Art, mich abzusichern. Aber jeden Morgen zu einem langweiligen Bürojob zu gehen, das könnte ich mir nicht vorstellen. Manchmal hat man den Eindruck, das kann sich heute niemand vorstellen. Alle wollen sich „selbst verwirklichen“, künstlerisch arbeiten, „was mit Medien“ machen oder gleich Stars werden. Katharina: Man muss sich schon des Privilegs bewusst sein, das man hat, wenn einem das tatsächlich gelingt. Aber natürlich kann das nicht für alle funktionieren. Ich kann mir vorstellen, dass deshalb viele dann Kinder kriegen. In der New Economy waren die in irgendeiner Agentur und jetzt läuft es halt nicht mehr so toll. Da wird dann ein Kind schnell zur Rettung, zum neuen Lebensinhalt. In solchen Fällen schließt sich dann der Kreis wieder – denn Kinder, die im Rahmen einer solchen Sinnsuche entstehen, sind natürlich wieder eine ungeheure Projektionsfläche für ihre Eltern. Weil sie selbst gescheitert sind, müssen die Kinder umso erfolgreicher sein? Katharina: Ich fürchte, dass es vielen Eltern schwer fällt, zu akzeptieren, dass das, was dein Lebensinhalt ist, einen eigenen Willen hat, sich von dir loslöst und irgendwann weg will. Und mit seinem Leben etwas Eigenes anfangen will, mit dem die Eltern vielleicht überhaupt nichts anfangen können oder was sie sich nie vorgestellt haben für ihr Kind. Dein Charakter Annika sagt zu ihrem Vater: „Du hast doch auch kein Abi“ . . . Katharina: Ja, das ist typisch für diesen Wunsch vieler Eltern, in ihren Kindern das nachzuholen, was sie selbst nicht erreicht haben. Constantin: So entsteht dann der Druck, der von den Eltern ausgeht. Der kann ja auch dadurch ausgeübt werden, dass sie zu viel Liebe geben. Ich kenne viele Leute in meinem Alter, die von ihren Eltern zu sehr behütet werden. Katharina: Ich glaube, zu viel Liebe kann man gar nicht schenken. Die Frage ist ja nur, wie sich das äußert. Constantin: Das meine ich ja. Gute Eltern werden es nie böse meinen, wenn sie mal mit ihren Kindern schimpfen. Der Hintergrund ist ja, dass man als Kind weiß, dass man trotzdem geliebt wird. Katharina: Es kommt aber schnell diese Angst, nicht um seiner selbst Willen geliebt zu werden, sondern nur in einer bestimmten Funktion. Als erfolgreiches Kind, das ein gutes Abi macht, dann einen Beruf lernt und glücklich sein Leben auf die Reihe kriegt. Eine wichtige Frage ist dann: Wofür werde ich eigentlich geliebt? Und: Liebt ihr mich denn auch, wenn ich das alles nicht hinkriege? Könnt ihr euch an Entscheidungen erinnern, die ihr auf der Grundlage getroffen habt, ob eure Eltern das jetzt gut finden? Constantin: Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht. Denn ich weiß, dass meine Eltern, wofür ich mich auch entscheide, zu mir stehen werden. Katharina: Meine Eltern haben gesagt: Was auch immer du tun willst, das ist auch das, was wir wollen. Das ist es ja, was Elternliebe ausmacht ist: dass es bedingungslose Liebe ist. Und genau das ist auch das Tolle – dass man sich eines Menschen sicher sein kann. Schwierig wird es dann, wenn du das Gefühl hast, dass es doch Bedingungen gibt. Constantin: Mein Vater hat zu mir gesagt: Ich steh zu dir, was auch immer du machst. Und wenn du wegen Mord ins Gefängnis kommst, werde ich trotzdem noch dein Vater sein und zu dir halten. Ein krasses Beispiel, aber es hat mir verdeutlicht, was bedingungslose Liebe ist. Armin wird in dem Film „Falscher Bekenner“ von der Liebe seiner Eltern beinahe erdrückt, die mit ihm Bewerbungsgespräche auf der Wohnzimmercouch üben. Constantin, du hast für deine Rolle als Armin sehr gute Kritiken bekommen. Wie hast du dich vorbereitet? Constantin: Für mich war das sehr schwierig, weil Armin das komplette Gegenteil von mir ist. Ich konnte mich nur schwer in die Lage versetzen, ganz alleine zu sein, keine Freunde zu haben. Deshalb habe ich mich dann eine Woche völlig zurückgezogen und abgeschottet. Habe Leute beobachtet, von denen ich das Gefühl hatte, dass die einsam sind. Und habe versucht, mir deren Bewegungen anzueignen, deren Art, eine Tasse zu halten oder zu gehen oder was weiß ich. Könntest du dir vorstellen, mit jemandem wie Armin befreundet zu sein? Constantin: Nee. Wir würden uns auch nie über den Weg laufen. Und wenn, dann würden wir uns nicht wahrnehmen. Das sind einfach zwei verschiedene Welten. Aber ist ja auch nicht