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„Die Renaissance der Atomkraft ist eine Legende“
Was bedeutet für Dich der 26.April 1986? Das Datum hat der Welt gezeigt, dass doch passieren kann, was keiner geglaubt hat. Die Physiker haben sich immer hingestellt wie die Götter in weiß und behauptet, ein Kernkraftwerk sei so sicher wie eine Mikrowelle und könnte im Grunde auch auf dem „Roten Platz“ in Moskau gebaut werden. Nun musste die Sowjetische Regierung und mit ihr die ganze Welt einsehen, dass natürlich etwas passieren kann. Tschernobyl sollte auch heute noch als Mahnung dienen, dass Technik, die von Menschen gemacht ist, nie perfekt sein kann. Um Dich persönlich daran zu erinnern, warst Du damals zu jung. Ich war nicht einmal zwei Jahre alt. Trotzdem fühle ich mit den Leuten mit, die noch heute unter den Folgen der Katastrophe leiden. Vor kurzem habe ich in Berlin einige Betroffene aus Weißrussland getroffen. Da ist noch einiges im Argen. Wenn bei uns in Deutschland so etwas passieren würde, würde wohl das ganze Land in die Knie gehen. Zur Zeit ist viel von einer „Renaissance der Atomkraft“ die Rede. Glaubst Du daran? Die „Renaissance der Atomkraft“ ist eine Legende. Die Atomindustrie tut alles dafür, der Bevölkerung den Glauben zu vermitteln, dass ein zweites Atomzeitalter bevorstehe. Das ist aber völliger Quatsch. Nach Zahlen der Weltatomenergiebehörde sind weltweit zur Zeit nur 27 Atomkraftwerke im Bau. Und dahinter stehen zum Teil jahrzehntealte Projekte. So eine niedrige Zahl gab es in der Geschichte der Atomenergie noch nie. Daran sieht man, dass es vor allem eine Penetranz in der Debatte ist. Aber Penetranz ist noch lange keine Renaissance. Die Chinesische Regierung hat verkündet, demnächst 30 neue Kraftwerke zu bauen. Das stimmt. Man muss aber dazu sagen, dass noch nicht sicher ist, ob die auch gebaut werden. Denn Energie lässt sich heute schon billiger erzeugen als mit Kernkraft. Was außerdem meist verschwiegen wird: Die Chinesische Regierung will die erneuerbaren Energien viel stärker ausbauen. In dreißig Jahren soll der Anteil erneuerbarer Energien dreimal so groß sein wie der der Kernkraft. „Kernenergie könnte genau die Energiequelle sein, die unseren Planeten vor dem katastrophalen Klimawandel retten kann“ – dieser Satz stammt nicht von einem Atomlobbyisten, sondern von Patrick Moore, einem der Gründer von Greenpeace. Was mit Patrick Moore geschehen ist, frage ich mich seit geraumer Zeit. Nicht nur in Sachen Atomenergie, auch zu grüner Gentechnologie hat er einige seltsame Ansichten geäußert. Die Wahrheit ist: Atomkraft kann das Klima nicht retten. Allein schon, weil ihr dazu die Rohstoffreserven fehlen. Nach derzeitigem Stand reichen die Uranvorkommen noch etwa vierzig Jahre. Ein Ausbau der Atomkraft ist da noch nicht mitgerechnet. Das Argument der Atom-Befürworter: Man hat die vergangenen Jahre einfach zu wenig nach Uran gesucht. Natürlich kann man die Suche ausbauen. Das wird dann aber eine horror-teure Angelegenheit – wenn man überhaupt mehr findet. Wr wissen ja schon relativ genau, wo die Uranvorkommen liegen. Es gibt aber noch ein anderes wichtiges Argument, warum Kernkraft ein schlechter Klimaschutz ist. Nämlich? Selbst wenn man die Klimakatastrophe abwendet, erkauft man sich das mit dem atomaren Gau-Risiko. Statistisch gesehen gibt es in einem Atomreaktor alle 33 000 Jahre einen Gau. Das ist die Zahl mit der die Kraftwerkbetreiber rechnen. Geht man von 1 000 Kraftwerken aus – so viel bräuchte man ungefähr, um Gas und Kohle weltweit zu ersetzen – gäbe es alle 33 Jahre irgendwo ein schweres Reaktorunglück. Das ist ein unverantwortliches Risiko. Was ist denn mit den Atomkraftgegnern los? Sie versuchen zwar alles, um auf sich aufmerksam zu machen, das gesellschaftliche Klima wandelt sich