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Deutschlands erste bundesweite Jugendwelle? Interview mit Markus von "Motor FM"

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Als Ihr in Stuttgart am Ostersonntag vor einem Jahr euren Sendebetrieb aufgenommen habt, habt Ihr das als „Wiederauferstehung des Radios“ angekündigt und mit den symbolischen Sendestart um 18:48 gewählt, um die „Revolution im Radio“ zu betonen. Was ist so revolutinär an Eurer Idee? Wir kommen alle aus der Musikbranche. Bei Tim Renner ist es ja bekannt, aber auch Mona Rübsamen war lange in der MTV- Geschäftsführung und ich bin ursprünglich Komponist und Musiker. Wir lieben Musik und hatten das Problem, dass die Musik, die wir hören und mögen, im Radio nie gespielt wird. Wir sind uns aber ziemlich sicher, dass sich viele Menschen diese Musik wünschen und sich darüber ärgern, dass sie nicht im Radio läuft. Radio wird von Musikliebhabern deshalb eigentlich nicht mehr gehört, obwohl es der schönste Kommunikationskanal für Musik ist. Aus Sicht der Bands und der Plattenindustrie ist es ähnlich: es gibt massenweise tolle Musik, die aber keine Flächen in Deutschland hat. Warum lässt das Radio diesen ganzen Bereich von Independent- und Alternative-Musik links liegen? Ihr macht das ja auch nicht aus Gutmenschentum, sondern weil ihr glaubt, dass es dafür einen Markt gibt. Grundsätzlich ist das Problem, dass Radio in Deutschland regional ist und dass UKW-Frequenzen ein begrenztes Gut sind. Mehr Frequenzen als die Vorhandenen, gibt es einfach nicht. Aus technischen Gründen. Konkurrenz ist deshalb nur begrenzt möglich. Im Radio lebt man quasi in einem wirtschaftlichen Naturschutzgebiet. Die Überlegung der meisten Sender ist dann: Wie mache ich am meisten Geld aus meiner Frequenz? Deshalb lassen sie Marktforscher prüfen, wann die Leute am wenigsten abschalten. Gemessen wird bei dieser Marktforschung also nicht, wie viele Leute zuhören, sondern wie viele nicht abschalten. Hinzu kommt, dass diese Befragungen tagsüber übers Festnetz durchgeführt werden. Da erreicht man aber in der Regel keine jungen, arbeitenden, mobilen Menschen, die sich für Musik interessieren, sondern Hausfrauen, Arbeitslose oder Ältere. Also spielen die Sender Musik, die keine Ecken und Kanten hat und die den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Hörer erfüllt. Das führt dazu, dass wirklich 99 Prozent der deutschen Privatsender ein exakt identisches Programm haben, das aus ungefähr 200 bis 500 Titeln besteht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Markus Kühn; Foto: m2m-net.de Wie viele Titel habt Ihr in der Rotation? Zur Zeit über 6000, aber der Bestand wächst permanent. Wir spielen etwa 50 Prozent neue Titel in der Woche oder Lieder, die nicht älter als drei Monate sind. Das Format-Radio spielt maximal zwei Prozent neue Stücke pro Woche. Viele unserer Songs stammen außerdem von Bands ohne Plattenvertrag und die Hälfte kommt aus Deutschland. Das heißt aber nicht, dass die Texte unbedingt deutsch sein müssen, sondern es sind, wie es politisch korrekt so schön heißt, „multilinguale deutsche Produktionen“. Gibt es Kriterien, nach denen Ihr die Musik auf „Motor FM“ auswählt? Unser Kriterium ist einfach: ist das gute Musik und gefällt uns das? Wir urteilen da zugegebenermaßen sehr subjektiv, lassen uns aber anders als andere Sender nicht mit Marketinginstrumenten wie Anzeigen, Videos oder Auftritten in einer Sat1-Show überzeugen. Musikalisch