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"Die Leute wundern sich, wie viel ich für Duschgel ausgebe"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Christian, du protokollierst deinen kompletten Tagesablauf auf fünf Minuten genau auf deiner Website. Darin tauchen auch Aufzeichnungen wie „auf dem Rückweg erworbenen Döner verzehren“ oder „11.20h-11.25h MorgenInternetProkrastination“ auf. Warum schreibst du das alles so haarklein auf und vor allem für wen?
Christian Heller: In erster Linie für mich selbst. Es ist ganz nützlich, den eigenen Tagesablauf visualisiert vor Augen zu haben. So kann ich gucken, wie viel Zeit ich tatsächlich für die einzelnen Dinge brauche. Ich kann mit „Volltext durchsuchen“ schauen, wann ich das letzte Mal irgendwas Bestimmtes gemacht habe, oder auch, was ich exakt zur gleichen Zeit vor einem Jahr gemacht habe. Das erweitert den Blick auf einen selbst.

Aber wenn es nur für dich selbst ist, müsstest du es ja nicht für jeden zugänglich ins Netz stellen.
Ach na ja, wenn ich es eh schon aufschreibe, kann ich es auch öffentlich aufschreiben. Ich experimentiere damit, in meinem Wiki immer mehr Informationen öffentlich zu machen und will schauen, was damit passiert. Leute könnten die Daten, wann ich gerade nicht da bin, ja auch dazu nutzen, bei mir einzubrechen und meine Wohnung leer zu räumen. Bisher ist aber noch nichts Schlimmes passiert.
 
Erwartest du von Freunden und Familie, dass sie erst mal in deinen Tagesplan gucken, ob du gerade schläfst oder beschäftigt bist, bevor sie dich anrufen?
Das tun sie zwar nicht immer, aber das ist ein möglicher Nutzen. Und ich weiß auch von ein, zwei Personen, die das tatsächlich machen und mich dann erst anrufen, wenn ich wieder wach bin.

Neben deinem Tagesablauf sind auch deine Ausgaben für jeden Menschen einsehbar.
Ja, denn ich gehe davon aus, dass öffentliche Informationen pauschal mehr Nutzen bringen als versteckte. Genauso ist es mit den Finanzen. Ich habe letztes Jahr mit den Bargeld-Ausgaben angefangen. Jetzt habe ich auch begonnen, meine Girokonten-Ausgaben öffentlich zu stellen. Irgendwann werde ich die Einnahmenseite Stück für Stück öffentlich stellen. Momentan sind die einzigen Einnahmen, die bei mir öffentlich sind, was ich für Pfandflaschen kriege, die ich zurückbringe.

Was ist außer dem eigenen Nutzen, den du ja auch mit einer Excel-Tabelle auf deinem Rechner hättest, der Mehrwert für die Welt?
Die Welt muss selbst sehen, was sie für einen Nutzen daraus zieht. Man weiß ja nie, was die Leute so interessiert. Aber nur weil ich es öffentlich stelle, heißt das nicht, dass ich es irgendjemandem aufnötige. Für mich hat es vielmehr auch den Vorteil, dass ich mich diszipliniere, tatsächlich solche Protokolle durchgängig zu führen und nicht zwischendurch die Excel-Tabelle zu vergessen. Oder sie liegt auf dem anderen Computer und ich kann nichts reinschreiben. Es ist sehr viel praktischer, wenn das in einem Wiki steht, auf das ich von überall zugreifen kann und das ich von überall lesen kann.

Was für Rückmeldungen bekommst du über deine öffentliche Lebensführung?
Manchmal wundern sich die Leute über meinen Tagesrhythmus. Oder es haben sich Leute gewundert, wie viel Geld ich für Duschgel ausgebe und das dann öffentlich bei Twitter kommentiert. Da überlegt man sich natürlich, ob man irgendwas falsch macht, also beispielsweise ob man sehr viel weniger Geld dafür ausgeben könnte. Insofern ist das auch Teil eines Projektes der tausend Augen. Sie finden Verbesserungspotenzial und geben einem Tipps, dass man dieses oder jenes Produkt hier oder da günstiger bekommt. Das finde ich ganz hilfreich.
 

