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"Die künftigen Generationen haben keine Stimme"
Vom 10. - 20. Mai findet in Berlin der erste Weltjugend-Nachhaltigkeitsgipfel mit dem Titel „Jugend und Nachhaltigkeit im Alltag – Globale Lebensweisen hinterfragen, überdenken und neu entwickeln“ statt. Hinter dem Titel verbirgt sich die „youthinkgreen“-Initiative, die weltweit Jugendliche zu Klimabotschaftern ausbildet. Einer der Referenten des Gipfels wird der Publizist und Demokratieforscher Wolfgang Gründinger sein. Wolfgang, Jahrgang 1984, versteht sich selbst als Zukunftslobbyist und ist Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen sowie Mitglied des Think Tank 30, der jungen Denkfabrik des Club of Rome. Zu seinen Schwerpunkten gehören Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wolfgang Gründinger.
Dein Motto ist „Unfuck the planet!“, was kann man sich darunter konkret vorstellen?
Wir beuten die Erde derzeit massiv aus, die Temperaturen erhöhen sich aufgrund der CO2-Emissionen, wir verfeuern Öle, Kohle und Gas unwiederbringlich, wir beuten die Fischgründe aus, die Regenwälder werden abgeholzt, deswegen machen wir diesen Planeten schlichtweg kaputt und und da müssen wir dringend was dagegen tun, sonst wird er in fünfzig Jahren ein ganz anderes Gesicht haben.
Wer verbirgt sich hinter diesem berüchtigten „Wir“?
Das ist eine gute Frage, wir sind ja eigentlich wir alle, aber Du kennst vielleicht das Problem der kognitiven Dissonanz. Das bedeutet, dass wir eigentlich alle wissen, was zu tun wäre. Wir wissen, dass Fliegen schädlich ist, wir wissen, dass Fleischverzehr nicht gut ist für die Regenwälder und die Welternährung, aber trotzdem haben wir immer Ausreden parat, um nichts tun zu müssen. Das ist wie mit dem Joggen: Es wäre gesund für uns, aber heute ist es zu kalt, morgen bin ich zu müde, vorgestern hat es geregnet. Das ist bei mir nichts anders.
Werden wir in Zukunft alle Vegetarier, weil Fleisch unerschwinglich sein wird?
Im Westen wird es schon erschwinglich sein, es ist eher eine ökologische Frage. Wenn wir den ökologisch richtigen Preis zahlen müssten, würden wir viel weniger Fleisch essen. Schon aus ökologischen Gründen sollten wir uns allerdings überlegen, ob wir soviel Fleisch essen müssen, wie wir es momentan tun.
Wieso sollen sich Jugendliche für das trockene, abstrakte und irgendwie auch ferne Thema namens Klima interessieren?
Naja, für die heutigen Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft ist die Frage, ob der Meeresspiegel um einen Meter steigt, oder ob es Naturkatastrophen geben wird, eine rein akademische Frage. Sie werden das Jahr 2050 nicht mehr erleben, zumindest nicht als Entscheidungsträger, aber wir Jugendlichen werden das Jahr 2050 erleben, und unsere Kinder das Jahr 2100. Deswegen interessieren sich immer mehr Jugendliche für den Klimawandel.
Zu den ignoranten Entscheidungsträgern würde dann allerdings auch die Schirmherrin des Weltjugend-Nachhaltigkeitsgipfels, Angela Merkel, gehören.
So eine Schirmherrschaft kostet halt nix. Sobald es darum geht, nicht nur Symbolpolitik zu betreiben, nicht nur wohlfeile Erklärungen abzugeben, sondern auch zu handeln, tut sich die Politik schwer. Denn sie ist von der politischen Logik her sehr gegenwartsfixiert, die künftigen Generationen haben einfach keine Stimme, die sie in die Waagschale werfen könnten. Die heutigen Jugendlichen sind bis zum 18. Lebensjahr pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen, es kann der Kanzlerin also gar nicht so sehr um die Interessen und Rechte der künftigen Generationen gehen, weil sie immer nur Mehrheiten bei den nächsten Wahlen braucht.
Wenn man dieser Logik folgt, müsste man das Wahlrecht einfach für 5-Jährige einführen und die Politiker würden auch deren Interessen vertreten.
Genau das ist meine Forderung, das Wahlrecht für Kinder und Jugendliche zugänglich zu machen. Jeder junge Mensch sollte wählen dürfen, sobald er es möchte.
Wäre es nicht sinnvoller, die Mächtigen der Welt eine Woche in einen Raum zu sperren und erst rauszulassen, wenn das mit dem Klima geregelt ist, statt publikumswirksam die idealistische aber machtlose „Weltjugend“ zu versammeln?
