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Die unersetzliche Insel
Nina, der Untertitel des Buches „Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web" lautet „Bildbezogenes Handeln und Peergroup-Kommunikation auf Facebook & Co." Kannst du das mal eben übersetzen?
Die Idee des Buches ist, zu untersuchen, was soziale Netzwerke für Freundschaften und das Leben der User bedeuten. Vor allem geht es aber um die Frage, und das ist mit „bildbezogenem Handeln" gemeint, wie insbesondere Jugendliche zwischen zwölf und 24 Jahren sich heute anhand von im Netz zur Schau gestellten Partybildern und Facebookfotos definieren. Das Buch richtet sich natürlich weniger an Hobbyleser als an universitäre Forscher im deutschsprachigen Raum, die sich mit diesen sozialen Netzthemen befassen. Es gibt noch nicht viel Literatur in diesem Bereich.
„Wohlfühlcommunity", "Zuhause im Kosmos", "crossmediale Vielfalt",... ihr sagt in eurer Arbeit sehr nette Sachen über jetzt.de, man könnte fast meinen, es sei der kultivierte, gemütliche Gutmensch unter den sozialen Netzwerken.
jetzt.de nimmt definitiv eine Sonderrolle ein. Es diente uns während der Arbeit am Projekt immer wieder als Gegenbeispiel zu all den anderen behandelten Plattformen – während zwischen den Netzwerken Parallelen herrschten, tanzte jetzt.de immer wieder aus der Reihe.
Kannst du das genauer erklären?
Wir haben die Bezeichnung „Erweiterung statt Ergänzung" für jetzt.de benutzt, diese drei Worte beschreiben sehr treffend, was jetzt.de so besonders macht: Soziale Netzwerke à la Studi VZ, Facebook und Partyportale funktionieren als Ergänzung des Alltags – die Menschen, mit denen man dort befreundet ist, die kennt man meist auch in echt, oder kennt zumindest ihre vollen Namen. Es geht dort nicht um tiefsinnigen Austausch, sondern um Partypics und Verabredungen. Würde man sie abschalten, wäre das kein großer Verlust. jetzt.de dahingegen ist tatsächlich ein eigenständiger Kosmos, was dort geschieht, passiert völlig abseits vom In-Echt Leben der User. Sie halten sich dort weitestgehend anonym auf, die Freundschaften sind im Normalfall rein virtuell und trotzdem extrem ernsthaft und von großem Vertrauen geprägt. jetzt.de ist also keine Ergänzung, sondern eine Erweiterung des echten Lebens.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Was genau war deine Aufgabe in dem Buch und wie bist du bei deiner Arbeit vorgegangen?
Meine Kollegin Vanessa und ich haben schon in der Studienzeit eine Seminararbeit über jetzt.de geschrieben. Diese Arbeit gefiel unserem Professor so gut, dass er uns in dem geplanten Buch Platz für das Thema freiräumte. Wir haben uns die Arbeit geteilt, was sehr wichtig war. Ich als aktive Userin habe jetzt.de aus der Innenperspektive betrachtet, Vanessa von ihrem Forschungsaccount, sie ist sonst nicht im Kosmos unterwegs.
Wie war es denn so als eingefleischter jetzt-User, die Webseite forschend zu analysieren?
Sehr spannend, denn ich habe schnell gemerkt: Krass, ich stecke da bis zur Nase drinnen und kann einem Außenstehenden vieles zwar sehr gut erklären, aber ich verkläre auch eine Menge – aus jahrelanger Sympathie. Es war gut, dass Vanessa mit ihrem rein zu Forschungszwecken angemeldeten Account da als ausgleichender Faktor aktiv war, und dass auch die anderen Mitglieder des Forschungsteams in den Sitzungen immer wieder einen Blick darauf geworfen haben, um der Analyse noch mehr Objektivität zu verleihen.
Sind dir Dinge an und über jetzt.de aufgefallen, die dir vorher nicht so bewusst waren?
Seine Einzigartigkeit im Netz. Würde man es abschalten, wäre das für viele User eine Katastrophe - man würde eine unersetzliche Welt auslöschen. Ich könnte die wenigsten meiner dort liebgewonnen Freunde jemals wiederfinden, von vielen habe ich die echten Kontaktdaten gar nicht. Jetzt.de funktioniert anonym, das vergisst man oft beinahe vor lauter tiefsinniger Kontakten – es herrscht eine ganz besondere, vertraute Atmosphäre. Wahrscheinlich gerade wegen dieser Anonymität.
Wie meinst du das?
Es geht auf jetzt.de nicht darum, sich anhand von Selbstportraits oder Freundeslisten zu profilieren – im Gegenteil, die Freundesliste ist das wohl am wenigsten genutzte Instrument auf jetzt.de, da schaut niemand hin, wer denn jetzt mit wem befreundet ist. Es geht um ganz andere Werte: Um Texte und das Feedback das man darauf bekommt, um alltägliche Fragen und spannende Diskussionen - ganz abseits von der Preisgabe seines Aussehens oder seines Berufs. Auch die Hemmschwelle, fremde User anzusprechen, ist so niedrig wie in keiner anderen Community. So findet man sofort Anschluss und baut interessante Kontakte auf. Auf Facebook ist es verpönt, Fremde anzuschreiben, genau, wie in vielen anderen Netzwerken. Jetzt.de ist für viele auch ein so wichtiger Ort, weil man dort im Internet auf eine kultivierte und anständige Art und Weise Austausch pflegen kann, ohne Angst darum haben zu müssen, unangenehme Spuren zu hinterlassen. Deshalb war die Geschichte mit dem Facebook-Button ja auch so ein Schock.
Ihr habt im Nachhinein extra noch ein Nachwort angefügt, in dem ihr die Ereignisse zu der Geschichte mit dem Facebook-Button erläutert...
Kurz bevor diese Geschichte passierte, war die Arbeit an dem Text eigentlich schon abgeschlossen. Wir entschlossen uns aber dazu, die Vorkommnisse in einem Nachwort anzufügen, denn was da passiert ist, beweist einmal mehr, was für eine Sonderrolle jetzt.de in der Landschaft der sozialen Netzwerke einnimmt: Plötzlich war die aufgehobene Inselatmosphäre, für die jetzt.de von seinen Nutzern geliebt wird, in großer Gefahr. Der Facebook Button hätte eine Verbindung mit ihren Klarnamen möglich gemacht. Und tatsächlich ist das auch ein großes Dilemma, das wir lange diskutiert haben: jetzt.de ist auf Neuzugang angewiesen, den bekommt es durch Twitter und Facebook, das sollte man nicht behindern. Aber die jetzt.de Community besteht nicht aus überwiegend zwölf bis 24-jährigen, sondern vielmehr aus 29 bis 50-jährigen. Wenn denen die Themen eines Tages zu jung sind, gibt es eben keinen Nachwuchs auf der jetzt.de Insel. Dieses Dilemma ist mit der jetzigen Lösung ganz sicher noch nicht ausdiskutiert.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das Blog zu dem Buch, an dem übrigens auch jetzt-User soeren_preibusch mitgearbeitet hat, findest du hier.