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Der kultursensible Blick
Während der Debatte um die angebliche Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien, gibt die Fachhochschule Dortmund den Aufbau eines Studiengangs zur Sozialen Arbeit bekannt - mit dem bundesweit einzigartigen Schwerpunkt Armuts- und Flüchtlingsmigration. In Kooperation mit der Stadt Dortmund soll der duale Studiengang bereits im Wintersemester diesen Jahres anlaufen. Wir haben mit der Sozialpädagogin und Vertretungsprofessorin Esther Klees gesprochen, die mitgeholfen hat, den Studiengang zu konzipieren.
jetzt.de: Seit Anfang des Jahres gilt die „volle Arbeitnehmerfreizügigkeit“ auch für Menschen aus Bulgarien und Rumänien. Das bedeutet, dass sie innerhalb der EU ihren Wohnort und Arbeitsplatz frei wählen dürfen. Ist der Studiengang eine Reaktion darauf?
Esther Klees: Die Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, bestehen schon seit mehreren Jahren – die Einrichtung des Studiengangs ist keine Reaktion auf die aktuelle Veränderung. Wir qualifizieren unsere Studierenden immer nach den Anforderungen, die die Praxis an sie stellt.
Welche Folgen hat die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auf die derzeitige Lage?
In dieser Frage halten wir uns zurück und können auch nur spekulieren. In diesem Bereich sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse sehr überschaubar, sehr viel ist unerforscht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Entwicklung abzuwarten. Viele der aktuellen Äußerungen aus der Politik sind populistisch motiviert.
Von einem „Sozialhilfetourismus“, wie er von einigen Politikern propagiert wird, kann also nicht die Rede sein?
Ganz so einfach ist das nicht. Man kann nicht sagen, dass Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien hier automatisch Sozialleistungen bekommen. Die meisten dieser Einwanderer verlassen ihre Herkunftsländer wegen ihrer prekären Lebenssituation und nicht, um Sozialleistungen zu erschleichen. Sie haben keine Möglichkeit, im Bildungssystem oder auf dem Arbeitsmarkt ihres Heimatlandes Fuß zu fassen. Es handelt sich – besonders bei der Gruppe der Roma – um Ausgegrenzte und Diskriminierte, die versuchen, ein besseres Leben zu bekommen. Auch ohne Unterstützung geht es vielen dieser Menschen hier besser. Man kann nicht einfach erwarten, dass sich alle immer den Gegebenheiten anpassen. Es ist gerade die Aufgabe der Sozialen Arbeit die Vorraussetzungen zu verändern, um einen gemeinsame Lösung mit den Zugewanderten zu finden. Wir wollen den Dialog fördern.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der neu konzipierten Studiengang "Soziale Arbeit" soll sich vor allem mit Arbeitsmigration beschäftigen.
Warum wurde der Studiengang Soziale Arbeit gerade jetzt neu konzipiert?
In der Praxis hat sich gezeigt, dass Sozialarbeiter mit den Herausforderungen, die gerade Zugewanderte aus Bulgarien und Rumänien mitbringen, überfordert sind. Die Soziale Arbeit muss neue Antworten und spezielle Zugänge zu diesen Menschen finden. In Dortmund haben wir mit dem Umstand zu kämpfen, dass wir bestimmte Stadtteile gar nicht erst erreichen. Das hat zum einen damit zu tun, dass die finanziellen Ressourcen schwach sind, und zum anderen, dass die ausgebildeten Fachkräfte oft nicht über die nötigen Kenntnisse verfügen, da sie zu allgemein ausgebildet werden. Wir wollen mit diesem neuen Studiengang Sozialarbeiter ausbilden, die in allen Handlungsfeldern tätig sein können, aber eben diesen besonderen kultursensiblen Blick erlernen. Zur Konzeption trifft sich alle sechs Wochen ein Planungsgremium. Die Studieninhalte liegen natürlich in unserer Hand. An der Ausgestaltung des Konzepts sind aber auch die Stadt Dortmund und Vertreter der Wohlfahrtsverbände beteiligt.
Für welche Arbeitsfelder werden die Studierenden ausgebildet?
Da wäre zum Beispiel die Gesundheitsfürsorge. Viele Zuwanderer können keine Krankenversicherung vorweisen oder haben einen ungeklärten Status. Wir brauchen Fachkräfte, die wir auf diese Probleme ansetzen können, die solche Menschen bei dem Abschluss einer Versicherung oder bei der Wohnungssuche unterstützen. Häufig stehen keine normalen Immobilien zur Unterbringung von Zuwanderern zur Verfügung. Die aus den Medien bekannten Matratzenlager, in denen Betten zu horrenden Preisen vermietet werden, sind zum Teil immer noch üblich. Gerade die Gruppe der Roma hat kaum die Möglichkeit, an einen angemessenen Wohnraum zu bekommen, weil viele Vermieter sich verweigern. Zudem stellt die Integration in den Arbeitsmarkt eine weitere Herausforderung für die Sozialarbeiter dar.
Integration bildet also einen weiteren Schwerpunkt?
In den Stadtteilen, in denen vermehrter Zuzug zu verzeichnen ist, gilt es auch immer Ausgrenzungsbewegungen festzustellen. Wenn langjährige Bewohner eines Viertels aus- oder umziehen, hat das oft damit zu tun, dass es Probleme im sozialen Miteinander gibt. Wir beschäftigen uns damit, wie wir andere gesellschaftliche Strukturen bereitstellen können. Stichwort "Willkommenskultur". Es gibt natürlich auch sehr viele qualifizierte Fachkräfte unter den Zuwanderern, die nicht so hilfsbedürftig sind. Doch die Menschen, um die wir uns kümmern, haben meistens schon in ihren Herkunftsländern Diskriminierung erfahren. Wir wollen, dass diese Personen nicht marginalisiert, sondern integriert werden.
Und wie wird der Studiengang finanziert?
Die Stadtverwaltung hat bereits eine Förderanfrage gestellt – und wir haben sogar schon die Zusage, dass Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds für unser Projekt eingesetzt werden können. Weitere Fördermöglichkeiten werden gerade geprüft. Wir haben mit verschiedenen sozialen Einrichtungen Gespräche geführt und gerade im Kontext von Armuts- und Flüchtlingsmigration werden dringend neue Stellen und qualifiziertes Personal gebraucht. Diese Stellen abzusichern bildet im Moment unsere Hauptaufgabe. Die Studierenden sollen mit einer halben Stelle bei einem Träger, wie Integrationszentren, Beratungsstellen und Jobcentern, beschäftigt sein. Die Frage ist aber auch, inwiefern die Politik bereit ist bei einem so unangenehmen Thema Hilfestellung zu leisten. Bis jetzt ist nur die erste Stundentengruppe, also die 35 Stundenten, die ab dem kommenden Wintersemester bei uns eingeschrieben sind, finanziell abgesichert.
Gibt es besondere Voraussetzungen, die die Studenten mitbringen sollen?
Vor allem unsere Kooperationspartner wünschen sich, dass die Studierendengruppe multinational ist. Es sollen Menschen angesprochen werden, die entweder selbst aus Bulgarien oder Rumänien stammen, eine eigene Migrationsgeschichte haben oder über Fremdsprachenkenntnisse verfügen. Auch interkulturelle Arbeit oder Erfahrungen mit Behörden können nützlich sein. Natürlich bleibt die Zusammensetzung der Studenten davon abhängig, wer sich bei uns bewirbt. Voraussetzung für eine Aufnahme ins Studium ist neben der Hochschulzugangsberechtigung die Zusage einer der Einrichtungen, die mit uns zusammenarbeitet.