Ich habe den Eindruck, dass wir Jungen gar nicht mehr auf die Mächtigen vertrauen. Viele sind sehr enttäuscht und frustriert, weil wir sehen, wie mühsam und langwierig die Entscheidungsprozesse sind. Viele setzen gar nicht mehr unbedingt bei der Politik an sondern engagieren sich sozial und ökologisch.
Könnte man sagen, uns geht es zu gut?
Verglichen mit anderen Ländern in Europa, wo es mehr als fünfzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit gibt, geht es uns gut. Ob es uns zu gut geht, weiß ich nicht.
Was sollen Jugendliche tun? Steine werfen, in die Politik gehen, Bäume pflanzen?
Das mit dem politischen Protest haben die Jugendlichen beispielsweise in Griechenland oder Spanien ja probiert, aber es hat nichts gebracht. Man wird gehört, aber erreicht nichts. Jetzt gehen sie nicht mehr auf die Barrikaden, sondern nach Deutschland.
Revolution?
Revolution heißt ja: Abschaffung der bisherigen Verhältnisse. Aber man weiß nicht, was danach kommen soll.
Ja, was könnte danach kommen?
Ich denke, es geht darum, den Kapitalismus sozial gerechter und ökologisch nachhaltiger zu machen. Es geht nicht darum, ihn abzuschaffen, denn ich weiß schlicht nicht, was die bessere Alternative wäre.
Wie sieht es eigentlich mit dem Wachstum aus? Uns wird ja immer gesagt, dass die Wirtschaft wachsen muss, damit unser Wohlstand wächst und die Arbeitslosigkeit sinkt. Aber wie soll das mit den immer begrenzteren Ressourcen funktionieren?
Die Frage ist: Welches Wachstum? Wachstum alleine sagt ja noch nicht aus, wie es den Leuten wirklich geht. Man kann das Bruttoinlandsprodukt durch den Verkauf von Erdbeereis steigern und durch den Verkauf von Panzern, das ist statistisch die gleiche Zahl, sie sagt inhaltlich aber nichts aus. Man muss auch andere Indikatoren berücksichtigen: soziale Gerechtigkeit beispielsweise. Und man muss sich fragen: Wo wollen wir hin? Statt: Wie sehr wollen wir wachsen?
Wo wollen wir denn hin?
Zu einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft.
Und wo sind wir jetzt?
Wir leben in keiner gerechten Gesellschaft, weil beispielsweise die Chancen eines Arbeiterkindes für eine Gymnasiumsempfehlung bei gleichen Noten viermal geringer sind als die Chancen eines Akademikerkindes.
Ist der eigentliche Gegensatz nicht Arm gegen Reich, statt Alt gegen Jung?
Das kann man so sehen, natürlich gibt es viele gesellschaftliche Konflikte, auch Mann gegen Frau, Schwarz gegen Weiß, Heterosexuell gegen Homosexuell, aber man darf die Konflikte nicht isoliert betrachten, denn es gibt ja auch innerhalb der Generationen starke Konflikte und Unterschiede. Beispiel Frauenquote: Frauen sind ja keine homogene Masse, aber sie werden von ihrem Frau-Sein geprägt. Genauso wie junge Menschen durch ihr Jung-Sein geprägt sind und alte Menschen durch ihr Alt-Sein, weil es einfach gemeinsame Lebensentwürfe gibt, gemeinsame Lebenslagen und gemeinsame Erinnerungen.
Angenommen der Weltjugend-Nachhaltigkeitsgipfel würde alle seine Ziele und Ideen umsetzen können: Wer müsste auf was verzichten?
Das ist eine sehr schwierige Frage, ich glaube, dass das Wort „Verzicht“ die Sache gar nicht so richtig trifft, es geht eher darum, etwas anders zu machen. Die Armen, also die Schwellen- und Entwicklungsländer, müssen aus ihrer Armut raus. Aber wir wollen ihnen jetzt vorschreiben, dass sie das nicht machen, indem sie unsere industrielle Entwicklung wiederholen, weil unser Planet das nicht verkraften würde. Es kann nicht jeder Mensch auf der Welt so leben wie die US-Amerikaner und Westeuropäer, das geht nicht. Aber man kann jemandem, der hungert, nicht sagen: Du darfst diesen Fisch nicht essen, denn diese Sorte ist überfischt. Wer hungert, wird immer den letzten Fisch fangen und den letzten Baum abholzen. Deswegen müssen wir diesen Volkswirtschaften zeigen, dass Wohlstand mit nachhaltiger Industrie möglich ist, also Windenergie, Solarenergie, Biomasse, ökologische Landwirtschaft.
Ist diese ökologische Lebensart letztlich mit Wohlstand für alle vereinbar?
Ja, anders geht es nicht, allerdings kein Wohlstand nach westlichem Vorbild, das gibt der Planet auf Dauer nicht her.
Text: marcus-ertle - Foto: o.H.