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„DSDS beschäftigt sich nur zufällig mit Musik“
Andreas Läsker, Manager der Fantastischen Vier, saß 2007 in der dreiköpfigen Jury von „Deutschland sucht den Superstar“. Im Interview erzählt er, warum die Gewinner des Formats nach so kurzer Zeit scheitern, welche Gemeinsamkeiten Dieter Bohlen mit einem südamerikanischen Diktator hat, und warum in Amerika irgendwie alles besser ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Andreas, 2007 bist du Jurymitglied bei „DSDS“ geworden. Nötig hattest du das aufgrund deines Standings in der Musikbranche nicht mehr. Was hat den Reiz ausgemacht? Die Frage ist: Muss man das nötig haben? Ich hatte schon im Jahr zuvor eine Anfrage, da hatte ich aber keine Zeit und auch nicht wirklich Lust dazu. Dann wurde ich erneut gefragt, und es wurde ein Casting mit mir veranstaltet, das hat ganz gut geklappt. Ich wollte das alles einfach mal kennen lernen, immerhin ist „DSDS“ die zweiterfolgreichste Unterhaltungssendung Europas. Ich arbeite ja schon lange mit Medien in jeder Form, hatte auch schon oft mit dem Fernsehen zu tun, aber so noch nicht. Mich hat interessiert, wie diese Maschinerie funktioniert. Muss ein Castingshow-Kandidat naiv sein, um alles geben zu können? Schließlich gewinnt nur der, der auch wirklich an eine große Karriere danach glaubt. Es ist ein sehr deutsches Problem, Castingshows so wahnsinnig komplex zu betrachten. In Amerika heißt das „Audition“, das gibt es schon seit gefühlten hundert Jahren. Wenn du einen Schlagzeuger brauchst, lässt du 20 Leute antanzen, und der beste Trommler kriegt den Job. Das findet aber in Kellern und Proberäumen statt. In Deutschland wird das alles sehr in die Boulevard-Ecke gedrängt, wodurch ein Unterhaltungsformat als Mischung aus „Audition“, Karaoke und Talentshow entsteht. Wenn sich ein Kandidat aber mal wirklich mit „DSDS“ beschäftigt, merkt er doch, dass die Gewinner nicht lange im Geschäft bleiben. Also ist er naiv. Das muss man differenzieren. Ich finde nicht, dass die Gewinner nur kurz im Geschäft sind. Sie sind nur kurz auf diesem absoluten Superpeak, der über einer Maschinerie hergestellt wird, welche sich die Plattenindustrie sonst in hundert kalten Wintern nicht leisten könnte. Wenn man die von RTL ausgehende Promotion, welche die Gewinner so groß macht, bezahlen müsste, würde man sicherlich auf acht bis zehn Millionen Euro kommen. So viel in ein einziges Album zu investieren, ist völliger Quatsch, denn selbst, wenn du drei Millionen Kopien davon verkaufst, rechnet es sich nicht. Also geht es nur darum, dem Selbstzweck des Mediums gerecht zu werden. Später wird immer gesagt, die Gewinner seien weg vom Fenster, was so aber nicht stimmt. Alexander Klaws hat einen Job als Musical-Sänger und verdient gutes Geld. Auch Mark Medlock verdient gutes Geld, weil die Leute, egal, was er macht, einfach seine Platten kaufen. Genau genommen hat er den Platz von Thomas Anders eingenommen (lacht), was da mit ihm und Dieter Bohlen läuft, fühlt sich an wie eine Fortsetzung von Modern Talking. In Amerika funktioniert der Umgang mit Gewinnern anders. Sie werden nicht selten zu internationalen Stars. Liegt das nur an besseren Produzenten? In Amerika wird mit Erfolg ganz anders umgegangen als in Deutschland. In Amerika entsteht daraus Respekt, in Deutschland Neid. Du darfst hier erstmal keinen Erfolg haben. Wir arbeiten ja zum Beispiel mit Thomas Godoj zusammen, der gerade ein neues Album gemacht hat. Das ist sehr schön geworden – und trotzdem wird es erst mal argwöhnisch betrachtet werden: ‚Ach, das ist doch der aus der Castingshow!’ Obwohl das Album viele mögen werden. Das ist dann so, wie wenn die Leute sagen, sie gingen nicht zu McDonald’s oder läsen keine Bild-Zeitung. Kaum ein Volk geht zum Lachen so tief in den Keller wie die Deutschen. Dass die Backstreet Boys, N’Sync oder Kelly Clarkson auch Casting-Stars waren, interessiert hier keinen Menschen. Die Leute wollen Thomas Godoj zunächst scheitern sehen. Letztendlich sind doch aber auch Produzenten wie Dieter Bohlen am schnellen Karriereende von Castingshow-Gewinnern Schuld. Ja, das sehe ich genau so. Und hier kommt dann doch deine Naivitätstheorie ins Spiel: Wenn jemand glaubt, sich eine langfristige Karriere durch die Zusammenarbeit mit Dieter Bohlen oder ähnlich gearteten Produzenten wie Alex Christensen aufbauen zu können, liegt er völlig falsch. Ich habe nichts gegen Bohlen, auch nichts gegen Christensen, wir vertragen uns alle gut. Aber trotzdem: Diese Produzenten haben alles, aber kein Interesse daran, dass eine Karriere langfristig läuft. Die wollen einfach nur möglichst schnell und möglichst viele Nummer-Eins-Hits produzieren. Was mit den Leuten danach passiert, interessiert die einen Scheiß. Am Ende werden sie nie sich selbst, sondern immer den Künstlern die Schuld an deren Karriereende in die Schuhe schieben. Dazu leben die den Boulevard viel zu sehr, Bohlen ist ja geradezu fleischgewordener Boulevard, hat den gefühlt sogar erfunden. Bohlen ist aber absolut echt, er ist authentisch, und er tut alles aus Überzeugung. Man muss nur aufpassen, dass man ihm nicht auf den Erfolgs-Leim geht. Es gibt ja schließlich keine Regel, dass man sich von Bohlen produzieren lassen muss. Das steht in keinem Vertrag. Diejenigen, die das machen, tun es freiwillig. Würdest du einem talentierten jungen Singer/Songwriter die Teilnahme an einer Castingshow wie „DSDS“ empfehlen? Ich würde ihm raten, wenn er die Nervenstärke besitzt, an einer Castingshow teilzunehmen. Weil man dort eine ganze Menge lernt, vor allem den Umgang mit Medien und der Öffentlichkeit. Und auch dafür muss man ein Talent haben oder zumindest eines entwickeln. Wenn jemand nur toll singt und genauso toll aussieht, in Interviews aber anfängt zu stottern und zu sabbern und Leute zu beleidigen, wird das nichts mit ihm. Aber ein klassischer Singer/Songwriter wird es in Deutschland generell sehr schwer haben. Die John Mayers wachsen hier ja nicht gerade auf den Bäumen, so etwas kennt man hier kaum. In Amerika ist das anders, da geht man als Singer/Songwriter mit einer ganz anderen Motivation an den Start, deswegen gibt es dort auch wesentlich mehr entdeckte Telente. Dort läuft es auch ganz anders ab. Wenn jemand ins Radio möchte, heißt es: ‚You pay, you play!’ In Deutschland muss man erst mal einen Redakteur überzeugen, und es entsteht sozusagen wieder ein Casting, nur auf einer anderen Ebene. Welche Mittel, außer guten Songwritern, benutzt du, um Thomas Godoj möglichst lange im Geschäft zu halten? Er hat eine hervorragende Booking-Agentur, spielt live und nimmt sich viel Zeit für seine Fans. Außerdem spielt er im klassischen Sinn die Ochsentour. Klar tritt er auch vor 4000 Leuten im Palladium in Köln auf, aber eben auch in einem Schweinfurter Kellerclub vor 600. Das muss