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Drei Filme, drei Länder, ein Festival
"Eine wollte unbedingt diese Buffalos mitnehmen"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mia Spengler, 27, zeigt auf dem Festival der Filmhochschulen ihren Film "Nicht den Boden berühren". Sie studiert szenische Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Voraussichtlich 2014 macht sie ihr Diplom.
jetzt.de: In wenigen Sätzen - worum geht es in deinem Film?
Mia: Es geht um ein 15-jähriges Mädchen namens Fila, die sehr verzweifelt versucht sich ihrer Umwelt anzupassen und beliebt zu sein. Sie ist bereit, sehr viel eigenes dafür aufzugeben und die Liebe zu opfern. Für uns ging es aber auch viel darum, das Fehlen von Frauenvorbildern bei Mädchen in diesem Alter zu thematisieren.
Der Film spielt in den 90er-Jahren. Warum?
Das hatte mehrere Facetten. Meine Autorin Stefanie Schmitz und ich haben das Buch zusammen geschrieben und als wir angefangen haben, zu dem Thema "Frauenvorbilder bei jungen Mädchen" zu recherchieren, haben wir natürlich erstmal in unserer eigenen Jugend geschaut. Jede Session endete dann aber damit, dass wir uns verschiedene Clips von damals auf Youtube gezeigt haben - LL Cool J und solche Musik. Darüber kamen Erinnerungen hoch, was man damals so an Musik hörte, wie man sich angezogen hat, sowas. Irgendwann meinte Stefanie dann "Warum spielt das eigentlich nicht in den 90ern?". Dann haben wir angefangen, uns mehr mit der Zeit zu beschäftigen, und haben dabei die These entwickelt, dass jung sein in den 90ern eine Besonderheit hatte, weil es ja die letzte Generation war, bevor das Internet kam.
Was bedeutete das für diese Generation?
In dieser Zeit wurde die Zielgruppe von elf bis 18 unglaublich zugeballert mit Informationen, Modevorgaben und so weiter. Formate wie die Bravo, aber auch die ganzen Privatsender haben das sehr fokussiert. Die 90er waren die Zeit der Kommerzialisierung und der Suchtkultur und das wurde dann auch ständig von den Massenmedien aufgegriffen. Das fanden wir spannend im Bezug auf unser Thema. Es gibt bei Jugendlichen so eine Art Werte-Vakuum und die Gesellschaft schaffte es dann auch nicht, die Verbindung zu den jungen Menschen zu halten. Deshalb kommt in unserem Film auch keine Eltern-Generation vor, das war ein ganz bewusstes Mittel.
Ist der Film auch autobiographisch? Du bist ja selber in den 90ern aufgewachsen.
Nein. Natürlich sind viele Situationen aus dem Leben gegriffen und so anders waren die Kreise, in denen ich in dem Alter rumgehangen habe, auch nicht. Aber es ist keine Autobiographie.
http://www.youtube.com/watch?v=4K3tAJT3vQA
Wie haben die Darstellerinnen, die ja beim Dreh alle erst 16 waren und die 90er somit nicht wirklich kennen, auf eure fiese Klamottenauswahl reagiert?
Das war ziemlich lustig. Wir hatten ein Fitting zwei Tage vor Drehbeginn und die Kids haben so abgekotzt über die Klamotten. Die fanden das alles so hässlich, auch die Frisuren. Und dann meinten die "Wie könnt ihr uns denn so vor die Kamera stellen?". Irgendwann kamen sie dann aber mehr rein und wir hatten für das Zimmer von Fila, also der Hauptdarstellerin, Jugendfotos von uns mitgebracht. Als sie diese Fotos dann gesehen haben und wussten, dass wir ernsthaft so rumgelaufen sind, hat das der Situation dann was Lockeres gegeben. Am Ende waren dann alle total geflasht. Eine wollte unbedingt diese Buffalos mitnehmen und Emma, die Hauptdarstellerin, hat ihre Tattoo-Kette auch mitgenommen. Als ich sie dann vor drei Monaten sah, hat sie die immer noch getragen. Dieser ganze 90er-Kram kommt jetzt ja auch wieder in Mode. Beim Dreh war es noch gerade so uncool und danach haben uns schon Schauspieler angerufen, ob sie was aus unserem Fundus benutzen dürfen.