Dein Wiki bezeichnest du als „Zettelkasten, ausgelagertes Gedächtnis, Experiment“. Diesem Experiment liegt die Annahme zu Grunde, dass es irgendwann gar keine Privatsphäre mehr geben wird. Aber warum beraubst du dich schon jetzt deiner letzten Privatsphäre?
Ich will dem allgemeinen Trend vorausgehen. Aus diesem Experiment kann ich dann vielleicht Strategien lernen, mit dem Wandel besser umzugehen, als wenn ich mich von heute auf morgen ins kalte Wasser stoßen lasse von Facebook und Co. Viele Dinge, die wir geheim halten oder geheim zu halten glauben, kommen früher oder später trotzdem raus. Das versuche ich pro-aktiv anzugehen und zu schauen: Was passiert denn, wenn man mit den Sachen post-privat umgeht?

Für viele ist das Ende der Privatsphäre eine beängstigende Vorstellung. Du siehst stattdessen viel Positives darin. Außer Tipps für günstigeres Duschgel – welche Chancen bringt das Post-Privacy-Zeitalter mit sich?
Wenn Menschen ihre persönlichen Lebensumstände und ihre Probleme öffentlich machen, können sie sich viel eher solidarisch miteinander organisieren und die Probleme angehen. Außerdem gibt es Websites wie Hunch.com oder OkCupid.com, wo man Fragen über sich selbst beantwortet. Daraus wird dann ein Persönlichkeitsprofil erstellt. Im Fall von OkCupid wird das dazu genutzt, Menschen andere Menschen zu vermitteln, die ihnen vielleicht zusagen könnten. Hunch.com verwendet die Informationen dazu, Leuten Produkte vorzuschlagen, die ihnen gefallen könnten. Interessant finde ich jedoch, dass viele Leute bewusst nur Informationen aus den Bereichen A, B und C preisgeben wollen, aber nicht über D, E und F. Aber auch Informationen über D bis F können immer leichter vorhergesagt werden, wenn wir genug Informationen aus den anderen, harmloseren Bereichen offenlegen.

Du persönlich wirst aber kaum für mehr Zurückhaltung im Internet plädieren, oder?
Wer sich mit der Offenlegung seiner Daten zurückhält, um das Ende der Privatsphäre etwas hinauszuzögern, dem möchte ich das gar nicht ausreden. Ich möchte ihm nur ausreden, dass es langfristig irgendeine Sicherheit bietet. Selbst die Daten, die wir aus dem Netz raushalten wollen, lassen sich zu einem immer größeren Anteil durch die Umgebungsdaten zusammenkorrelieren.

Danke fürs Interview, Christian. Dann wünsche ich dir heute viel Spaß beim „Babylon 5“-Marathon, morgen auf der Geburtstagsfeier und Samstag bei „Fiona lernt Programmieren“ – wenn ich deinen Terminkalender noch richtig im Kopf habe.

Christian Heller ist 26 Jahre alt und wohnt in Berlin. Nach ein paar Semestern Studium der Philosophie und der Filmwissenschaften entschied er, dass er mit einem Bachelor in Philosophie keine viel besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werde als ohne. Christians Ziel ist es, seinen Lebensunterhalt allein durch seine Gedanken zu finanzieren – sei es niedergeschrieben wie in seinem Post-Privacy-Buch oder vorgetragen bei Diskussionen. Und das klappt immer besser. Obwohl er finanziell noch von seinen Eltern unterstützt wird, ist er kaum noch auf das Geld angewiesen. Christian hat noch nie in einem regulären Angestelltenverhältnis gearbeitet und möchte dies auch nicht.



Text: dorothee-klee - Foto: Fiona Krakenbürger

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