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"Diese Universitäten gebären keine Revolutionäre!"
Vielleicht sollten wir als Erstes klären, was Sie mit meiner Waschmaschine zu tun haben? Funktionierende Waschmaschinen sind Produkte der Firma Siemens, die von meinem Ur-Ur-Urgrossvater gegründet worden ist. Bei nicht funktionierenden Waschmaschinen handelt es sich um billige Kopien aus Fernost, von denen ich mich distanziere; sie gehören sofort vom Markt genommen. Hat Ihnen dieser Name während ihrer Zeit in Oxford irgendwelche Vor- oder Nachteile gebracht? In England wurde ich nicht mit Großindustrie in Verbindung gebracht. Mein Name hat niemanden interessiert. Das fand ich ganz toll. In Ihrem Buch geht es um die Geschichte von „Rattles“, einem jungen Studenten aus Deutschland, der sein erstes Jahr in Oxford erlebt. Irgendwie haben er und der Leser dauernd das Gefühl, das echte studentische Leben dort zu verpassen. Was macht er falsch? Der Held im Buch jagt von Beginn an einer Sehnsucht nach: Er möchte zum Establishment gehören und auf eines „der großen Häuser“ eingeladen werden, von denen ihm sein Patenonkel erzählt. Er lebt in einer Projektion und merkt nicht, dass er es bereits unheimlich gut hat. Es ist die alte Geschichte: Hungriger Mann aus der Provinz kommt in die große weite Welt und verliebt sich in eine Frau, die seine Begehrlichkeiten verkörpert. Sehnsucht ist ein sehr deutsches Gefühl; in der Fremde behindert es Rattles. Er versucht sich ja auch äußerlich anzupassen und alles richtig zu machen, aber es geht oft schief. Warum kann er die Codes dieses legendären Ortes Oxford nicht richtig lesen? Es geht nicht ausschliesslich um Codes; was Rattles erlebt sind die Fußangeln, die einem das Leben stellt. Gerade dadurch, dass er sich unbedingt anpassen möchte, macht er sich zum Affen. Alles wäre einfacher, wenn er so bliebe wie er ist. Diese Unsicherheit deckt sich mit meinen Erlebnissen, als ich Ende der 80er in Oxford studiert habe – das erste Jahr war man die ganze Zeit nur „embarrased“ und „intimidated“. Oxford und Cambridge stelle ich mir immer wie zwei gediegene Clubs mit sehr strengen Türstehern vor, ist das so? Der Clubgedanke ist nicht ganz falsch, aber Clubs wirken von außen immer bedrohlicher als von innen. Die Briten sagen zum Beispiel als Erstes zu uns Deutschen: „You are so German!“ Darüber ist man ganz verdattert, dabei sind diese Worte eigentlich nur ein Eröffnungsbeinstellen, eine Einladung gewissermaßen zum Gespräch. Wenn man den Ball aufnimmt und antwortet: „Engländer finde ich scheiße“, dann finden die das meistens ganz toll. Trotzdem übt das ja eine starke Faszination aus, dieses Efeu-Englische, die alten Universitäten, die Maßanzüge und Herrenclubs. Woher kommt das? Der typische Anglophile ist in der Regel ein Snob - dabei hätte er auch Punk, Mod, Gärtner oder David Bowie werden, das sind ja alles britische Subkulturen, die aus der Reaktion auf das Klassensystem entstanden sind. Die Faszination die Sie ansprechen liegt, denke ich, zu großem Teil an der Erfindung eines zivilisatorischen Ideals: des Gentlemans. In England scheint damit etwas möglich zu sein, was es nirgendwo sonst gibt: Das Höfische, Vornehme und Arrivierte ist von Familie und Stammbaum getrennt, stattdessen gibt es mit dem Gentleman eine Form, die man selber erwerben kann. Zum einen durch Erziehung wie auf den Internatsschulen, zum anderen natürlich durch äußere Attribute. Insofern haben sich schon immer Europäer, die sich in ihrem Land und ihrer Klasse gefangen