- • Startseite
- • Interview
-
•
Die Sehnsucht nach großen Zielen und Obatzdn
Konstantin Ferstl, 28, hat an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) gerade seinen Abschluss gemacht: Sein erster Film „Trans Bavaria“ läuft zur Zeit im Kino. Darin ruiniert der Abiturient Quirin seine Zeugnisverleihung und bricht mit seinen Freunden Joker und Wursti auf nach Moskau, wo sie Fidel Castro sehen wollen. In einem gestohlenen Metzgereitransporter, mit einem Kasten Spezi und einer Schul-Landkarte vom Römischen Reich.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nachwuchsregisseur Konstantin Ferstl bei den Dreharbeiten zu seinem Film "Trans Bavaria".
jetzt.de: Die „revolutionäre Dienstreise“ nach Moskau der Hauptfigur Quirin basiert auf deiner eigenen Selbstfindungsreise nach dem Abitur. Wie war das bei dir?
Konstantin Ferstl: Nach dem Abi 2003 sind in meinem Jahrgang alle an die Schwarzmeer-Riviera gefahren, ich wollte unbedingt etwas anderes machen. So wie bei Quirin hat mich meine Freundin verlassen und ich wollte etwas Lebensveränderndes tun. Ich bin nach Moskau geflogen und von da aus mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Peking. Ich war ganz allein, es war eine wahnsinnig einsame und nachdenkliche Reise, nicht wie ein Roadtrip im Auto, mit einer Gruppendynamik, wie das im Film ist. Mir wurde auch noch das Gepäck geklaut, es war eine Zeit ohne Handy und Computer, ich hatte nur eine Unterhose für diese Reise durch Sibirien. Dass es die ganze Zeit stinkt und man sich nicht waschen kann, weil es keine Dusche gibt, ist nicht Bestandteil eines romantischen Abenteuers, aber für mich war diese Reise das nächste am Abenteuer, was mir passieren konnte.
Was hast du auf dem Roten Platz in Moskau und in Peking gesucht?
Ich komme vom niederbayerischen Land, wo es ausreicht, wenn man politisch ein bisschen anders orientiert ist, um als Dreckskommunist bezeichnet zu werden. Die Reise nach Russland und China, dass ich tatsächlich da hin gefahren bin und auf den Spuren dieser großen Revolutionäre gewandelt bin, war meine Antwort auf diese Ächtung. Was ich letzten Endes dort gesehen habe, waren Mausoleen. Sowohl der Rote Platz in Moskau als auch der Platz des himmlischen Friedens in Peking ist geprägt durch ein großes Grabmal mit einer einbalsamierten Wachsfigur.
Heute hat man noch eine ganz romantische Vorstellung von einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn. Wie hast du das erlebt?
Ich wollte das immer machen, während meiner ganzen Jugend war das der Archetyp der klassischen Reise, als wäre man 60, 70 Jahre aus der Zeit gefallen, wie in einen Hemingway-Reisebericht. In der Transsibirischen Eisenbahn kannst du der Zeit beim Vergehen zusehen. Der Zug fährt wahnsinnig langsam, immer nur so 70, 80 Stundenkilometer. Du sitzt da drin und kannst nichts tun, du schaust immer nur aus dem Fenster und bist eingesperrt wie in einem fahrenden Gefängnis, wo durch das Fenster permanent Postkartenlandschaften vorbeiziehen. Man fährt in Moskau los und die Uhren gehen immer nach Moskauer Zeit, auch wenn man schon sechs, sieben Zeitzonen weiter ist. Die Menschen werden immer mandeläugiger und die Vegetation wird immer spärlicher. Als ich so durch die Zeitzonen bis nach China gefahren bin, hatte ich das Gefühl, dass sich wahnsinnig viel in mir selbst bewegt.
Woran erinnerst du dich noch?
Ich hatte keine gebuchte Reise, sondern bin mit einem Linienzug gefahren, in dem wirklich nur Chinesen und Russen saßen. Ich konnte mit keinem reden, das hat die Isolation noch verstärkt, ich war wie ein Alien da drin. Kontakt mit anderen Leuten hatte ich nur im Raucherabteil. Knapp 14 Tage lang bin ich gefahren, weil ich auch mal ausgestiegen bin. Leider hatte ich nicht so viel Geld, um mehr Stopps zu machen. Es ist immer noch eine von den großen Reisen, die man machen kann, weil es so entschleunigend ist und weil man auch gefühlt diese Strecke zurücklegt, nicht so wie beim Fliegen, das ist ja wie Beamen. Heute kommen mir 14 Tage gar nicht mehr so lang vor. Kombiniert mit dieser Ereignislosigkeit war die Reise aber wie Hannibals Alpenüberquerung, richtig schmerzhaft und episch.
http://www.youtube.com/watch?v=ba5DZsNmV3g
Bist du damals abgehauen wie Quirin oder war deine Familie eingeweiht?