sein, auch wenn er eigentlich schon seit zehn Jahren im Geschäft ist. Weil ihn vor „DSDS“ keiner wahrgenommen hat, und er wieder zum Freshman wurde. Er ist ein Newcomer und muss sich erst etablieren. Wird es „DSDS“ und „Popstars“ in zehn Jahren noch geben – oder werden diese Formate bald von „YouTube“ und „MySpace“ verdrängt werden? Ich glaube, dass es da eine Koexistenz geben wird. „Popstars“ ist ja eher die billigere Variante einer Castingshow, wenn man sie mit „DSDS“ vergleicht. Bei „DSDS“ steckt viel mehr Geld dahinter, und mit dem Format wird auch wesentlich mehr Geld verdient. Trotzdem gibt es auch da echte Freakshows oder aber ganz langweilige Kandidaten wie zuletzt Daniel Schumacher. Auf der anderen Seite wird es immer wieder Phänomene geben wie Colbie Caillat, die sich über Videos oder Podcasts präsentieren und auf diesem Weg berühmt werden. Ich sage ja immer, dass man eigentlich zwischen medial gepushter Musik und „echtgewachsener" Musik trennen sollte. Ich unterscheide da zwischen Plastik und Holz. Also zwischen gemacht und gewachsen. Es gibt Leute, für die ist es das Normalste der Welt, jemanden wie Lady Gaga als Star zu akzeptieren. Wo ich einfach sagen muss: Die Musik ist scheiße, die Alte ist scheiße, und das ganze Produkt ist am Reißbrett erfunden, absolut gemacht. Das darf ja alles und gerne passieren, aber es sollte nicht mit echter, gewachsener Musik in direkter Konkurrenz stehen. Als vor neun Jahren die erste „Big Brother“-Staffel lief, kam irgendwann ein Zlatko als Gewinner da raus und schaffte es mit einem Song auf die Eins. Im gleichen Moment erschien ein neues U2-Album, das es nicht mal in die Top Ten schafft. Der Konsument denkt dann: ‚U2 ist auf Platz 15, Zlatko ist auf Platz Eins - also ist Zlatko besser.’ Aus meiner Sicht ist das Kernproblem von Bohlen, dass er Qualität und Erfolg verwechselt. Aber wenn etwas erfolgreich ist, muss es nicht zwangsläufig auch gut sein. Wenn alles, was massenweise gekauft würde, auch gut wäre, dann würden wir in einer nahezu perfekten Welt leben. Hast du eine Idee von der perfekten Castingshow? Es gibt keine perfekte Castingshow. Wir brauchen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und im Rundfunk, auch gemäß dem Auftrag dieser Anstalten, einfach wieder deutlich mehr Fläche für Musik. Dafür bezahlen wir die Scheiße doch auch. Denn, mal ehrlich: „DSDS“ beschäftigt sich eigentlich nur zufällig mit Musik. Es hätte auch schief laufen können, und dort wäre ein Wettsprühen an Wänden veranstaltet worden. Jedes für den Boulevard verwertbare Thema hätte dort stattfinden können. Dass „DSDS“ trotzdem so einen gewaltigen Einfluss auf den Musikmarkt und/oder das Sich-mit-Musik-beschäftigen hat, ist doch bezeichnend, oder? „DSDS“ ist, egal wie man die Sendung sieht oder wahrnimmt, eine der größten Musiksendungen im europäischen Fernsehen. Außerdem: Warum nimmt nicht man den Sendeplatz, auf dem nachts Bahnstrecken Europas gesendet werden und sendet stattdessen einen Gig? Früher hat ein Jürgen von der Lippe in „Geld oder Liebe“ gute Musiker vor ein Sechs-Millionen-Publikum geschoben. Heute kann man maximal noch zu einem Geißen in seine blöde Chartshow gehen und sich da zum Vollhorst machen. Oder darauf hoffen, dass Gottschalk alle sechs Sendungen vielleicht mal was anderes macht, als nur die Megastars aus Amerika zu importieren. Der soll mal von seinem Retro-Trip runterkommen. Oder endlich aufhören.