Wie haben junge Leute auf euren Film reagiert?
Wir haben gemerkt, dass die Probleme, die wir in dem Film darstellen, universell sind. Wir sind mit dem Drehbuch zur Recherche auch in Gymnasien und Realschulen bei Klassen in der Altersgruppe gewesen und das war ganz schön, was da für Feedback kam. Ein 15-jähriges Mädchen meinte zum Beispiel: "Ja, das ist so, wie man immer ist aber eigentlich nicht sein will." Die konnten damit schon was anfangen. Der Film kommt bei jüngeren Menschen von zwölf bis 18 gut an. Und die um die 30 verstehen natürlich auch jede Pointe, weil sie sich so zurückversetzt fühlen. Schwierig wird es bei Menschen über 50 Jahren. Aber was noch sehr lustig ist: Viele Frauen, die nach dem Film auf uns zukommen, erzählen, dass sie den gleichen Pimkie-Rock wie die Hauptdarstellerin damals hatten. Das ist so eklatant.
Ich hatte nur so eine Tattoo-Kette wie die Hauptdarstellerin.
Ja, die hat man auch nie ausgezogen. Es gab da auch noch Ringe und Armbänder von. Die gab's immer auf der Bravo Girl und sowas. Da ging man dann zur Tankstelle und hat die schnell alle abgerissen und in die Tasche gesteckt.
Du kommst aus München, bist aber in Hamburg aufgewachsen. Was wirst du während des Festivals hier machen?
Die polnischen Großeltern meines Freundes besuchen. Und das Glockenspiel am Marienplatz angucken. Das habe ich als Kind immer sehr geliebt.
"Auch wenn das sehr klischeehaft für einen Franzosen ist - ich wollte vor allem eine Liebesgeschichte erzählen."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Romain Laguna, 27, studiert an der Pariser Filmhochschule La Fémis. Auf dem Festival zeigt er seinen Film "Run".
jetzt.de: Worum geht es in deinem Film "Run"?
Romain: Der Film handelt von einem jungen Paar in einer Krise. In einer Welt, in der die Individualität und Selbstverwirklichung des Einzelnen immer wichtiger wird, ist es auch schwerer andere zu lieben. Abgesehen von den Personen im Film geht es aber auch generell um Jugendliche am Abgrund. Die Gesellschaft hat sie aufgegeben und sie suchen nach Adrenalinkicks. Der Hauptdarsteller in dem Film, Cédric, macht deshalb zum Beispiel illegale Autorennen. Auch wenn das ein sehr hartes Thema ist, wollte ich es trotzdem optimistisch zeigen. Das Ende ist zwar offen, aber zumindest halten Cédric und seine Freundin Dounia zusammen. Das ist auch die einzige Möglichkeit, so etwas zu überstehen: Man muss zusammenhalten.
Wie kamst du auf die Idee zu diesem Film?
Ich glaube, ich bin romantisch. Auch wenn das sehr klischeehaft für einen Franzosen ist - ich wollte vor allem eine Liebesgeschichte erzählen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Im Film gibt es eine Gewaltszene, in der die Hauptfigur Dounia ihren Freund mit einem Baseballschläger verprügelt. War es schwer, diese Szene zu drehen?
Das Schwerste war nicht, das zu drehen, denn das Drehbuch ist im Endeffekt ziemlich einfach. Aber es zu schaffen, dass sie ihre Überforderung in der Situation herüberbringt, das war schwer. Ich habe keine besondere Methode im Umgang mit den Schauspielern, ich versuche einfach immer in Hörweite zu sein. Sie aufzumuntern, wenn sie das brauchen, auch sie aufzurütteln. Aber für diese Szene habe ich bewusst die Schauspielerin ganz auf sich gestellt. Sie kam zu mir, um mich zu fragen: "Und jetzt?" und ich habe ihr nicht geantwortet. Ich wollte, dass sie sich wirklich verloren fühlt. Am Ende der Drehnacht war sie sehr erledigt, physisch und psychisch. Aber ich glaube, es hat funktioniert.