Die wussten das schon, ich musste mir ein Visum nach Russland und China besorgen, dabei haben sie mir geholfen.
Was haben sie dazu gesagt?
Das war ziemlich befremdlich für sie, auch meine ganzen Klassenkameraden fanden das gar nicht cool. Es hat außer mir niemand verstanden, nur ein Freund, der auch ein bisschen das Vorbild der Figur des „Joker“ im Film ist. Der ist damals nach Kuba gefahren und hat das ähnlich gemacht wie ich, einfach ein Gefühl gesucht. Meine Eltern waren wohlmeinend, aber auch verständnislos, sie hätte das nicht gereizt.
Was Konstantin über Selbstfindungsreisen denkt und warum er Heimweh über das Boeflamot seiner Oma und Obatzdn definiert, erfährst du auf der nächsten Seite.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Unterwegs nach Moskau: Joker (Lukas Schätzl), Quirinalis (Marcel Despas) und Wursti (Johannes Damjantschitsch).
Vor deiner Reise hast du ein „politisches Manifest“ verfasst. Wie darf man sich das vorstellen?
Ich hing politisch in der Luft. Ich war damals bei keiner Gruppierung, sondern habe vor mich hin philosophiert und geglaubt, ich müsste etwas schreiben, um meine Mitschüler wachzurütteln. Was da entstanden ist, war ein total verschwurbeltes, halb pseudo-philosophisches, halb naiv-politisches Zeug, von globalen Abrüstungsparolen bis hin zu Robin-Hood-Phrasen für Umverteilung. Wir saßen auch in kleiner Runde zusammen und haben dicke kubanische Zigarren geraucht, bis uns schlecht geworden ist. Wir dachten, wir debattieren die Weltrevolution am Biertisch aus. Wir hatten einfach den naiven Drang, irgendetwas zu tun. Dabei war ich immer nur ein wohlbehütetes Kind, ein netter Junge vom Land, der nicht viel mehr gekannt hat als den Weg zur Schule und wieder zurück und das, was ich aus Büchern wusste. Man glaubt, dass man etwas von der Welt gesehen hat, weil man immer exotische Urlaubsziele hatte. Wenn man in Kontakt mit echten Problemen kommt, relativiert sich das wahnsinnig schnell.
Auf deiner Reise entstanden die Reisetagebücher „Silbervogel, später“, auf denen der Film basiert. Was hast du darin festgehalten?
Diese Reisetagebücher waren ganz intim. Ich habe die Welt außen, die Landschaften, mit meinem Zustand in Verbindung gebracht. Ich habe aufgeschrieben, was ich erlebt habe und wie ich mich verändert habe. Das war die erste ehrliche Sicht auf mich selbst nach der Pubertät, in der man immer etwas anderes darstellen will, als man ist. Das war das erste gute Ding, das ich geschrieben habe.
Warum hast du es nicht als Buch veröffentlicht?
Ich wollte es veröffentlichen, bin aber immer wieder an der Hemmschwelle gescheitert, dass die Tagebücher zum Teil sehr selbstzerstörerisch und sehr intim sind. Der Film bringt mit seiner Ironie, den Rückblenden und Traumsequenzen eine andere Tonalität und mehr Distanz zu mir.
Was war deine Erkenntnis nach der Reise?
Dass ich schreiben wollte. Das war dann kein Wunsch mehr, Schriftsteller oder Dramatiker zu spielen, ich wusste, ich will es wirklich machen. Was ich damals auch schon wusste, war, dass ich einen Film machen will, der dieses Gefühl einfängt. Ich habe schon mit 14, 15 versucht, Filme zu drehen, wie man das so macht mit den begrenzten Möglichkeiten, die man hat. So bin ich dann erst dazu gekommen, mich an der Filmhochschule zu bewerben.
Hattest du auch eine politische Erkenntnis?
