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"Die Menschen werden entschlossener"

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Der Regierungswechsel bringt Deutschland auch eine Atomkraft-freundlichere Politik. Union und FDP hatten es schon vor der Wahl angekündigt, nun beschließen sie in den Koalitionsverhandlungen verlängerte Laufzeiten für die Kernkraftwerke - und verschaffen der Anti-Atom-Bewegung wieder neue Bedeutung. Viele alte Aktivisten, die das Thema mit dem Atomkonsens unter Rot-Grün im Jahr 2000 als gedeckelt ansahen, werden nun wieder aktiv - damit rechnet jedenfalls Jan Becker, 27, von der Gruppe ContrAtom. Ein neuer Protestschwung soll die kommende Bundesregierung davon abhalten, den Atomausstieg in Frage zu stellen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was bedeutet der Wahlsieg von Schwarz-Gelb für die Anti-Atom-Bewegung? Schwarz-Gelb hat sich vor der Wahl ganz klar positioniert in gewissen Punkten: Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke, das Moratorium in Gorleben wird aufgehoben, das bisher den Ausbau zum Endlager verhindert hat. Für uns bedeutet das einen größeren Zulauf. Die Demonstration am 5. September in Berlin mit 50.000 Teilnehmern war ein Vorbeben, und jetzt passiert viel im Kleinen, viele Menschen haben zu mir gesagt, jetzt muss es losgehen. Unsere Aufgabe ist es jetzt, diesen Zuspruch sichtbar zu machen. Wie sieht dieser Zuspruch aus, und woher kommt er? Ich merke, dass viele Menschen wütender werden. Das hat mit Radikalisierung nicht unbedingt etwas zu tun, mehr mit Entschlossenheit. Für viele Leute, die sich vor zehn Jahren atompolitisch engagierten, schien das große Problem Atomausstieg befriedet. Doch das kocht jetzt wieder hoch. Wir erleben plötzlich wieder, dass zehntausende Menschen auf die Straßen gehen, und wir werden auch erleben, dass sich viel mehr Menschen entschlossen gegen Castor-Transporte auf Gleise setzen. Wie wichtig ist, was jetzt bei den Koalitionsverhandlungen beschlossen wird? Im Prinzip ist das irrelevant. Da geht es um Details, sie zanken sich um Jahre und Geldzahlungen, aber eines ist klar: Sie beschließen definitiv nicht die sofortige Stillegung aller Atomanlagen. Dabei wäre genau das nötig. Wie geht ihr jetzt weiter vor? Wir planen am 7. November einen bundesweiten dezentralen Aktionstag, der Aufschlag sein soll für weitere Proteste, die zum Beispiel am 20. Dezember in Ahaus stattfinden. In Ahaus gibt es eines der drei Zwischenlager für Atommüll, neben Gorleben und Greifswald, und hier sollen im kommenden Jahr Castor-Transporte stattfinden. Ohne die Transporte, ohne diese Atommüll-Verschiebungen, wäre der ganze Komplex der Atomindustrie nicht möglich. Die müssen irgendwo mit ihrem Müll hin, und wenn sie ihn nicht irgendwohin bringen können, dann haben sie ein Problem. Wir werden aber auch an einer neuen Stelle ansetzen: bei den Lieferungen frischer Brennelemente zu den AKWs. Das Uran kommt im Hamburger Hafen an, auf großen Schiffen aus Kanada, und genau dort werden wir Akzente setzen, was Protest angeht. Wo keine Brennelemente mehr in ein AKW transportiert werden können, kann ein AKW auch nicht mehr betrieben werden. Jürgen Grossmann aus dem RWE-Vorstand warnte vor "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" in der Auseinandersetzung um Kernenergie. Das halte ich für eine Farce. "Bürgerkriegsähnliche Zustände", die