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"Die Antwort wäre ein ordentliches BAföG-System"
Zum 1. Januar 2015 soll bundesweit der flächendeckende, gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt werden. Arbeitgeberverbände und CDU fordern diverse Ausnahmeregelungen, zum Beispiel für Rentner oder Minijobber. SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles fordert nur eine einzige: Sie möchte, dass der Mindestlohn nicht für Jugendliche unter 18 Jahren gilt. "Wir müssen verhindern, dass junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen", sagte sie im Interview mit der „Bild am Sonntag“. Ist eine solche Ausnahmeregelung für Jugendliche sinnvoll oder nicht? Wir haben bei Marcel Thum, Geschäftsführer des ifo Dresden und Professor für Finanzwissenschaft an der TU Dresden, nachgefragt.
jetzt.de: Andrea Nahles begründet die geplante Ausnahmeregelung mit der Sorge, dass Jugendliche durch den Mindestlohn eventuell lieber ohne Ausbildung arbeiten gehen würden anstatt eine Ausbildung zu machen. Ist das eine berechtigte Sorge?
Prof. Thum: Am unteren Ende der Einkommensskala, wo auch nach der Ausbildung wenig verdient wird, mag es einige geben, die sagen: Ich mache doch keine Ausbildung, zum Beispiel zum Friseur, sondern nehme gleich einen Job ohne Ausbildung an. Aber ich glaube, ein Großteil der Leute ist doch vernünftig genug und weiß, dass eine gute Ausbildung die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist und dass sie hilft, später gut zu verdienen, weit weg von den Sozialhilfesätzen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Aushilfsjob statt Ausbildung? Andrea Nahles befürchtet, dass der Mindestlohn für Jugendliche sie von einer Aubildung abhält.
Also teilen sie die Sorge von Frau Nahles nicht?
Ich glaube einfach nicht, dass das das Hauptproblem ist. Die Konsequenzen des Mindestlohns reichen noch viel weiter.
Inwiefern?
Das Problem endet nicht bei der Altersgrenze von 18 Jahren, für die jetzt die Ausnahmeregel eingeführt werden soll. Durch den Mindestlohn gehen Jobs verloren. Und wer keine Ausbildung hat, unterliegt dann einem noch mal erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko.
Aber in anderen europäischen Ländern gibt es doch den Mindestlohn für Jugendliche – und es funktioniert, oder?
Ja, aber Sie haben in fast allen Ländern Ausnahmeregelungen für junge Menschen, auch jenseits der Altersgrenze von 18. Zum Beispiel in Großbritannien, dort hat man 1999 sehr vorsichtig den Mindestlohn eingeführt und sehr, sehr niedrig angefangen, viel niedriger als bei uns, und für die jüngeren Leute noch mal Ausnahmeregeln eingeführt. Außerdem übersieht man beim internationalen Vergleich leicht, dass andere Länder auch andere Institutionen haben. Es wird oft auf Frankreich verwiesen und dass die Arbeitslosigkeit dort trotz Mindestlohn gar nicht so hoch sei. Aber die Franzosen koppeln den Mindestlohn mit einer Lohnsubvention. Das kostet den französischen Staat zwar unglaublich viel Geld, aber auf dem Weg sieht man in den Statistiken nicht so sehr, dass ein Mindestlohn Jobs kostet.
Für Deutschland ist ein solches System nicht angedacht?
Es gibt ja schon einen Zuschuss, die sogenannten Aufstocker – wer wenig Einkommen am Markt verdient, bekommt vom Staat was obendrauf. Aber gerade das gefällt der Politik nicht. Die Leute sollen ohne staatliche Hilfe genug verdienen und darum führt man den Mindestlohn ein. Aber das kostet vermutlich Arbeitsplätze. Da finde ich es vernünftiger, dass der Sozialstaat etwas obendrauf legt, wenn jemand nicht genug verdient. Dafür haben wir ihn ja geschaffen.
Angenommen Frau Nahles’ Schreckensszenario tritt ein: Der Mindestlohn für Jugendliche kommt, jemand, der von Zuhause auszieht, kann vom Azubi-Gehalt seine Wohnung nicht zahlen – und nimmt darum lieber einen Job ohne Ausbildung an. Wie könnte man denjenigen auffangen?
Die Antwort darauf wäre ein ordentliches BAföG-System, eine gute Unterstützung, damit die Leute trot knapper elterlicher Kassen ihre Ausbildung machen. Ich glaube aber generell nicht, dass man Bildungspolitik durch Mindestlöhne ersetzen kann. Man sollte denen, die sich die Ausbildung nicht leisten können, mit einem Ausbildungskredit unter die Arme greifen, den sie später bei guter Einkommenssituation zurückzahlen. Dann müssen sie nicht auf die Ausbildung verzichten und Jobs gehen auch keine verloren. Ich denke, damit wäre allen mehr geholfen.
Text: nadja-schlueter - Foto: dpa