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Die ersten palästinensischen Rapper – DAM
Bei unserem letzten Gespräch 2003 sagten Sie, dass Sie ihre kleine Wohnung und Wohngegend hassten, dass es Ihnen schwer war, Ihren behinderten Vater immer in den zweiten Stock hoch zu tragen, und dass Sie davon träumen wegzugehen. Haben Sie Ihren Traum bereits verwirklichen können? Tamer: Mit Gottes Hilfe ziehen wir in drei-vier Monaten in einen besseren Stadtteil in Lod um. Wir haben bereits ein Haus gekauft, in einem guten Viertel. In einem jüdischen? Tamer: Nein, dort lassen sie doch keine Araber rein. Aber ihr seid doch bekannt. Tamer: Aber zuallererst sind wir Araber. Und was bedeutet ein guter Stadtteil? Tamer: Einer, der frei von Drogen ist. Das ist gut genug für mich. Die meisten Nachbarn sind Araber, aber auch Juden leben dort. Aber irgendeine radikale jüdische Gruppe klebte an unser noch unfertiges Haus ein Flugblatt. Darauf fordert sie uns auf, ihr das Haus zu verkaufen, sonst werde man es auf anderen Wegen nehmen. Ich habe das gleich ins Feuer geworfen. So was erschreckt mich nicht.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Rapper Mahmoud (links), Suhell und Tamer (rechts), Foto: Steve Sabella Werdet ihr in dem neuen Haus geräumiger leben? Tamer: Wir werden nicht mehr zu sechst, sondern zu siebt wohnen. Im nächsten Frühjahr heirate ich meine arabisch-muslimische Freundin. Könnten Sie sich vorstellen, eine Jüdin zu heiraten? Tamer: In der jetzigen politischen Situation lieber nicht. Wozu Probleme schaffen? Dann wird das Kind auch jüdisch, nicht das ich gegen Juden bin, aber der Junge müsste dann zur Armee. Außerdem liebe ich meine Kultur und Sprache, daher verliebte ich mich in eine Frau, die diese Kultur teilt. Jreri: Auch ich habe kaum Kontakt zu Juden, abgesehen von Schule und Arbeit. Niemals hatte ich jüdische Freunde, die mich besuchten und mit mir zusammen ausgingen. Suhell: Mir ist die Religion egal, also eine Jüdin ja, aber keine Israelin. Als ich euch besuchte, haben Sie sich über die Enge beschwert. Lebt ihr beide immer noch in einem Raum? Tamer: Leider Ja. Und musizieren Sie zu Hause? Suhell: Wir schreiben zu Hause die Texte, bereiten die Skizzen mit Stift und Papier und hören Musik am PC, machen aber keine Aufnahmen dort. Mahmoud Jreri, möchten Sie Ihren Nachbarn, den Nafars, in die neue Umgebung folgen? Mahmoud Jreri: Wir können uns eine Eigentumswohnung nicht leisten – mein Vater war Schlosser und ist arbeitslos. Wir leben daher, wie viele unserer Nachbarn, zur Miete. Ihre Familie ist bereits einmal aus einer reinen arabischem Viertel umgezogen. Warum? Mahmoud Jreri: In unserem Block war in jedem Luftschutzkeller eine Station für Drogenhandel. Das war üblich in unserem Stadtteil, Neve Jerek, auf Hebräisch ‚die grüne Aue’, das alle aber ‚Wohnsiedlung der Araber’ nannten. Ich wuchs auf mit Kindern, die Drogendealer wurden, zu Geld kamen, dann im Knast landeten und später selbst Junkies wurden. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Auch manche Araber wurden drogensüchtig Suhell: Ein Sprichwort lautet: Am Ende wird der Koch sein Gericht essen. Und Sie selbst wohnten als Schüler im jüdisch-arabischen Dorf Neve Shalom? Suhell Nafar: Ich habe dort nur studiert und wurde jeden Morgen mit dem Schulbus etwa 20 Minuten hingefahren. Die Schule war damals neu und in aller Munde, wir waren nur vier Kinder in der Klasse. Und Ihre Mutter unterrichtete dort, stimmt’s? Jreri: Ja. Woher wissen Sie all das? Suhell: Bestimmt vom israelischen Inlandsgeheimdienst. Man bereitet sich halt vor. Zu einem anderen Thema: In diesen Tagen erschien der aktuelle Armutsbericht in Israel. Danach leben unter der Armutsgrenze dreimal so viele arabische Familien wie jüdische. Spüren Sie diese Armut? Jreri: Als Araber in Israel muss man für seine Existenz kämpfen, weil man benachteiligt wird, auch die Schulen sind schlechter. Die Armut ist nicht nur finanziell, sondern auch mental. Sie mussten einmal Ihren Namen ändern, um einen Job zu bekommen. Jreri: Als ich 17 war, organisierte ein Freund mir ein Vorstellungsgespräch in einem nahe gelegenen Restaurant. Der Chef fragte mich gleich, wie ich heiße. „Mahmoud“, sagte ich. „Du musst deinen Namen ändern“. „Warum?