gefühlt haben, nach England orientiert und dorthin gezogen gefühlt. Das strenge Klassensystem wurde und wird dort bis heute von einer Revolution nicht beiseite gespült, weil es jedem das Gefühl gibt, das er sich darin verbessern kann; möglicherweise gibt es auf der Insel sogar mehr Mobilität in der Gesellschaft als bei uns. Wenn man mit diesen altehrwürdigen Idealen nach London reist wird man aber eher enttäuscht, das Land wirkt ziemlich marode, die wirtschaftlichen Probleme sind enorm und die Fenster sind selbst in guten Hotels undicht. Wie verträgt sich das mit dem noblen Ruf von Oxford und der höfischen Attitüde? Die Engländer haben die Tendenz sich im Alltag durchzugammeln, aber wenn es drauf ankommt, reißen sie sich zusammen und wachsen über sich hinaus. „Rising to the occasion“ nennt man das - beispielhaft vorgemacht im „Herr der Ringe“. Da sind diese komischen, kleinen, dicken Hobbits, die wohnen faul und verfressen in Erdlöchern. Aber wenn sie angepiekst werden, dann bringen sie Sauron zu Fall. So sehen sich die Briten auch. Dinge wie Sauberkeit, fehlerfreie Funktion oder Hygiene sind dort nicht so eminente Werte wie bei uns. Die Banker kaufen sich in London für ein Scheißgeld ein Rattenloch, in dem in Deutschland niemand wohnen wollen würde. Wie waren Ihre Erfahrungen in Oxford, ist das wirklich die beste Lehre die man kriegen kann? Oder ist nicht die TU München eigentlich gleich gut? Oxford war für mich vor allem eine Lebenserfahrung, die nur vielleicht zu 40 Prozent aus der Lehre bestand. Der Rest, den ich mitnahm, war einfach das Leben dort. Ganz entscheidend waren die Societies, eine Art Castingshow fürs Leben. Da gab es Studentenzeitungen, in denen man Journalist spielen konnte, es gab Debattierclubs, wo kann man Politiker sein durfte, oder Sportmannschaften, in denen man sich als Profisportler gab. Das Tolle an Oxford ist bis heute: Es geht darum, den Studenten die Möglichkeit zu geben, ganz viel aufzusaugen, Irgendwas aus Freude zu studieren und dann nachher etwas ganz anderes zu machen. Ich halte das für nicht schlecht, aber es funktioniert nur, weil die Studenten in Oxford in der Regel nur drei oder vier Jahre sind. Wenn sie rauskommen sind sie 22 oder 23 und können noch alles werden. Man kann auf keinen Fall bis 30 an der Uni Bohèmien sein mit Griechisch und Latein, und dann Zahnarzt werden wollen - das klappt nicht. Wie kommt man denn als deutscher Schüler nach Oxford? Mit viel Geld? Erstmal: Oxford bemüht sich um die besten und nicht um die reichsten Studenten, die Uni bekämpft ihren sozial elitären Ruf aktiv. Man will den Spitzenplatz im Uni-Ranking behalten und sucht deswegen die beste Studenten, damit man wiederum die besten Professoren anzieht, die dort genügend gute Mitarbeiter finden sollen um den Nobelpreis zu gewinnen. Es gibt ein Auswahlverfahren, zu dem sich jeder bewerben kann, indem man Noten einreicht und schriftliche Empfehlungen von Lehrern. Dann wird man mit etwas Glück zur Aufnahmeprüfung eingeladen. Das ist ein Intelligenztest, weil man von 17-jährigen ja nicht viel Fachwissen erwarten kann. Im Augenblick übrigens sind zehn Prozent der Lehrer und Schüler Deutsche, viel mehr als bei mir damals. Zum Geld: Die durchschnittlichen Studienkosten für ein Jahr in Oxford liegen bei 10-12000 Pfund, das ist für 26 Wochen im Jahr mit Halbpension. Klar ist das viel Geld, aber erstens hat man die Hälfte des Jahres Zeit um zu arbeiten - und zweitens ist man damit auch immerhin schon satt und untergebracht. Dazu gibt es