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„Eine höhere Bezahlung senkt nicht den Stressfaktor!“
Ein Gespräch mit Arne Gattermann, Bereichsleiter Personal- und Arbeitsrecht des Hightech-Verbands Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.).
jetzt.de: Durch Smartphones sind wir quasi 24 Stunden täglich telefonisch und per Mail erreichbar. Viele Chefs erwarten, dass ihre Mitarbeiter ständig verfügbar sind. Wie verändert sich unsere Arbeitswelt?
Arne Gattermann: Wir müssen immer schneller reagieren und flexibler sein. Arbeitsrechtlich ist das eine Herausforderung, weil die Belastung und der Stress für die Arbeitnehmer immer höher werden. Unternehmen dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass die Belastung ihrer Mitarbeiter steigt – und müssen diesen Stress managen.
Wie können Unternehmen das schaffen?
Indem sie zum Beispiel Entspannungstrainings am Arbeitsplatz oder Workshops zur Stressprävention, wie autogenes Training und Muskelentspannung anbieten – und sich und den Mitarbeitern bewusst machen, dass niemand 24 Stunden am Tag erreichbar sein muss.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Müssen Angestellte überhaupt außerhalb der Arbeitszeit erreichbar sein?
Wenn es dazu keine vertragliche Regelung gibt: nein. Oft macht ständige Erreichbarkeit auch gar keinen Sinn. Es gibt Berufe, in denen eine Erreichbarkeit auch nach der Arbeitszeit erwartbar ist, wie im Baubereich, wo oft schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber das sollten Ausnahmen sein. Ob man allerdings bis 20 oder 22 Uhr erreichbar sein muss, ist nicht geregelt. Das Arbeitszeitgesetz begrenzt allerdings die gesamte Arbeitszeit auf maximal 48 Wochenstunden bei sechs Werktagen, das sind acht Stunden täglich. Das kann in einer Woche mal mehr sein – bis zu zehn Stunden an einem Tag sind ausnahmsweise zulässig – aber im Halbjahresdurchschnitt muss das wieder ausgeglichen sein.
Die Realität sieht oft anders aus. Jeder kuckt doch zu Hause mal, ob die wichtige Mail endlich reingekommen ist - und reagiert auch darauf.
Das hat zur Folge, dass keiner mehr abschalten kann, weil man immer damit rechnet, dass man sich zu einer Frage äußern muss oder jemand einen erreichen will. Darum gibt es auch immer mehr Regelungen zu dem Thema Erreichbarkeit. Grundsätzlich gelten die Gesetze des Arbeitsrechts aber auch hier.
Darf man sein Arbeitshandy nach der Arbeit einfach ausschalten?
Grundsätzlich ist man nicht verpflichtet, nach der Arbeitszeit noch eine Arbeitsleistung zu erbringen. Wenn das Diensthandy nach der Arbeit ausgeschaltet ist, kann der Arbeitgeber das nicht sanktionieren – außer wenn vertraglich festgelegt ist, dass man zu bestimmten Uhrzeiten noch mobil erreichbar sein muss.
In Brasilien sollen E-Mails, die nach der Arbeit noch auf dem Diensthandy bearbeitet werden, in Zukunft als Überstunden zählen. Was halten Sie von dieser Regelung?
Ich bin grundsätzlich ein Freund von klaren Regelungen. Dass jede Minute, in der man nach Dienstschluss noch seine Mails checkt, zusätzlich vergütet werden muss, ist ein möglicher Ansatz, Es hängt auch vom jeweiligen zeitlichen Umfang ab, in dem ein Mitarbeiter noch einmal tätig werden muss. Auch eine pauschale Abgeltung des zusätzlich Arbeitsaufwandes wäre hier eine Option.
Ist so ein Gesetz auch in Deutschland denkbar?
Die gesetzlichen Regelungen sind in Deutschland auch so ausreichend.
Was ist, wenn im Unternehmen keine Überstunden angerechnet werden?
Das wird unterschiedlich gehandhabt. Manche Unternehmen gleichen finanziell aus, manche mit zusätzlicher Freizeit. Grundsätzlich ist das kein rechtsfreier Raum, weil die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit in der Regel im Arbeitsvertrag festgelegt ist.
Eine Studie der Bitkom ergab, dass fast drei Viertel der Berufstätigen, die zwischen Weihnachten und Neujahr frei haben, durchgehend zu erreichen sind. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Zum Jahresende komplett abzuschalten ist wichtig, um aufzutanken. Gerade die Feiertage, aber auch das Wochenende brauchen wir, um uns ganz von der Arbeit freizumachen. Wenn man jederzeit erreichbar ist, ist das zwar ein Zeichen, dass man sich mit dem Beruf identifiziert, und bereit ist, Aufgaben schnell zu erledigen. Das ist sehr fleißig, aber auf Dauer nicht gut, weil man unterschätzt, welchen Stress das bedeutet.
Hängt der Anstieg von Burnout-Fällen mit dieser permanenten Erreichbarkeit zusammen?
Die Ursache Nummer eins für Burnout ist es vielleicht nicht, das wäre zu einfach und da sind immer mehrere Faktoren im Spiel. Aber unsere ständige Erreichbarkeit ist sicher einer der Punkte, die wir kritisch hinterfragen sollten. E-Mails haben die ganze Arbeitswelt schnelllebiger werden lassen, weil sie eine schnelle Reaktion erfordern.
Bei VW werden eine halbe Stunde nach der Arbeitszeit keine Mails mehr auf die Blackberrys der Angestellten weitergeleitet. Ist das die Lösung?
Das neue Gesetz in Brasilien, also eine höhere Bezahlung, senkt den Stressfaktor auf jeden Fall nicht. Geld nimmt Mitarbeitern nicht den Stress von den Schultern. Da wäre es sinnvoller aufzuzeigen, dass man einfach nicht ständig erreichbar sein muss. Das Modell von VW, eine Art E-Mail-Stop, ist insofern sinnvoll, weil man die Mails dann einfach nicht bekommt, auf die man vielleicht noch reagieren könnte. Klare Regeln, die die Erreichbarkeit zeitlich begrenzen, wären aber ebenso effektiv.
Auch während der Arbeitszeit sind E-Mails Zeitfresser. Welche Taktik gibt es, damit einem nicht so viel Zeit geraubt wird?
Man sollte damit anfangen, auch seine eigenen Mails zu hinterfragen. Was muss zwingend per Mail kommuniziert werden, muss man immer die Kollegen in CC setzen? So können wir unseren E-Mailverkehr generell straffen.
Text: kathrin-hollmer - Foto: complize@photocase.com