schreien nach Sicherheit und Ordnung und militärischer Kontrolle. Das ist gefährlich. Da soll ein Bedrohungspotenzial geschaffen werden, was ich nicht sehe. Wir haben in Berlin gezeigt, was wir unter Protest verstehen: Das ist bunt, gewaltfrei und gerne auch laut. Die Menschen werden entschlossener, das bedeutet überhaupt nicht, dass sie radikaler werden oder Gewalt anwenden. Das hat damit nichts zu tun. Die Grünen preschen mit Anti-Atom-Parolen voran. Ist das Konkurrenz für Euch? Nein, eher eine Ergänzung. Das sind andere Menschen mit anderen Mitteln, und wir müssen mit denen, wenn es um Fragen wie den Atomausstieg geht, auch zusammenarbeiten. Natürlich beinhaltet das auch, dass die Grünen sich uns gegenüber öffnen und mit uns zusammenarbeiten wollen. Vor der Wahl hörte sich das aber anders an - auf der Demonstration am 5. September durften keine Parteivertreter sprechen. Wir wollten uns nicht für den Wahlkampf instrumentalisieren lassen. In Koalitionsverhandlungen fallen vorgegebene Ziele schnell unter den Tisch oder werden zu Verhandlungsmasse. Die Grünen sind damals 1998 auch in den Bundestagswahlkampf gezogen und haben gesagt "Atomausstieg jetzt, Atomanlagen stilllegen!" - und was dabei herausgekommen ist, ist der Bestandsschutz, also der Atomausstieg bis 2021. Wir wollen zeigen, dass es eine außerparlamentarische Opposition gibt, und so Druck ausüben. Gegen eine breite Bürgerbewegung kann sich die Politik, auch Schwarz-Gelb, irgendwann nicht mehr sperren. Im Übrigen ist auch eine Mehrheit der Wähler von Union und FDP gegen Atomkraft. Wie kamst du zum Thema Atomkraft? Ich habe 2001 angefangen mich mit dem Castor zu beschäftigen, das war meine politische Initialzündung. Ich studiere Umweltwissenschaft in Lüneburg, da ist es nicht weit ins Wendland. Wenn man sich jeden Tag mit Atomenergie beschäftigt und einen Einblick bekommt, was hinter den Vorhängen der Atomindustrie passiert, merkt man, dass da viel mehr schief läuft, als sie öffentlich zugeben. Wir wollen das öffentlich machen, Störfälle thematisieren, genau hinschauen, was da passiert. Und dann haben wir einen aktionistischen Hintergrund, das hat auch sportlichen Charakter, wir sind ja noch jung, ich bin 27: Abseilaktionen am Endlagerschacht in Gorleben oder an Transportstrecken sollen unseren Protest durch entsprechende Bilder untermauern. Wie würdest du dir die Entwicklung im Idealfall vorstellen? Im Idealfall folgen die politischen Parteien ihren Aussagen, dass wenigstens die weniger sicheren Atomkraftwerke sofort abgeschaltet werden. Wir reden von fünf oder sieben Anlagen in Deutschland, die sofort vom Netz gehen müssen. Brunsbüttel, Biblis, Krümmel - die stehen teilweise seit Langem still, reparaturbedingt, oder laufen nur sporadisch. Und wir brauchen sie nicht, es gibt in Deutschland keine Stromlücke. Wir exportieren sogar Strom, und daher können die gleich aus bleiben. Jedes Atomkraftwerk, das vom Netz bleibt, ist für uns ein Pluspunkt. Und unser Ziel ist klar: Stilllegung aller Atomanlagen. Die Dinger müssen vom Netz, und zwar sofort, ohne Rücksichtnahme auf irgendwelche wirtschaftlichen Aspekte. Sondern die Gesundheit, das Wohlergehen der Gesellschaft steht im Vordergrund: unsere Zukunft. Am 7. November findet der bundesweite dezentrale Aktionstag statt. Mehr Infos bekommst du bei contratom.de.

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