Du hast an der Filmhochschule Fémis in Paris studiert. Was hast du genau studiert und was möchtest du später machen?
Ich habe vier Jahre lang Produktion studiert. Ich war sehr zufrieden, dass ich es an diese Schule geschafft habe, aber noch zufriedene war ich, als ich damit fertig war. In der näheren Zukunft werde ich mich der Regie widmen, aber früher oder später möchte ich gleichzeitig Filme von anderen produzieren. Ich denke, es ist wichtig, dass man mehrere Sachen gleichzeitig machen kann.
Wie ist die Situation für Filmemacher in Frankreich?
Ich habe Glück, dass ich in einem Land lebe, in dem die Filmindustrie sehr aktiv ist. Frankreich produziert jedes Jahr mehr als 200 Spielfilme. Was ich dagegen bedauere, ist das Zweiklassenkino. Um es kurz zu machen, weil man über das Phänomen sehr lange sprechen könnte, es gibt einerseits Filme fürs große Publikum, meistens ziemlich schlechte Komödien, und andererseits Autorenfilme, die aber nur wenig Zuschauer haben. Ich träume von einem Kino, das gleichzeitig beliebt und anspruchsvoll ist, von Autorenfilmen, die an ihr Publikum glauben. Davon, glaube ich, ist noch mehr zu erwarten als vom amerikanischen Kino.
Was wirst du in München alles unternehmen?
Ich komme nicht von weit, trotzdem ist es mein erstes Mal in Deutschland. Noch lieber als München entdecken würde ich gerne Franck Ribéry treffen. Es scheint, als wäre er hier ein großer Spieler.
"Erotisch vor einem Auto tanzen ist in jedem Alter unangenehm"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Muriel d'Ansembourg, 40, hat gerade an der Londoner Filmhochschule LFS Ihren Masterabschluss gemacht. Die gebürtige Holländerin zeigt auf dem Festival ihren Abschlussfilm "Good Night".
jetzt.de: Worum geht es in deinem Film?
Muriel: Es geht um zwei 14-jährige Mädchen, die nachts in London ausgehen. Sie wollen älter wirken als sie eigentlich sind und endlich erwachsen sein. Dafür ziehen sie sich sehr provokativ an, was Mädels in London halt so machen, wenn sie ausgehen. Dabei imitieren sie sexuelle Darstellungen, die sie in den Medien gesehen haben. Sie denken, mit ihrer Sexualität zu spielen, sei erwachsen. Das geht aber alles zu schnell und sie geraten dadurch in schwierige Situationen mit älteren Männern, die die Mädchen für älter halten.
Wie kamst du auf die Idee für den Film?
Als ich von Amsterdam nach London zog, wohnte ich in einer Gegend mit viel Nachtleben. Wenn ich nachts heimlief, sah ich dann viele von diesen jungen Mädchen in Minirock und Highheels rumlaufen. Sie waren sehr betrunken, fielen hin. Und als ich sie sah, dachte ich schon: "Wow. Ich kenne die nicht einmal und mache mir trotzdem Sorgen, wie sie heimkommen. Ob es jemanden gibt, der sich um sie kümmert?". Danach dachte ich darüber nach, wie es war, ein Teenager zu sein und dass man damals so unsicher war, wie man ist und sein will. Deshalb hat man das damals oft überspielt und sich älter gemacht. Erwachsen gespielt. Ich dachte also darüber nach, was passiert, wenn Menschen einem das abkaufen. Die Mädchen heute sehen ja auch wirklich älter aus als sie sind. Das war so die Anfangsidee. Gleichzeitig wollte ich die Geschichte von einem jungen Mädchen und einem älteren Mann erzählen, die in eine doppeldeutige Situation geraten. Das Mädchen in dem Film ist ja auf Abenteuer aus, sie testet sich aus. Sie will wissen, wie dieser Typ darauf reagiert, und deshalb verschwimmen die Grenzen. Man kann nicht mehr sagen, was da noch gut und böse ist. Nach so einer Nacht denkt man als junges Mädchen dann oft: "Das war wirklich nicht sehr clever von mir letzte Nacht. Aber ich kann es nicht mehr ändern."