Studentendarlehen und Stipendien. Es ist also nicht so, dass man reich sein muss, um in Oxford angenommen zu werden. Undurchsichtig finde ich das System der Colleges, Sie waren in Trinity, was bedeutet das? Man bewirbt sich in der Theorie an der Oxford University, in der Realität aber direkt an einem der knapp vierzig Colleges vor Ort. Untereinander unterscheiden sie sich in Charakter, Architektur und Historie, aber nicht in ihrer Fachrichtung. Sie sind eigentlich wie Internate. Man kann sie mit den “Häusern“ vergleichen, die man vom amerikanischen Campus kennt. In Oxford sind die Colleges allerdings autarker und haben eigene Präsidenten und Statuten – insgesamt sind sie alle aber Teil der Universität. Ein föderales System, wenn man so möchte. Die Universität verteilt übrigens einen College-Führer an Bewerber, der jedes einzelne College porträtiert. Gibt es da Rivalitäten zwischen den Colleges? Ja, das sind oft jahrhundertealte Fehden und auch politische Differenzen. Trinity, wo ich war etwa, war niemals ein wirklich bedeutendes College und gilt zudem als milde konservativ; Balliol daneben gilt als feuerrot. Beide Colleges teilen sich eine Mauer. Das hat zur Folge, dass in der Nacht auf beiden Seiten Studenten stehen und sich gegenseitig beschimpfen. Auch die Typen und Kommilitonen die ihr Protagonist im Buch trifft sind zum Teil sehr spleenig – woher kommt dieser Hang zum Obszönen und zur Klamotte? Feierliche Bildungsbürgerlichkeit ist etwas sehr deutsches, die Engländer setzen eher auf Tabubruch. Deutsche Bekannte, die in England in der Schule waren, haben mir erzählt, dass die Jungs viel Zeit damit verbringen, ihre Schulkrawatte zu zerpulen. Während in der wilhelminischen Zeit bei uns nur das Männliche und Preußische etwas galt, hatten die Briten Oscar Wilde und Dandys in seidenen Schlafröcken. Dieses Campe lebt weiter, der gesellschaftlich relevante Teil in England bleibt dem Femininen und Verspielten zugetan. Was war das Beste, das Sie aus Ihrer Zeit in Oxford mitgenommen haben? Die Architektur und die vielen großen Fenster, aus denen immerzu Musik kommt. Diese Umgebung löste allerdings eine Art Behäbigkeit in mir aus, eine Art von trägem Konformismus. Hinterher habe ich mir auf die Stirn geschlagen: Du warst 21 und rennst im Tweedsakko rum, was ist eigentlich mit dir geschehen? Daher war das Buch auch eine Spurensuche, in der ich der Frage nachgegangen bin, wie es dazu hatte kommen können. Und das ist genau die gesellschaftspolitische Funktion dieser Universitäten und des ganzen Systems: Sie nehmen den revolutionären Druck von der Straße - denn der hungrige Student betritt diese wunderbaren Innenhöfe und denkt, das Establishment habe ihm bereits die Vorhöfe seiner Schlösser geöffnet. Diese Universitäten gebären keine Revolutionäre! Warum steht eigentlich nicht "Roman" vorne auf dem Cover? „Kleine Herren“ war als Autobiographie geplant, aber dann habe ich gemerkt, dass meine eigene Geschichte mich zu sehr einengt hätte. Das Buch ist ein hybrider Text – ein Tatsachenbericht, geschrieben als Roman, in dem ich mich in der Gestalt einer Person fiktionalisiere, die sich selber als Engländer fiktionalisiert. Der Text ist bis auf Gartengewächse, Kinoprogramm und Speisepläne exakt recherchiert; im Kulturkaufhaus „Dussmann“ in Berlin stehen “Kleine Herren“ deswegen unter „Länderkunde“.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
"Kleine Herren" von Carl von Siemens ist im Scherz-Verlag erschienen und kostet 16,95 Euro.
Text: max-scharnigg - Foto: Daniel Allen