Da war ich noch zu jung, damals war das mehr ein naiver Idealismus. Es hat noch ein paar Jahre gedauert, bis ich dazu eine richtige Meinung hatte und ich eine politische Lehre daraus gezogen habe. Du kennst vielleicht den Spruch „Wer mit 20 kein Kommunist ist, der hat kein Herz“. Ungerechtigkeit und Solidarität, das ist etwas, das man in der Zeit besonders spürt. Das konnte auch eine Mumie am Roten Platz nicht zerstören.
Das Drehbuch zu „Trans Bavaria“ entstand in Mexiko und Kuba. Braucht man Abstand, um Klarheit über die Heimat zu bekommen?
Ja, absolut. Wenn man längere Zeit weg oder in einer Extremsituation ist, muss man sich über den Ort, an den man zurückkehren darf oder muss, einfach klar werden. Die Zeit in Mexiko und Kuba und das Drehbuch waren wie ein Abschluss von einem längeren Prozess, der während meines Studiums begonnen hat.
Selbstfindungsreise klingt nach Midlifecrisis oder Abhauen in der Pubertät. Wie empfindest du diesen Begriff?
Wäre jede Reise, jeder Trip, eine Selbstfindungsreise, wäre heute jeder ein Chamäleon oder ein Gestaltenwandler, weil man so viel und permanent unterwegs ist. Wenn man Silvester nach Neuseeland fliegt und im Januar in die Antarktis, um Pinguine zu fotografieren, ist das touristisch bestimmt interessant, aber ob das mit einem selbst etwas macht, ist Einstellungssache. Ich finde es interessant, dass man Kilometer und Zeitzonen hinter sich lässt, und dabei merkt, wie wenig man sich selbst bewegt hat. Insofern ist eine Reise immer nur eine Selbstfindungsreise, wenn man auf der Suche ist, sonst tut es auch einfach ein Urlaub.
Quirin erreicht Moskau am Ende zwar nicht, bekommt aber in einem Kloster in Russland zum ersten Mal Heimweh. Er sehnt sich nach dem Boeflamot seiner Oma und dem Obatzdn im Biergarten. Ging es dir bei deiner Reise auch so?
Irgendwann habe ich mich nach ganz naiven und alltäglichen Dingen gesehnt, auch später in Mexiko. Nach zwei Monaten habe ich mir eine Liste geschrieben mit Sachen, die ich essen wollte, wenn ich wieder zu Hause bin. Es gibt bestimmt auch Leute, die weniger oralfixiert sind als ich, die Heimweh nicht über das Essen definieren.
Welches Gericht war das bei dir?
Im ersten Reisetagebuch gibt es diesen Satz mit dem Obatzdn wirklich. Und ich habe das damals wirklich als Perversion empfunden und konnte es gar nicht glauben, dass das so ist. Man ist wie in Ekstase mit dem ganzen exotischen Essen. In Sibirien wurden am Bahnhof Piroggen und Fische verkauft, alles war exotisch und fremd - und dann hatte ich diesen blöden Heißhunger auf Biergartenkäse. Grotesk! Da war ich nicht so kosmopolitisch, wie ich mich gern gesehen hätte.
Was Konstantin über Idealisten in unserer Generation denkt und warum er eine Schwäche für Spezi hat, erfährst du auf der nächsten Seite.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Spielen Wurstis Eltern: Ottfried Fischer und Johanna Bittenbinder.
Du bist in Abensberg aufgewachsen und nennst deine Jugend immer eine „Leidensgeschichte“. So schlimm ist es auf dem niederbayerischen Dorf doch auch nicht, oder?
Was man als schlimm empfindet, ist die Ohnmacht und die Immobilität, dass man sich eingeengt fühlt, dass es Leute gibt, die das, was man macht oder woran man glaubt, nicht verstehen. Man sehnt sich nach einer Clique von Gleichgesinnten, dass man nicht so allein ist. Ich musste sechs, sieben Kilometer fahren, um einen Freund zu sehen, und hatte in der Früh und mittags jeweils 35 Minuten Schulweg mit dem Bus. Ich habe immer gedacht, das liegt am Ort und an den Leuten dort, später habe ich gemerkt, das gibt es überall, nicht nur in Niederbayern und nicht nur auf dem Land. In München sind auch nicht nur Gleichgesinnte.
Wie hat die Reise deine Sicht auf deine Heimat verändert?
