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"Die wollen hier nicht weg"
on3 ist das das Jugendprogramm des Bayerischen Rundfunks mit einer Dependance im Radio und im Internet. Die Macher des Senders haben am Dienstag eine Studie präsentiert, für die 508 Jugendliche in Bayern zwischen 15 und 25 Jahren befragt wurden. Sie nennt sich Dein 2020 und herausgekommen sind dabei unter anderem die fünf Grundtypen eines bayerischen Jugendlichen. Wir stellen diese fünf Typen hier vor und sprechen außerdem mit Reinhard Röde, einem der Organisatoren der Jugendstudie. 1. Geerdet: Die „Heimspielerin“ (Anteil: 28 Prozent)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die jungen Bayern vom Typ der „Heimspielerin“ sind patent und haben ihr Leben voll im Griff. Kinder und/oder Partnerschaft sind ihnen ebenso wichtig wie Fleiß und Pflichtbewusstsein. Traditionelle Werte und moderne Ansichten gehen ein buntes Patchwork ein. Die hohe Integration in ihr persönliches Umfeld zahlen sie mit Kontaktfreude und Engagement in lokalen Organisationen zurück. Personen aus den Medien spielen für sie eine untergeordnete Rolle. Mit fast zwei Dritteln weist dieser Typ den höchsten Frauenanteil auf. Ihr Veränderungspotenzial für 2020 ist eher gering einzuschätzen. Die „Heimspielerin“ hat ihren Platz in der Gesellschaft gefunden und wird weiter ihren Weg machen. Vor Veränderungen in ihrem Leben ist ihr nicht bange. Der Song, der zur Heimspielerin passt: La Brass Banda - "Natalie" *** 2. Verwurzelt: Der „Heimatcowboy“ (Anteil: 26 Prozent)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Kein anderer Typ ist mit der Region so verbunden wie die verwurzelten „Heimatcowboys“. Diese Verbundenheit wird aber nicht gleichgesetzt mit einer hohen Wertschätzung gegenüber institutionellen Vertretern (Schule, Kirche, Politik). Im Gegenteil: Dieser Typ will sich keine Vorschriften machen lassen und meidet deshalb den Kontakt zu Institutionen. Auch ist er deutlich passiver als der Geerdete. Primäres Ziel für ihn ist es, sich unabhängig zu machen und sich ins Private zurückzuziehen („Cocooning“). Überdurchschnittlich ist der Anteil formal geringer Gebildeter unter den Verwurzelten. Hier dürften bis 2002 größere Veränderungen als bei den Geerdeten einsetzen. Auffällig - im Vergleich zur geerdeten „Heimspielerin“ - sind die weniger ausgeprägten familiären Bande. Mit einer eigenen Familie wird dieser Typ sich den Herausforderungen gesellschaftlicher Verpflichtungen stellen (müssen). Der Song, der zum Cowboy passt: Paul Kalkbrenner - "Sky and Sand" oder Deichkind "Arbeit nervt" *** 3. Engagiert: Die „Hobby-Heldin“ (Anteil: 16 Prozent)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Tatkräftiger Einsatz für eine Sache, die ihnen wichtig ist, zeichnet den Typ der engagierten „Hobby-Heldin“ aus. Diese jungen Männer und Frauen leben im Hier und Jetzt und planen deutlich weniger als die anderen Typen ihre Zukunft. Auch räumlich zeigen sie eine hohe Flexibilität. Mobilität ist ein Ziel, nicht Besitz oder Prestige und das „Haus am See“. Zwei Drittel dieses