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Eine neue Sprache im Bundestag

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jetzt.de: Du bist die erste gehörlose Praktikantin im Deutschen Bundestag. Warum hat das vor dir noch keiner geschafft?
Clara Belz: Wahrscheinlich liegt es an der Kommunikationsbarriere. Vielleicht aber auch daran, dass keiner vorher den Mut hatte etwas zu ändern? Ich habe das einfach in meine Bewerbung ans Büro von Lisa Paus (Anm. d. Red.: Bundestagsabgeordnete von Bündnis ’90/Die Grünen) reingeschrieben, und das war dann auch kein Problem.  

Wenn Du nichts hören kannst, bist Du dann auch stumm?
Nein, weil ich eine Sprache habe - die Gebärdensprache.  

Wie sieht Dein Praktikumsalltag aus?
Ich arbeite am Rechner und recherchiere viel für meine Aufgaben. Oft kann ich auch Lisa Paus oder ihre Mitarbeiter zu Sitzungen begleiten. Außerdem habe ich schon live die Plenardebatte von der Besuchertribüne aus beobachtet. Drei Stunden am Tag bekomme ich dafür einen Dolmetscher zur Seite gestellt. Ansonsten kommuniziere ich per Stift und Zettel oder per E-Mail.

Wie verfolgst Du die Parlamentsdebatten überhaupt? Du kannst sie ja nicht hören...
Manchmal sind die Dolmetscher dabei. Ansonsten gibt es allerdings keine Untertitel bei den Debatten, auch nicht zu Hause im Fernsehen. Ich achte dann immer auf die Mimik und Gestik der Politiker. Das ist interessant zu verfolgen. Jeder Politiker und jede Politikerin hat seinen eigenen Redestil und ein individuelles Tempo. Manche wedeln aufgeregt mit den Händen bei Reden.  

Gibt es Bewegungen, die für Peer Steinbrück, Angela Merkel und Renate Künast typisch sind?
Wenn Renate Künast redet, wuchtelt sie mit dem Finger oder macht ein ernstes Gesicht. Peer Steinbrück trat in der Debatte gegen Angela Merkel selbstsicher auf. Frau Merkel hört Peer Steinbrück sehr aufmerksam zu, aber als Herr Gysi redete, hörte sie nicht zu. Ich denke, sie nimmt Steinbrück als Konkurrent ernst, aber bei Gysi denkt sie: „Dem brauche ich nicht zuzuhören.“ Er ist nicht so wichtig für sie. Das ist mein Eindruck, wenn ich Merkel beobachte.

Was sind die wichtigsten Gebärden im Praktikum?
„Guten Morgen“ und „bis bald“ sind wichtig. „Guten“ sagt die rechte Hand zum Kreis geformt – wie bei der Geste, die Hörende bei leckerem Essen zeigen. „Morgen“ sagen beide Hände vor der Brust wie Schranken, die dann nach oben auf gehen und den neuen Tag herein lassen. „Bis bald“ sind zwei Bewegungen mit dem rechten Zeigefinger. Eine Linie nach schräg rechts vorne von der Brust weg sagt „bis“. Ein hüpfender Bogen nach vorne sagt „bald“. Gebärden, die vom Sprechenden weg nach vorne zeigen, weisen immer in die Zukunft, Bewegungen nach hinten deuten in die Vergangenheit. Auch wichtig im Praktikum ist das Wort „Drucken“. Dafür legt man eine Hand scannend auf die andere Hand. Bei „Danke“ zieht man die Hand vom Kinn weg.

War es ein Problem, einen Dolmetscher für das Praktikum zu bekommen?
Erst war es schwierig herauszufinden, ob ich überhaupt Anspruch auf Dolmetscher habe. Niemand wollte dafür zahlen. Lisa Paus selbst und ihre Mitarbeiter haben sich aber sehr dafür eingesetzt. Mittlerweile übernimmt das Landesversorgungsamt für Soziales und Gesundheit die Kosten. Ich bin froh, dass sich das geklärt hat. Diese Lösung gilt allerdings erstmal nur für mich.

Abseits deines Praktikum - was sollte in Deutschland noch besser für gehörlose Menschen werden?
Man sollte endlich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Gehörlose selbst entscheiden können, was sie wollen. Menschen mit Behinderungen haben auch Interessen. Aber ihre Auswahl an Arbeitsplätzen ist bisher beschränkt auf solche, die bereits Hilfsangebote für Gehörlose haben. Das muss anders werden. Ich bin überzeugt: Alle Menschen mit Behinderungen schaffen auch das, was sie wollen.  

Wie geht es für dich nach dem Praktikum weiter?
Ich besuche momentan noch die zehnte Klasse einer Schule für Gehörlose in Berlin. Danach kann ich mir allerdings auch vorstellen, mal in die Politik zu gehen.  

Was meinst du, haben die Leute im Bundestag nach deinem Praktikum von dir gelernt?
Dass die Gebärdensprache interessant ist. Ich habe Kollegen schon einige Gebärden beigebracht und freue mich zu sehen, wenn sie sich bemühen, die auch zu benutzen. Außerdem sehen sie an mir, wie man konzentriert sein kann, auch wenn es sehr laut ist - da ist Nicht-hören manchmal ein Vorteil.   



Text: charlotte-haunhorst - Foto: privat

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