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"Dieser Wahltag war für die Leute wie ein Volksfest"
Wahlplakate in einem Flüchtlingslager, Foto: dpa Frau Asseburg, Sie waren bei den Wahlen letzte Woche in den palästinensischen Gebieten anwesend. Wie war Ihr Eindruck? Ich war sehr beeindruckt von dem Wahlprozess. Die Leute in den Wahllokalen waren sehr gut ausgebildet und haben sich bemüht, alles regulär und ordentlich zu machen. Nicht so sehr die internationale Präsenz, sondern die Menschen vor Ort haben dafür gesorgt, dass die Wahl so gut verlaufen ist. In jedem Wahllokal gab es rund fünf bis acht lokale Beobachter, sowohl von NGOs, als auch von Parteienvertretern. Die haben den Wahlprozess sehr genau beobachtet und hatten auch die Möglichkeit, Beschwerden einzulegen. Für viele, gerade für junge Palästinenser, waren es die ersten Wahlen. Hat man das gemerkt, waren die Leute aufgeregt? Dieser Wahltag war für die Leute wie ein Volksfest. Man hat gemerkt, dass es ein sehr wichtiger Tag war. Und, dass die Menschen dort das Gefühl hatten: Das sind tatsächlich demokratische Wahlen. Diese Wahl war ja die erste auf nationaler Ebene, bei der die Palästinenser eine richtige Auswahl hatten. Das war bei den Parlamentswahlen 1996 nicht wirklich der Fall gewesen. Jetzt gab es nicht nur die Fatah und die Hamas, sondern auch noch neun andere, kleinere Parteien. Dieses Gefühl, dass es jetzt echte Wahlen gibt und dass man jetzt seiner Meinung Ausdruck verleihen kann, das war sehr stark. Waren die Menschen unsicher? Immerhin gibt es da noch nicht die Wahlroutine wie in Deutschland. Nein. Ich habe bei der Stimmenauszählung gesehen, dass die Palästinenser sehr genau verstanden haben, was sie sagen und was sie ausdrücken wollen. Das Wahlsystem war recht kompliziert, weil man unterschiedlich viele Stimmen hatte, je nach dem, wie viele Sitze dem Distrikt im Parlament zukommen. Die Leute haben das sehr bewusst eingesetzt. Und sie haben sehr deutlich gemacht, dass sie eine Veränderung wollen. Daher kommt auch die sehr, sehr große Mehrheit, die Hamas in den Wahlen errungen hat. Wie stark der Drang nach Veränderung, nach Reformen und nach einem Ende der Korruption ist, das war vielen nicht so bewusst. Deshalb waren letztlich alle erstaunt, wie groß der Sieg der Hamas war.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Muriel Asseburg Wer wählt denn die Hamas? Sind das alles Islamisten? Radikalisierte, junge Menschen? Detaillierte Analysen dazu gibt es bisher noch nicht. Aber ich habe am Wahltag mit sehr vielen Menschen geredet und gesehen, dass die unterschiedlichsten Leute Hamas gewählt haben. Es gibt Menschen, die traditionell eher Hamas und dem ideologisch-religiösen Hintergrund nahestehen, aber viele haben Hamas gewählt, um der Fatah einen Denkzettel zu verpassen. Ich habe mit Christen gesprochen, die dieses Mal Hamas gewählt haben, und mit Menschen, die bisher immer die Fatah unterstützt haben. Es sind also nicht nur die Religiösen, die Jungen oder die, denen es besonders schlecht geht. Sehr viele Menschen wollten, dass sich etwas ändert, dass es Reformen und ein Ende der Korruption gibt. Und dafür wählt man die Hamas? Ja. Die Hamas ist ja nicht unter dem Namen „Hamas“ angetreten, sondern unter dem Parteinamen „Wandel und Reformen“. Sie hat auch ihren Wahlkampf in erster Linie unter diesem Motto geführt. Der bewaffnete Kampf gegen Israel war im Hamas-Wahlkampf eigentlich kein Thema. Kann man darauf hoffen, dass die Hamas ihre Politik auch entsprechend gestalten