Wie haben die Leute auf dem Film reagiert?
Insbesondere Eltern kommen nach den Screenings oft auf mich zu und sagen "Ich bin so froh, dass die Mädchen in dem Film heil nach Hause kommen. Danke, dass du das ab einem gewissen Punkt gestoppt hast." Das war mir wichtig: Ältere Männer haben ja auch Verantwortung und müssen die Grenze zwischen sich und diesen jungen Mädchen ziehen. Das ist nicht immer leicht, aber in dem Film funktioniert es.
Und die jungen Leute?
Mir haben viele gesagt, dass sie sich in dem Film ernstgenommen fühle. Dass ich die beiden Mädchen nicht bevormunde oder sie werte. ich beschönige aber auch nichts. Ich habe sogar von einer Jugend-Jury in Norwegen einen Preis für den Film bekommen. Das hat mich natürlich besonders gefreut.
http://vimeo.com/37258224
In dem Film gibt es eine Szene, in der die Hauptdarstellerin sich einen wodkagetränkten Tampon in die Vagina schiebt. Wie war es, das zu drehen?
Das war sehr lustig. Man sieht in der Szene ja nur die Beine von dem Mädchen. Würde die Kamera noch höher gehen, würde man sehen, dass sie einen nassen Schwamm an ihre Oberschenkel presst. Den hat sie dann immer gedrückt und das Wasser lief raus. Dann mussten wir manchmal sagen "Stop, das ist jetzt schon ein Wasserfall, das ist unrealistisch". Ich hatte vorher mal davon gelesen, dass Menschen so etwas tun. Erst dachte ich "das ist ja verrückt". Dann sah ich Videos auf Youtube dazu und habe ein bisschen recherchiert. Das gab der Story nochmal eine Portion Unwohlsein, wenn man zuschaut. Weil man ja als Zuschauer weiß, dass sowas keine gute Idee ist.
In einer anderen Szene tanzen die beiden Mädchen erotisch im Scheinwerferlicht eines Autos. Eure Darstellerinnen waren beim Dreh beide 16 - war das komisch für sie?
Erotisch vor einem Auto tanzen ist in jedem Alter unangenehm. Aber genau das soll die Szene ja auch sein. Für die Mädels war es also eine ziemliche Herausforderung. Aber wir hatten glücklicherweise einen Choreographen, der ihnen geholfen und das mit ihnen eingeübt hat. Er hat ihnen dann auch gesagt, dass sie das nicht halbherzig machen dürfen - denn darum geht es ja, wenn man Schauspielerin ist: Man ist verletzlich. Mich bewegt das immer noch, wenn ich diese Szene sehe. Die Mädchen sind so verwundbar.
Du warst bereits bei einer Vorführung des Films in München dabei. Wie hat es den Leuten gefallen?
Die Reaktionen waren sehr positiv und die Leute sehr interessiert. Ich glaube, ich musste noch nie so viele Fragen zur Technik und der Ausleuchtung beantworten. Außerdem kamen die Leute danach wirklich nochmal auf mich zu, das war herzerwärmend. Prinzipiell habe ich auch durch die Gespräche mit anderen das Gefühl, die Leute hier sind was Filme angeht nicht so in Eile. Auch an den Filmhochschulen geht es nicht darum, bloß viel zu produzieren. Man kann sich Zeit nehmen. Das finde ich gut.
Text: charlotte-haunhorst - Fotos: Festival der Filmhochschulen