Typs zählen zu den jüngeren Befragten (15 bis 20 Jahre), drei Viertel haben Abitur oder streben dies an. Kein anderer Typ weist ein nur annähernd vergleichbares Bildungsniveau auf. Insofern dieser Typ berufstätig ist, stehen inhaltliche Ansprüche an die Arbeit stark im Vordergrund. Ihre Fixiertheit auf die Gegenwart macht es (auch für sie selber) schwierig, ihre zukünftige Entwicklung zu prognostizieren. Sind ihre derzeitige Aktivität und ihr Engagement von Erfolg gekrönt, kann sich dies positiv auf die Zukunft auswirken. Bei Misserfolg sind auch Frustration und die Neu-Orientierung an anderen Werten vorstellbar. Der zur Hobbyheldin passende Song: Manu Chao - "Por El Suelo" *** 4. Selbstbezogen: Die „Hedonistin“ (Anteil: 18 Prozent)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Im Gegensatz zu den Engagierten findet ein wie auch immer geartetes gesellschaftliches Engagement bei der selbstbezogenen „Hedonistin“ nicht statt. Die Selbstbezogenen wollen sich auch nicht auf Werte wie Toleranz, Respekt, Fairness oder Glaube festlegen lassen, sondern stellen ihr Streben nach dem eigenen Wohlergehen in den Vordergrund. Sie sind resistent gegenüber Trends und Vorbildern. In ihrer Ich-Zentriertheit haben auch Freunde und Familie weniger Platz. Die Bindung an ihre Region ist ebenfalls sehr schwach. Verantwortung im familiären oder beruflichen Bereich müssen sie bislang nicht tragen. Zwei Drittel der Selbstbezogenen sind jünger und ungebundener. Auch hier ist eine Prognose für das Leben 2020 schwierig. Die Übernahme von familiären oder beruflichen Rollen kann zu einer Modifizierung der bisherigen Lebenseinstellungen führen - muss es aber nicht. Kate Yanai - "Summer Dreaming (Bacardi Feeling) *** 5. Trendorientiert: Der „Hipster“ (Anteil: 12 Prozent)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der „Hipster“ ist aktiv, optimistisch, von sich selbst überzeugt und spricht von allen Typen den Medien die größte Rolle bei der Vermittlung von Vorbildern zu. Die „Hipster“ sind ähnlich materialistisch orientiert wie die selbstbezogenen „Hedonisten“. Auch sie streben nach Genuss, Luxus, Wohlstand und Macht. Um Anerkennung zu bekommen, sind sie gerne in Kontakt mit vielen Menschen und bereit, sich aus Gründen der Credibility für Andere einzusetzen - dies unterscheidet sie gravierend von den Selbstbezogenen. Über zwei Drittel dieses Typs sind Männer, die sehr viel Wert auf eine berufliche Karriere legen. Ebenso wie bei der geerdeten „Heimspielerin“ sind auch beim „Hipster“ eher wenig Veränderungen in der Zukunft zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass dieser Typ auch in der weiteren Adoleszenz die Meinungsführerschaft in seinem persönlichen Umfeld anstrebt und sich an Vorbildern aus dem medialen Bereich orientiert. Der zum Hipster passende Song: MGMT - "It's Working (Air Remix)" Sind durch diese Typen die bayerischen Jugendlichen charakterisiert? Findet man diese Typen auch im Rest des Landes? Wie kam es zu der Studie? Die Antworten auf diese Fragen findest du im Interview mit Reinhard Roede von on3.