wird? Sie wird bestimmt versuchen, diese innenpolitische Agenda umzusetzen. Das heißt: Untersuchungskommissionen einzurichten über die Korruption und die großen Skandale von Selbstbereicherung und Mittelverschwendung, die es gegeben hat. Vor allem aber muss Hamas eine Regierung bilden, die das Überleben der palästinensischen Bevölkerung sichern kann. Dabei ist Hamas ganz stark angewiesen auf die Kooperation mit Israel und der internationalen Gemeinschaft. Wenn etwa die EU ihre Unterstützungszahlungen einstellt, wird Hamas Ende nächsten Monats keine Gehälter auszahlen können – an Sicherheitskräfte, Lehrer, Professoren und die Beschäftigten im Gesundheitssystem. Wird sich die Hamas, wenn die EU nicht zahlt, Ländern wie dem Iran zuwenden? Die Hamas hat sehr deutlich gemacht, dass sie Interesse an einer EU-Unterstützung hat. Die EU wiederum hat vorgestern beschlossen, dass sie weiter zahlen wird, wenn die Hamas einen Gewaltverzicht garantiert. Damit sind die Türen offen. Die Chancen, dass Hamas tatsächlich einen Waffenstillstand verkündet und diesen auch durchzusetzen kann, sind relativ groß. Alles, was darüber hinaus und in Richtung Verhandlungen mit Israel geht, steht meiner Ansicht nach ohnehin nicht auf der Agenda. Auch Israel hat in der letzten Zeit eine unilaterale Politik gefahren.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ausgehängte Wahllisten in Ost-Jerusalem; Foto: dpa Die Aufregung nach den Wahlen war sehr groß. Muss man sich jetzt erst recht Sorgen um das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern machen? Ich kann gut verstehen, dass eine gewisse Aufgeregtheit besteht, weil Hamas auf der Liste der terroristischen Organisationen der EU und der USA steht und weil in ihrer Charta die Vernichtung Israels enthalten ist. Damit hat die Hamas aber keinen Wahlkampf gemacht und dafür haben die Palästinenser sie auch nicht gewählt. Die Chance, dass Hamas versucht, einen pragmatischen Weg zu finden, ist groß. Man hat in den letzten Tagen und bereits vor der Wahl gesehen, dass sie sich um moderatere Positionen bemüht. Es macht aber keinen Sinn, als erstes zu verlangen, dass Hamas Israel anerkennt. Das kann sie aus ihrer eigenen Logik heraus nicht tun, damit würde sie sich selbst untreu werden. Was hat sich denn durch die Wahlen verändert, wenn der Unterschied zwischen Fatah und Hamas gar nicht so groß ist? In der Tat haben sich die Grenzen zwischen dem Ansatz der Fatah – Zweistaatenlösung und Verhandlungen – und dem der Hamas – „Befreiung ganz Palästinas“ und bewaffneter Kampf – im Laufe der Intifada aufgelöst. Auch die Al-Aksa-Brigaden, die der Fatah nah stehen, haben Selbstmordattentate verübt. Im gesellschaftlichen Bereich hat die Hamas aber einen deutlich anderen Ansatz. Sie will in den palästinensischen Gebieten teilweise eine islamische Gesellschaftsordnung durchsetzen. Darüber machen sich viele Palästinenser auch Sorgen. Was würde das denn für die Menschen bedeuten? Es geht darum, den Verkauf und Ausschank von Alkohol zu verbieten, eine striktere Geschlechtertrennung durchzusetzen, eventuell auch die islamische Kleiderordnung. Darüber hat die Hamas aber nach dem Wahlkampf noch keine klaren Aussagen gemacht. Aber wenn man sich den Gaza-Streifen anschaut: dort ist das im Großen und Ganzen schon verwirklicht. Es wird allerdings aus der palästinensischen Gesellschaft heraus relativ starken Widerstand gegen solche Veränderungen geben. Insgesamt bleibt das abzuwarten, denn auf jeden Fall wird die Hamas Kompromisse schließen müssen.