liegen unsere Schwerpunkte bei Alternative und Independent, wie spielen aber auch Punk, Elektro und eigentlich alles, was von einem alternativen Lebensgefühl geprägt ist. Motor ist ja auch ein Label. Nutzt Ihr euer Radio, um die eigenen Bands zu featuren? Radio und Label haben organisatorisch nichts miteinander zu tun und sind unabhängige Firmen. Aber dass es da geschmackliche Überlappungen zwischen der Labelauswahl und der Radioauswahl gibt, das ist sicherlich anzunehmen. Wir arbeiten zusammen, weil wir uns musikalisch gut verstehen. Andererseits muss man sagen: Wir haben über 6000 Songs in der Rotation, das Label Motor hat insgesamt zehn Künstler unter Vertrag. Wir können bei Motor FM vielleicht zehn Songs der Motor-Künstler spielen, bleiben also noch 99,9 Prozent für andere Musiker übrig. Das muss auch immer so sein. Das Gute an Musik ist ja: den Leuten ist doch egal, welche Firma die Musik veröffentlicht. Wie kam es denn zu der Kooperation mit der Netzeitung auf Eurer neuen Berliner Frequenz 100,6? Wir hatten uns beide für diese Frequenz beworben, die die erste Privatrundfunkfrequenz in Deutschland überhaupt war. Es ist außerdem die stärkste Frequenz in Berlin und hat eine extrem journalistische Tradition mit einer starken politischen Ausrichtung – von sehr konservativ bis links. Insofern waren wir uns ziemlich sicher, dass wir diese Frequenz nicht alleine zugeteilt bekommen würden, weil der Medienrat die journalistische Tradition aufrecht erhalten wollte und wir alleine kein Vollprogramm über Musik- und Kulturjournalismus hinaus stemmen können. Die Netzeitung wiederum hätte kein vielfältiges Musikprogramm machen können. Der Medienrat hat dann gesagt, hier sind zwei Programmen, die innovativ sein wollen, dann schmeißen wir die doch einfach mal zusammen – einer macht das Wort, der andere die Musik. Der Wortanteil beschränkt sich aber bisher fast nur auf Nachrichten. Die Menge der Wortbeiträge hat in den letzten Wochen zugenommen und wird es auch noch weiter. Wir als „Motor FM“ senden natürlich schon länger. Für uns war es leicht, am 1. Februar, also schon einen Tag nach der Lizenzvergabe, den Schalter umzulegen. Die Netzeitung hatte mit Radio vorher natürlich nicht viel zu tun und muss deshalb erst einmal die Strukturen aufbauen. Insofern füllt sich der Wortanteil erst jetzt. Was sind denn Beitragsthemen auf Motor FM? Alles rund um Musik und Kultur wird von uns gemacht, also auch Interviews mit Bands, Filmtipps, Hörbuchausschnitte usw. Die Netzeitung konzentriert sich einerseits auf Politik und Gesellschaft, andererseits liegt ein besonderer Fokus auf neuer Technologie, Innovation, Forschung und Bildung. Ihr sendet nicht nur übers Netz, in Berlin und Stuttgart, sondern habt jetzt auch eine Frequenz in Mecklenburg-Vorpommern bekommen und bemüht Euch um Frequenzen in Hannover und Bremen. Wollt Ihr Deutschlands erste bundesweite Jugendwelle werden? Das wäre natürlich ein Traum, wobei uns aber nicht nur junge Menschen hören, sondern Leute zwischen 16 und 40. Zu den Frequenzen, die wir kaufen, sag ich jetzt mal einen zitierfähigen Satz: Das Analoge ist der Transmissionsriemen ins Digitale. Wir brauchen eine analoge Verbreitung übers Radio, das ist einfach so. Es gibt 250 Millionen UKW-Empfänger in Deutschland und 88 Prozent der Bevölkerung hören Radio. Man kann übers Radio wahnsinnig viele Menschen erreichen und ein Programm bekannt machen. Leute, die mein Programm kennen, machen sich auch die Mühe, mich