“ Dieser sei kundenunfreundlich. Ich sollte mich „Amir“ nennen. Aber ich bin nicht mehr hingegangen. Ich wurde erzogen, stolz zu sein auf das, was ich bin. Wurdet auch ihr beide aufgefordert, den Namen zu ändern? Tamer: Nein. „Tamer“ ist aber nicht so auffallend wie „Mahmoud“. Sie nennen mich „Tomer“ oder „Tamir“ (jüdische Namen, I.A.). Suhell: Mich nannten man in der Schule irrtümlich „Israel“. Die Hälfte der arabischen Häuser in Lod wurde ohne Genehmigung gebaut. Warum? Tamer: Weil die Gesetzgeber die „Judäisierung“ Lods betreiben und die Araber hinausdrängen wollen. Weil das Gesetz uns benachteiligt, soll man sich nicht daran halten. Suhell: Um die jüdische Mehrheit zu erhalten errichteten sie jüdische Siedlungen in Lod. Die Araber werden ghettoisiert, denn sie dürfen ihre Häuser nicht erweitern. Sie warten jahrelang auf eine Baugenehmigung – auf eigenem Grundstück. Inzwischen wächst die Familie. Sollen wir uns wegen der Bauverwaltung nicht vermehren, nicht bauen und nicht normal leben? Dafür wurde in Lod eine Mauer errichtet. Jreri: Sie trennt einen arabischen Stadtteil vom wohlhabenden jüdischen Dorf Nir Zwi, dessen Bewohner die Slums nicht sehen wollten. Dann aber hat das Oberste Gericht den Bau gestoppt, also verlängerten sie die Betonmauer durch einen Schutthügel. In Lod leben auch tausende Palästinenser illegal. Tamer: Sie haben doch das Rückkehrrecht. Warum illegal? Was ist mit den Einwanderern aus Marokko und Polen, aus den USA und Frankreich – mit diesen Millionen, die auch hier illegal sind? (lacht) In welcher Sprache singt ihr? Suhell: Nur auf Arabisch. Wir fördern noch die CD, „Dedication“, (auf Deutsch „Hingabe“, I.A.), die im Oktober 2006 erschien. Bisher haben wir nur Singles in eigener Produktion veröffentlicht. Zum ersten Mal haben wir eine offizielle CD, die durch die britische Plattenfirma RCM in die Welt lanciert wird. Es war übrigens schwer, teuer und zeitraubend, unsere CDs ins Land zu importieren. Und keine israelische Musikfirma wollte euch unter Vertrag nehmen? Suhell: Das wäre möglich, aber ohne Marketing und ohne Einspielungen im Radio, weil die Songs ja auf Arabisch sind. Die israelischen Musikfirmen glauben nicht an das künstlerische Potential arabischer Künstler und sie verpflichten keine arabischen Bands. Vielleicht denken sie, dass sich die CD nicht verkaufen lässt. Wir hatten einige interessierte Musikfirmen, aber sie wollten, dass wir unsere Texte moderater machen. Das hat uns nicht gefallen, daher mussten wir ins Ausland gehen, um die CD fürs Inland zu produzieren Ihre Musik wurde ausgerechnet in der Hip-Hop-Sendung des Militärsenders Galei Zahal gespielt, „Essek Schachor“. Wie kam es dazu? Tamer: Die Programmmacher sind ganz toll und die Musik von hoher Qualität. Sie haben uns kein Gefallen getan, sondern uns als Teil der guten Musik gesendet – ohne nationale oder religiöse Einschränkungen. Sie sendeten uns und die Zuhörer liebten es. Alle Radiosender sollen so offen sein und uns nicht nach unserer Herkunft beurteilen. Wie stellt ihr euch die Zukunft zwischen Israelis und Palästinensern vor? Suhell: Wir sind gegen jegliche Grenzen, sowohl die von 1967 als auch die von 1948. Das ist doch das Heilige Land, dann sollen alle dort leben. Wollt ihr einen gemeinsamen Staat? DAM: Ja, einen demokratischen Staat für alle Bürger, nicht für eine bestimmte Religion. Suhell: Es kann auch jüdische Palästinenser geben, so wie vor der Besatzung. Man Großvater und Vater wurden vor der Besatzung (1948, I.A.) aus Jaffa vertrieben, meine Mutter aus Majdal (dem heutigen Ashkelon, I.A.). Aber wenn die Araber im Heiligen Land die Mehrheit bilden, werden die Juden gar keinen Staat mehr haben. Tamer: Aber mit einer jüdischen Mehrheit werden die Palästinenser keinen Staat haben. Natürlich habt ihr das Recht auf einen jüdischen Staat, aber warum auf Kosten anderer? Haben wir den Holocaust verursacht? Wenn schon ein Land besetzen, dann besetzt Deutschland.