- • Startseite
- • Interview
-
•
Ein Europa im Kleinen
Das Europakolleg in Brügge; Foto: coleurop.be Florian Ziegenbalg ist 28 Jahre alt, hat in Mainz Straßburg und Tübingen Politikwissenschaft, öffentliches Recht und Neuere Geschichte studiert und von September 2004 bis Juli 2005 am Europa-Kolleg in Brügge (Belgien) seinen „Master in European Studies“ gemacht. Das Europa-Kolleg, das 1949 gegründet wurde, ist das älteste Institut für postuniversitäre Studien, bei dem man praxisorientiert auf Tätigkeiten in europäischen Institutionen, Verbänden, Unternehmen und nationalen Verwaltungen vorbereitet wird.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Foto: privat Fühlst du dich mehr als Deutscher oder als Europäer? In meinem Leben spielt Europa eine sehr zentrale Rolle. Ich habe viele Freunde in ganz Europa und habe in meinem Studium, durch das Europa-Kolleg und über den Verband Junge Europäischen Föderalisten (JEF), in dem ich ehrenamtlich tätig bin, viele Leute kennengelernt. Ich bin sowohl als auch. Ich bin Deutscher und Europäer. Ich bin europäischer Deutscher oder deutscher Europäer. Inwiefern lässt sich Europa studieren? Am Europa-Kolleg studiert man das gesamte Fachwissen über die EU, also: die Geschichte der EU, das europäische Recht, die Funktionsweise der ganzen Institutionen und die gemeinsame Wirtschaft. Gleichzeitig lernt man Europa persönlich kennen, da man in Wohnkomplexen mit Studenten aus 43 Ländern zusammenlebt. Lernen und Leben gehören am Campus vom Europa-Kolleg einfach zusammen und lassen sich kaum trennen. Die Studiengebühren von 16.800 Euro sind ein ganz schöner Batzen Geld. Warum wolltest du trotzdem dort studieren? Der Reiz, einerseits die fachlichen Dinge von Praktikern aus dem Berufsleben zu lernen und andererseits mit jungen Menschen auf engem Raum zusammen zu leben, sozusagen als Europa im Kleinen, war der ausschlaggebende Punkt. Natürlich ist das Kolleg ein Musterfall von europäischer Gemeinschaft und kein Abbild des realen Europa. Die Studenten am Kolleg sind, was ihre Fachkenntnisse und ihre Offenheit angeht, natürlich anders eingestellt als vielleicht der Durchschnitt junger Menschen. Auf der anderen Seite bringen sie aber eigene Erfahrungen, Verhaltensweisen und ihre Kultur aus ihren Herkunftsländern mit und das macht es schon zu einem kleinen idealen Europa. Was muss man mitbringen und was darf man am Ende mit nach Hause nehmen? Das Studium ist zweisprachig, deswegen sind gute Englisch- und Französischkenntnisse sehr wichtig. Zeit, die Sprache erst noch zu lernen, hat man eher nicht, denn der Tag ist von morgens bis abends recht zugeplant. Flexibilität ist also auch wichtig und dass man unter Stress arbeiten kann. Offenheit und Neugier sind aber eigentlich erste Voraussetzungen. Geblieben sind mir vor allem Freundschaften, aber ich habe mich auch gut in Spezialthemen der Europapolitik einarbeiten können, was mir jetzt weiterhilft. Vor allem die Erfahrungen aus den Simulationsspielen waren wichtig, um Ablaufprozesse nachzuvollziehen und zu verstehen. Wir haben zum Beispiel die Entscheidung des Innenministerrates über die Richtlinie zur Rückführung illegaler Einwanderer nachgestellt und mussten entweder einen Mitgliedstaat, den Ratsvorsitz oder die Kommission vertreten. In der Realität sind diese natürlich noch komplexer als in studentischen Runden am Kolleg. Man lernt aber vor allem, dass der persönliche Faktor in der Politik und dem Beruf eine entscheidende Rolle spielt. Es ist einfach überall so, dass man mit den Leuten, zu denen man sonst auch einen guten Draht hat, einfach besser arbeiten und Entscheidungen treffen kann.“ Und was machst du jetzt als quasi ausgebildeter und vorbildlicher Europäer? Ich arbeite ab Montag bei der Vertretung vom Land Baden-Württemberg bei der EU in Brüssel. Das heißt aber nicht, dass man Europa nur in Brüssel erleben kann. Jeder noch so kleine Ort hat ein bisschen Europa inne. Jährlich studieren in Brügge etwa 280 Graduierte in vier zur Auswahl stehenden Fachbereichen: Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Politik- und Verwaltungswissenschaften sowie Internationale Beziehungen und Diplomatie. Neben der spezialisierten Ausbildung in dem jeweiligen Fachbereich werden in einem interdisziplinären Programm Einblicke in die Komplexität des Transformationsprozesses in Europa vermittelt. Mehr Informationen zum Europa-Kolleg in Brügge (Belgien) und Natolin (Polen) gibt es bei der Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland (EBD) und beim Europa-Kolleg selbst. Die EBD vergibt auch dieses Jahr wieder Teilstipendien für diesen Postgraduiertenstudiengang. Bewerbungsschluss ist der 31. Januar 2006.