schlimm. Katharina: Das ist auch noch eine Parallele zwischen unseren Rollen: Beide sind isoliert. Annika kommt in diese Isolation, weil sie niemandem erzählen kann, dass sie gar nicht mehr auf der Schule ist. Irgendwann steht sie ganz alleine da. Kannst du jemanden wie Annika verstehen, die nach und nach in eine Lügengeschichte reinschliddert? Katharina: Mir würde das so wohl nicht passieren, aber ich kann es schon nachvollziehen. Annika verschweigt das alles ja nicht nur, weil sie Angst hat, jemanden vor den Kopf zu stoßen, da hängt ja noch mehr dran: das Eingestehen des eigenen Scheiterns, die ganzen Konsequenzen. Da kann ich schon verstehen, dass man das erst mal weg schiebt . . . Constantin: Dass man es verdrängt, klar. Constantin, du hast die Schule ohne Heimlichtuereien geschmissen, oder? Constantin: Ich hatte ein gutes Filmangebot, wusste aber, dass ich das während des Abis nicht drehen könnte. Gleichzeitig wusste ich nicht, ob danach auch noch Angebote kommen würden. Deshalb habe ich mich auf der Schauspielschule beworben und als ich da genommen wurde, ist es mir leichter gefallen, die Schule abzubrechen. Katharina: Wie haben deine Eltern reagiert? Constantin: Die waren cool. Mein Vater hätte schon gerne gehabt, dass sein Sohn Abi hat, klar. Aber wenn nicht, dann eben nicht. Darauf kommt es doch auch nicht an. Klar hätte ich vielleicht mehr Allgemeinbildung, wenn ich noch drei Jahre zur Schule gegangen wäre, aber so bin ich auch erfolgreich und glücklich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie ist das mit dem Druck unter Gleichaltrigen? Nimmt der zu? Katharina: Ich habe das Gefühl, dass schon alles immer schneller gehen muss. Man kann viel jünger viel höher steigen und der Moment, in dem du altersmäßig rausfällst, kommt auch immer früher. Deshalb steigt natürlich der Druck, in sehr jungen Jahren bereits sehr erfolgreich sein zu müssen. Constantin: Mit 35 musst du es nicht mehr auf Schauspielschulen versuchen. Man muss sich also früher entscheiden, was man machen will und dieses Ziel dann zielstrebig wie möglich verfolgen? Katharina: Mein Bruder und meine ehemaligen Mitbewohner sind zum Beispiel zehn Jahre älter als ich und ich habe das Gefühl, dass diese Generation eine ganz andere Erfolgsmentalität hat. Die haben nicht so eine Eile, glaube ich manchmal. Constantin: Es geht ja nicht nur in beruflichen Fragen früher los, sondern mit allem: mit Drogen, mit Sex, mit Autos. Gleichzeitig war es früher leichter, sich zu konzentrieren, weil es nicht so viel Ablenkung gab durch Medien, durch Technik, Computer und so weiter. Heute ist es leichter, sich zu verrennen, zu verzetteln. Katharina: Mir kommt es oft so vor, als seien Kinder oder Jugendliche heute viel professioneller, viel abgeklärter. Constantin: Abgebrühter, auf jeden Fall. Katharina: Ich war mit 16 viel naiver. Wenn ich heute auf Filmpartys so ganz junge Mädchen oder Jungs sehe, dann habe ich den Eindruck, die sind viel mehr in der Lage dieses ganze System total zu durchschauen und zu bedienen. Liegt das an dem Boom von Castingshows? Dass jeder das Gefühl hat, er weiß, wie er zum Star wird? Katharina: Ein Freund von mir hat für MTV die Sendung „Made“ gemacht, wo auch Nobodys zu Stars gemacht werden. Er erzählte, dass mittlerweile beinahe jeder Jugendliche eine Agentur hat, die ihn vermittelt. Das fand ich merkwürdig. Constantin: Neulich haben mich zwei Typen gefragt, höchstens 13, ob ich Gras kaufen will. Mit dem Sex geht es auch früher los, die sind da einfach offener. Katharina, du schaust gerade, als wärst du nicht einverstanden. Katharina: Ich weiß nicht, ob wirklich alle offener werden. Wenn wir im Theater Publikumsgespräche haben, nach Stücken, in denen Nacktheit vorkommt, bin ich regelmäßig schockiert, wie verklemmt die Leute bis Anfang Zwanzig sind. Jedes Mal wieder. Constantin: Wirklich? Katharina: Ja, die fragen dann immer: „Muss das denn sein? Warum sieht man da den Busen durch das Hemd? Also, ich finde das nicht gut.“ Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass sie sich stellvertretend für den Schauspieler schämen, weil es für sie selbst so eine Horrorvorstellung ist, sich vor so vielen Menschen auszuziehen. Man ist eben doch noch nicht so abgebrüht, wie man gerne wäre.

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