jetzt.de: Diese fünf Leute, die wir hier sehen, repräsentieren also die typische bayerische Jugend? Reinhard Roede: Man könnte natürlich beliebige Schablonen anlegen an so eine Gruppe. Aber diese fünf Typen sind das Resultat einer repräsentativen Umfrage. Wir haben 508 Personen im Alter von 15 bis 25 befragt. Und wie seid Ihr auf diese fünf Typen gekommen? Das Verfahren nennt man Clustering. Das heißt, eine Statistiksoftware schaut einfach so lange, bis es ein Cluster gefunden hat, bei dem möglichst viele Eigenschaften übereinstimmen. Werte wie Treue, Ehrlichkeit und Fairness landeten allerdings bei allen Typen ganz oben in unserer Studie. Ist das anders als im Rest von Deutschland? Wir haben das nicht mit einer ähnlichen Studie bundesweit verglichen. Aber es gibt sicherlich Typen wie zum Beispiel „die Engagierte“, die sich auch in anderen Studien wie der Shell-Studie wiederfinden. Auch „die Geerdete“ oder „die Heimspielerin“ gibt es sicher in ganz Deutschland. Das sind Menschen, die sich früh in Richtung eigene Familie orientieren und denen Sicherheit wichtig ist. Bayerntypisch ist allerdings, dass bei allen Befragten eine Heimatverbundenheit zum Ausdruck kommt. Sie leben gerne in Bayern und wollen hier nicht weg. Gilt das auch politisch? Habt ihr nach Parteipräferenzen gefragt? Nein, haben wir nicht. Wer die CSU wählt, das bleibt das Geheimnis der fünf Typen. Aber alle fünf sind nicht sonderlich politisch engagiert. Wir hatten Probleme, uns selber in dieser Typologie einzuordnen. Welcher Typ bist du denn? Ich bin am ehesten der „Hipster“. Das ist die kleinste Gruppe unseres Quintetts - Leute, die einen sehr engen Bezug zu Medien haben, und trendorientiert sind. Der „Hipster“ ist auch künstlerisch orientiert. Ich kann zwar nicht so wahnsinnig gut Gitarre spielen, aber ich lege ab und zu Platten auf. Was für mich aber am interessantesten am Hipster ist, ist, dass er trotzdem kein drogenseliger Rockstar ist, sondern einen relativ starken Bezug zu konservativen Werten hat. Ihm sind Treue, Respekt, aber auch Glaube und Religiosität wichtig. Laut unserer Studie ist letzteres den meisten Jugendlichen ziemlich egal. Und wie viele „Hipster“ gibt es in Bayern? Das sind 12 Prozent aus unserer repräsentativen Umfrage. Hauptsächlich Jungs, etwa zu zwei Dritteln. Wie seid Ihr denn auf die Geschlechterzuordnung gekommen? Es gibt ein paar Typen, bei denen das eine Geschlecht überwiegt. Beim „Hipster“ sind 70 Prozent Männer. Bei der geerdeten Heimspielerin sind es 63 Prozent Frauen. Damit man sie klarer vor Augen hat, haben wir ihnen dann ein Geschlecht gegeben. Und was passiert jetzt mit diesen Typen? Seit einer Woche kenne ich die Ergebnisse und seitdem laufen mir ständig diese Typen auch wirklich über den Weg. Die „Heimspielerinnen“ haben wir sogar selber in der Redaktion, auch da, wo man sie nicht vermuten würde. Wir dachten eigentlich eher, dass sie in kleineren Städten Zuhause ist. Und die „Heimspielerin“ ist zusammen mit dem „Heimatcowboy“, oder? Wer mit wem, ist eine gute Frage. Aber das war nicht Teil unserer Studie. Ob die beiden zusammenpassen, weiß ich nicht. Die Heimspielerin ist sehr offen, sie hört nicht auf, sich für Neues zu interessieren. Im Gegensatz zum Heimatcowboy - dem sind vor allem die Freunde aus der Jugend sehr wichtig. Er will räumlich keine große Veränderung. Außerdem ist er eher anti-autoritär: Er ist der Typ, der in der Schule in der letzten Bank sitzt. Dem bleibt alles Staatliche, Kirche, Institutionen jeder Art suspekt. Also passt der „Heimatcowoboy“ eher zur „Hedonistin“? Vielleicht. Aber die Hedonisten haben mich am meisten erstaunt in der Studie. Die sind sehr materialistisch. Die Hedonistin will für sich selber das meiste rausholen. Soziales Umfeld, Familie, Freunde – von all dem will sie sich frei machen. Sie wartet quasi nur darauf, mit 30 ihren ersten SUV zu fahren und mit 40 ihre erste Million zu machen. Was hat dich an dieser Studie am meisten überrascht? Dass ein großer Teil schon so früh so genau weiß, wo er hin möchte. Mit dieser Entschiedenheit habe ich nicht gerechnet. Erwachsen werden heißt für sie, so zu werden, wie sie schon immer sein wollten. Da ist kein Suchen und Finden. Man kann fast sagen, die arbeiten ihren Plan ab, den sie mal gefasst haben.
Text: dirk-vongehlen - und Mercedes Lauenstein; Illustrationen: on3