aber – aus Gründen, die keiner nachvollziehen kann – gerade zu Gunsten der Atomkraft. Die Atomindustrie ist dabei, mit riesigem finaziellen Aufwand ein Klima zu schaffen, in dem sie den Ausstieg aus der Kernenergie wieder rückgängig machen kann. Ist wirklich nur das Geld der Atomlobby schuld oder ist die Anti-Atom-Bewegung auch in den Winterschlaf gefallen? Der sogenannte Ausstiegsvertrag, den die rot-grüne Regierung mit der Atomwirtschaft geschlossen hat, hat schon dazu beigetragen, dass die Anti-Atom-Bewegung gelähmt worden ist. In Wirklichkeit ist dieser Vertrag aber nichts anderes, als eine Bestandsgarantie für die deutschen Atomkraftwerke. Sie können so lange weiterlaufen, bis sie sich wirtschaftlich nicht mehr rentieren. Das hat die Anti-Atom-Bewegung natürlich politisch neutralisiert.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Was ist Deine Alternative zur Atomenergie? Ein radikaler Wandel zu erneuerbaren Energien, vor allem der Solarenergie. Wir haben Wind, wir haben Wasser, Biomasse, Erdwärme. Viele Leute glauben nicht, dass wir damit unseren Energiebedarf decken können. Dass es geht, haben aber seit den 70er Jahren zahlreiche Studien nachgewiesen. Und es zeigt auch die Realität. Noch vor zehn Jahren haben die großen deutschen Stromkonzerne in ganzseitige Anzeigekampagnen verkündet, dass langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Bedarfs durch erneuerbaren Energien zu decken seien. Heute haben wir schon zwölf Prozent erneuerbare Energien. Und die Konzerne werben ganzseitig für Solarenergie. Das hat aber vor allem Imagegründe. Der Konzern BP benutzt etwa statt seinem früheren Namen „British Petrol“ nun den Slogan „Beyond Petroleum“ – also „über das Erdöl hinaus“. Für die Anzeigenkampagne hat die Firma mehr ausgegeben, als für die Entwicklung erneuerbarer Energien. In deinem Buch vergleichst du die Kraftanstrengung, die für die „Solare Revolution“ nötig wäre mit dem Mondlande-Programm in den 60ern. Wie soll das gehen? Die Politik muss sich auf das Jahrhundertprojekt der solaren Wende konzentrieren. Denn wir haben noch Zeit, aber keine Zeit mehr zu verlieren. Die Lage ist dramatisch. Aber erneuerbare Energien bieten auch Chancen - wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Wir könnten viele der gravierendsten Probleme so lösen, sei es nun Arbeitslosigkeit oder die Entwicklung in der dritten Welt. Es wird jedoch einiges an Anstrengungen kosten, die Macht der großen Energiekonzerne zu brechen, die diese Wende verhindern wollen. Was kann ich als einzelner junger Mensch gegen die Atomkraft machen? Du kannst den Stromanbieter wechseln. In unsere WG haben wir das jetzt gemacht. Im Jahr zahlen wir vielleicht 15 Euro mehr und wir haben nur noch sauberen Strom und fühlen uns gut dabei. Oder schreibt an Politiker oder die Tageszeitung Eure Meinung. Kämpft am Stammtisch, in der Uni und der Schule für erneuerbare Energien und setzt Argumente gegen die Lügen der Atom-Befürworter. Wolfgang Gründingers Buch Die Energiefalle – Rückblick auf das Erdölzeitalter ist beim Verlag C.H.Beck erschienen und kostet 12,90 Euro. Mehr Informationen zu ihm unter wolfgang-gründinger.de Fotos: Verlag C. H. Beck Mehr zum Thema Energie und Atomkraft auf jetzt.de - eine Reportage vom Youth Energy Summit, der am vergangenen Wochenende in Berlin stattfand. - ein Porträt der Atomlobbyisten Cora Fischer, die sich für mehr Atomkraftwerke in Deutschland einsetzt. - ein Interview mit Thorben Becker von der Kampagne ausgestrahlt, der sich über den Energiegipfel bei Bundeskanzlerin Merkel äußert. - ein Gespräch mit Gudrun Pausewang, deren Buch "Die Wolke" gerade verfilmt wurde und im Kino gezeigt wird. - ein Interview Alexej Nesterenko aus Weißrußland, der über die Folgen des GAUs in Tschernobyl für sein Land spricht.