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"Die Menschen sind müde und gelangweilt von den Kämpfen auf den Straßen"

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Der gebürtige Iraner Arash Abadpour, 32, lebt in Toronto, Kanada, und bloggt seit 2004 unter dem Pseudonym "Kamangir" (deutsch: Bogenschütze). Seine Website gehört zu den 20 meistgelesenen persischen Blogs. Wir haben mit ihm über die Situation von Bloggern im Iran und die bevorstehende Parlamentswahl gesprochen.  

jetzt.de: Laut eines Berichts von Amnesty International soll es im Iran öffentliche Hinrichtungen und Peitschenhiebe für Blogger geben. Wie verfolgst du in Kanada, was gerade in Deiner Heimat passiert?
Arash Abadpour: Da kommt mir die Informationsüberflutung, in der wir leben, zugute. Neuigkeiten, auch aus meiner Heimat, erreichen mich über viele Kanäle, vor allem soziale Netzwerke wie Google+, Twitter und Facebook, aber auch Blogs und Websites. Um mich von hier aus zu engagieren, blogge und twittere ich und beteilige mich an Diskussionen in sozialen Netzwerken.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Wandgemälde in Teheran zeigt Ayatollah Ali Chamenei.

Wie hältst du Kontakt zu deiner Familie?
Darauf möchte ich nicht antworten, um sie nicht in Gefahr zu bringen.  

Amnesty International schrieb von Bloggern, die verfolgt und verhaftet wurden.
Blogger versuchen normalerweise, ihr Profil möglichst anonym zu gestalten und an einem sicheren Ort zu sein.  

Wer genau wird im Iran verfolgt?
Wie in dem Bericht von Amnesty International steht, sind es vor allem Anwälte, Studenten und Journalisten. Es geht aber weniger um die Berufe, sondern um die Kritik am System, dabei spielt es keine Rolle, wer man ist oder was man tut. Was zählt, ist, ob man sich zum Beispiel kritisch gegen den Islam oder die Regierung äußert. In Gefahr sind also Oppositionspolitiker, Iraner mit Kontakten ins Ausland, religiöse und ethnische Minderheiten. Es reicht, wenn man etwas Kritisches sagt und einen die falsche Person hört.  

Welche Rolle spielen das Internet und speziell Blogs im Kampf für Pressefreiheit und Demokratie?
Das Internet ist eine der wenigen übriggebliebenen Plattformen, auf denen man seine Meinung relativ frei äußern kann. Die meisten anderen Kommunikationskanäle werden strengstens überwacht und abgeschaltet, wenn dem Staat die Botschaften, die dort kommuniziert werden, nicht gefallen. Solche Diskussionen finden in jeder gesunden Gesellschaft in den Medien und anderen Kanälen statt. Im Iran passiert der Großteil im Internet.  

Im Iran sind Internetsperren weit verbreitet. Wie kommen die Menschen an Informationen?
Es gibt immer Methoden. Die Bevölkerung will den Zugang zu Informationen und das gelingt ihr auch. Wenn du zehn Iraner fragst, wirst du wahrscheinlich fünf verschiedene Antworten erhalten. Am Anfang haben Blogger SLL-Zertifikate verwendet, um Kontrollmechanismen zu umgehen, später waren RSS-Feeds beliebt. Die Menschen nutzen, je nach ihren technischen Fähigkeiten, Programme zum Umgehen von Netzwerkfiltern, VPN-und 3G-Verbindungen, die weniger eingeschränkt sind. Dann sind da auch Mundpropaganda und das Gespräch auf der Straße.  

Welche Möglichkeiten haben Blogger, um die Zensur zu umgehen?
Es gibt viele Werkzeuge. Nicht alle von ihnen funktionieren im Iran, besonders die langsame Internetverbindung ist eine Herausforderung für jedes Umgehungswerkzeug. Gerade nutzen Blogger verstärkt soziale Netzwerke, um Inhalte zu verbreiten und um sicherzustellen, dass ein großes Publikum lesen kann, was sie schreiben.  


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der gebürtige Iraner Arash Abadpour bloggt seit 2004 unter dem Pseudonym "Kamangir" (deutsch: Bogenschütze).