Die Reise nach Russland noch nicht so massiv. Da hatte ich danach noch mehr den Wunsch, wegzugehen und etwas ganz anderes zu machen. Es war ein blöder Zufall, dass ich in München gelandet bin, nur eine Stunde von Abensberg entfernt. Aber dort hat mich einfach die Filmhochschule genommen. In meinem Jahrgang war ich plötzlich das Urbild eines Bayern, der Wurzelsepp, weil in meinem Kurs vor allem Leute aus Berlin oder anderen Teilen Deutschlands waren. Ich bin mit genau den Sachen in Verbindung gebracht worden, von denen ich mich immer distanziert habe. Das hat aber auch dazu geführt, dass ich mich wieder damit beschäftigt habe, was mir meine Herkunft bedeutet. Als ich mit dem Drehbuchschreiben fertig war, war ich schon vollends mit der Heimat versöhnt.
Quirin muss für seine „revolutionäre Dienstreise“ nach Russland aufbrechen. Warum muss man für die Revolution so weit weg?
Ich glaube nicht, dass man weg muss, man muss auch nicht nach Osten fahren. Für das Drehbuch habe ich überlegt, ob man nicht auch ein anderes Ziel nehmen kann. Für mein Verständnis von Romantik und Idealismus war es aber die naheliegendste Metapher, nach Moskau zu fahren.
Auf dem niederbayerischen Land gibt es viele Möglichkeiten, die Regeln zu brechen, nicht nur wie im Film die Leberkässemmel am Aschermittwoch. Wie schätzt du das Revolutionspotenzial hier ein?
Potenzial gibt es genug. Ich denke, der typisch bayerische Sturschädl oder gewisse anarchische Tendenzen im Humor kommen revolutionären Tendenzen zugute.
Trotzdem sprichst du von einem „postideologischen Zeitalter“, in dem wir leben. Gibt es heute zu wenig Idealisten?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Idealismus ausstirbt, dafür empfindet man in unserem Alter zu intensiv. Bei Gleichaltrigen und Kommilitonen spüre ich aber eine Resignation und Distanz, eine rationalistische Weltsicht. Die haben erkannt, dass die Welt böse und schlecht ist, tun aber nichts dagegen, sondern entwickeln einen Zynismus. Darunter leide ich immer noch.
Willst du das mit deinem Film ändern?
Die Sehnsucht nach den „großen Zielen“. Das bewundere ich an der Generation meiner Eltern, die haben sich wirklich etwas geschaffen, das auch ohne diese zynische Distanz ging. Wenn mein Film diese Sehnsucht auslöst, bin ich sehr zufrieden.
Wie sagst du zu den Aufständen rund um den „Arabischen Frühling“?
Die Frage ist, wohin das führt. Wenn das der Frühling war, habe ich ein bisschen Angst vor dem Sommer. So weit ich das mitbekommen habe, wird in Ägypten mit der neu gewonnen Freiheit wenig angefangen. Da gibt es keine Veröffentlichungen, keine neuen Filme oder Bücher, da passiert nichts. Das eine ist, über Nacht ein Denkmal umzuwerfen und einen Autokraten abzusetzen, ein System abzuschaffen. Aber man kann nicht so schnell etwas Neues an seine Stelle setzen. Das muss erst noch wachsen.
Hat das Spezi, das im Film immer wieder auftaucht, einen besonderen Sinn?
Spezi ist für mich die ultimative Verwurzelung mit dem Niederbayerischen, das Getränk der Jugend. An meiner Schule gab es einen Spezi-Automaten, der seine Berechtigung nur durch mich hatte. Die Lehrer haben schon ernsthaft darüber nachgedacht, mir das zu verbieten, weil sie Angst um meinen Magen hatten. In meinem Deutsch-Abitur habe ich die ersten zwei Stunden geschlafen ...
Wie, das war nicht nur ein Gag im Film?
Das ist wirklich passiert. Als ich wieder aufgewacht bin, bin ich raus aus dem Zimmer. Wenn man während der Abiprüfung aufs Klo geht, wird das ja aufgeschrieben. Bei mir im Deutsch-Abi steht nach zwei Stunden „Der Schüler geht aufs Klo“, noch bevor mein Aufsatz losgeht. Dann bin ich mit fünf Flaschen Spezi wieder rein und habe meinen Aufsatz runtergeschrieben. Das ist der braune Lebenssaft für mich, darum musste das Spezi auch im Film vorkommen. Das ist ungefähr so uncool wie wir damals waren. Aber es schmeckt einfach saugut.
Text: kathrin-hollmer - Fotos: Zorrofilm