im Netz zu suchen und digital zu hören. Das ist immer erst der zweite Schritt. Wir merken auch, dass dort die meisten Internet-Streams abgerufen werden, wo wir analog senden, weil die Leute uns dann kennen. Ihr sendet keine Werbung. Wie finanziert Ihr Euch denn? Wir finanzieren uns vor allem über das Downloadgeschäft, was jetzt in diesem und dem nächsten Jahr richtig losgeht. Das heißt, wir verkaufen Musik, die wir spielen als Downloads und sind quasi ein Plattenhändler, der dir Musik vorspielt. Ein weiteres Erlösmodell sind Marketing-Kooperationen. Wir hatten mit BMW letztes Jahr zum Beispiel aus unserer Playlist heraus eine Compilation zusammengestellt, die man bei BMW kostenlos bestellen konnte. Wenn bei uns im Programm ein Song von der CD lief, haben wir darauf hingewiesen. Damit finanzieren wir uns. Klassische Werbung und Werbespots senden wir nicht, weil Werbung den Programmfluss unterbricht, deutsche Radiowerbung wahnsinnig schlecht ist und wir glauben, dass sich unsere an Musik und Kultur interessierten Hörer nicht für die Sonderangebote von Möbel Höffner interessieren. Eine Zusammenarbeit läuft bei uns nur über den Inhalt. Wie wird es denn weitergehen mit dem Radio in Deutschland? Wenn die Digitalisierung des Radios kommt, und ich bin mir sicher, sie wird sehr schnell kommen, wird es einen Paradigmenwechsel auf dem Radiomarkt geben. Erstens gibt es dann die Möglichkeit für nationale Angebote und zweitens gibt es viel mehr Kapazitäten für parallele Angebote. Von den 200 Stationen, die heute alle gleich klingen, werden nur wenige übrig bleiben. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass das starke nationale Marken sein werden. RTL zum Beispiel. Was heißt das für die Qualität des Radios in Deutschland? Da Spezial- oder Musikprogramme natürlich weniger kosten als journalistische, besteht natürlich die Gefahr, dass der Anspruch wegfällt, der momentan aufgrund der Frequenzknappheit noch besteht. In Rundfunkstaatsverträgen und Landesmediengesetzen ist dieser Qualitätsanspruch mit dem Wort „Vollprogramm“ festgehalten, das heißt, ein Programm, das die vier Sektoren Kultur, Information, Unterhaltung und Bildung bedient. In dem Moment, wo es 200, 300 oder gar tausend Kanäle gibt, dann braucht man natürlich nicht mehr jeden dazu verpflichten, um acht Uhr Nachrichten zu senden. Momentan wird man als Spartenprogramm nicht zugelassen, mit der Digitalisierung wird das möglich. Dann stellt sich aber natürlich die Frage: Ist das noch Rundfunk? Darüber machen sich gerade alle Gedanken, denn die alten Definitionen greifen einfach nicht mehr – siehe Podcast. Rein technisch ist es ein Download, inhaltlich oder von der Rezeption her ist es ein Radioprogramm. Ihr habt ja auch einen Podcast. Was hältst du von der Podcast-Entwicklung? Ich finde das toll. Es ermöglicht dem Hörer zeitsouveränes Hören, man kann hören, wann man will, kann Verbindung mit unserem Sender haben, auch wenn man ihn nicht empfangen kann. Das ist für uns eine gute Möglichkeit der Hörergewinnung und –bindung und ein gutes Informationsmedium. Wir stellen in unserem Podcast zum Beispiel die neuen Platten der Woche vor und spielen die Songs auch. In unserem Radioschwerpunkt sind bereits diese Artikel und Interviews erschienen: Was ist ein Piratensender? Das Studentenradio mephisto Deutschlands beste Musiksendung: der Sunday Service und Wie kommt die Musik ins Radio? Illu: dirk-schmidt

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