Neben den Systemkritikern: Welche Gruppen gibt es noch in der iranischen Blogger-Szene?
Jeder, der ein Thema hat, geht damit ins Internet. U-Bahn-Musiker, Autoren, die ihre Inhalte nicht anderweitig veröffentlichen können, Minderheiten, die ihre Meinung nicht äußern dürfen. Jeder, der etwas zu sagen hat, es in der realen Welt aber nicht sagen kann oder darf, tut das im Internet.  

Eine neue Cyber-Polizei soll laut Amnesty International kritische Websites im Iran verfolgen. Schon im vergangenen wurde von „Cyber War“ gesprochen. Wer steckt dahinter?
Cyber-Krieg und Cyber-Polizei sind zwei verschiedene Sachen. Die Cyber-Polizei überwacht Netzwerke, in denen Inhalte produziert oder kommuniziert werden. Ihre Aufgabe ist – offiziell – die Sicherheit im Internet zu garantieren. Sie würde auch Facebook-Seiten sperren, auf denen sich zum Beispiel iranische Jugendliche darin messen, wer sexier ist. Die Cyber-Armee auf der anderen Seite hat keine nationalen Ziele. Sie greift auf der internationalen Bühne an, zum Beispiel Fluggesellschaften, Medien oder Banken in Ländern, die sich mit feindlichen Staaten zusammentun. Sie greifen auch soziale Netzwerke wie Twitter an.

Denkst du, Systemkritiker werden sich davon einschüchtern lassen?
Die Cyber-Polizei ist nur ein Name. Es gibt ein großes namenloses Heer von Cyber-Beobachtern, die sich im Internet bewegen und Informationen über jeden sammeln.  

Wenn du dich kritisch äußerst, hast du Angst, dass deine Leser im Iran Probleme bekommen?
Nein. Meine Worte sind wichtig für das System. Die Cyber-Beobachter, die meine Inhalte lesen, sind ein wichtiges Ziel für mich. Sie überwachen mich und andere Leute wie mich, und wir versuchen, einen Einfluss auf ihre Meinung zu haben. Unsere Beziehung zur Cyber-Polizei ist ein bisschen wie in dem Film „Das Leben der Anderen“. Darin geht es um die Stasi und ihr System aus Kontrolle und Überwachung. Irgendwann geht einem Stasi-Mann beim Observieren dann ein Licht auf.  

In letzter Zeit verschärft Iran den Kampf gegen die Opposition. Was erwartest du noch bis zur Parlamentswahl am Freitag? Glaubst du, dass es zu ähnlichen Protesten kommt wie nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Sommer 2009?
Nicht wirklich. Parlamentswahlen sind eher von nationaler Bedeutung, im Gegensatz zu Präsidentschaftswahlen, die im Zusammenhang mit der Zentralregierung stehen. Ich sehe hier keine starke Opposition auf der Straße. Die Menschen sind müde und gelangweilt von den Kämpfen auf den Straßen. Viele kümmern sich nicht mehr. Das ist die Realität.    

Du bist in der Jury der Blog Awards „The BOBs“. Warum unterstützt du diesen Preis?
Die Blog-Awards „The BOB’s“ waren in den vergangenen Jahren ein sehr erfolgreiches Programm. In der persischen Blogosphäre ist es inzwischen eine Tradition, die persischen Bloggern erlaubt, mehr voneinander zu erfahren und auch ihren Bekanntheitsgrad zu vergrößern. Wenn ein Blog auf die Liste der „BOBs“ kommt, ist das die Gelegenheit, Blogs kennenzulernen, die vielleicht außerhalb unserer Insel in der Blogosphäre sind - und es gibt viele solcher Inseln in der persischen Blogosphäre. Der Preis macht deutlich, dass die persische Blogosphäre viel größer ist, als man denkt.  

Wie kann man von hier aus noch die Menschenrechtsaktivisten im Iran unterstützen?
Es ist wichtig, dass die Nachrichten, die aus dem Iran kommen, von den Medien verbreitet werden, natürlich erst, nachdem sie überprüft worden sind. Gewisse westliche Unternehmen haben und verkaufen immer noch Videoüberwachungsanlagen an die Regierung. Das muss aufhören.



Text: kathrin-hollmer - Fotos: afp, Arash Abadpour

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