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"Der Hipster ist eine gasförmige Existenz"
Philipp Ikrath, geboren 1980 in Wien, leitet den Verein „jugendkulturforschung.de“. jetzt: Meinst du das ironisch? Philipp Ikrath: Mein Buch? Nein, ich meine tatsächlich jedes Wort, das drinsteht, ernst! Auch wenn ich mich mitunter des Stilmittels der Ironie bediene. Du stellst mit dem Buch die Frage, was der Hipster eigentlich ist. Also: Definiere ihn doch bitte mal für uns! Der Hipster ist der junge Angehörige einer neuen Oberschicht, die kulturell irrsinnig einflussreich ist. Und was mir am wichtigsten ist: Das Hipstertum ist keine Jugendszene, sondern ein soziales Milieu, dem du dich nicht freiwillig anschließen kannst. Du kannst nicht sagen „Ich bin jetzt ein Hipster“ so wie du sagen kannst „Ich bin jetzt ein Skater“. Es geht nämlich nicht um eine bestimmte Ästhetik oder Mode, sondern um eine bestimmte Mentalität. Wieso ist der Hipster so einflussreich? Weil er unseren Zeitgeist in einem idealtypischen Sinne repräsentiert. Er ist kein Bohemien und kein Rebell, sondern verkörpert die Merkmale unserer heutigen Gesellschaft so gut wie kein anderer. Welche Merkmale sind das? Erstens ein extrem hoher Individualisierungsgrad und Disktinktionswille. Zweitens die totale Bejahung der Flexibilität, eine Geisteshaltung, die nichts als fest und bestehend anerkennen möchte, sondern alles im Fluss sieht. Eigentlich ist der Hipster eine gasförmige Existenz, er verändert sich ständig und findet nie einen stabilen Identitätskern. Klingt eigentlich genau wie die Beschreibungen der „Millenials“ und der „Generation Y“. Zwischen denen und dem Hipster gibt es gewisse Parallelen, aber sie sind nicht deckungsgleich. Der Hipster ist zuerst einmal älter. Und vor allem erhebt er einen Herrschaftsanspruch. Er ist darum bemüht, seine Spielregeln und Maßstäbe immer weiter auszudehnen und für alle verbindlich zu machen. Herrschaftsanspruch? Heißt das, die mächtigen Posten in Politik und Gesellschaft, die jetzt mit Babyboomern besetzt sind, werden später mal die Hipster besetzen? Richtig. Und als neue Elite werden sie alte Ideologien außer Kraft setzen und ihre eigene verankern. Zum Beispiel in der Arbeitswelt, da gibt es heute noch die Babyboomer und Yuppies, die sagen, dass es beim Arbeiten um Kohle geht. Für die Hipster ist Arbeit reine Selbstverwirklichung, ein Spiel, und absolute Flexibilität ist wünschenswert.
"Der Hipster sagt: Mit eurem Prollgedudel im Radio, euren H&M-Klamotten und eurem Industriefraß hab ich nichts zu tun."
Eines der wichtigsten Merkmale des Hipsters ist ja Ironie. Und du verstehst sie als eine positive Eigenschaft, oder? Ja, damit sympathisiere ich. Ich glaube, dass Ironie sich nicht nur darauf beschränkt, dass man ironische Sprüche auf Jutebeutel druckt, sondern es geht darum, dass man nichts als endgültig anerkennen will. Dadurch ist der Hipster weltoffen. Ein Ironiker sagt nie: Diese Weltanschauung ist die richtige und die werde ich mein Leben lang haben, sondern sie ist für die momentane Lage angemessen und wenn sich die Situation ändert, dann passt vielleicht eine andere Sicht besser dazu. Aber auch wenn du ihn positiv siehst: „Hipster“ ist ja mittlerweile eher ein Schimpfwort... Ja, das ist heute ein total abwertender Begriff geworden und das ist ungerecht! Vom Feuilleton bis zu den Youtube-Megastars, alle schimpfen auf den Hipster. Das war auch der Ausgangspunkt des Buches: der Hass auf die Hipster und die Frage: Warum ist das so? Und? Warum ist das so? Ich glaube, er steht in der Kritik als Galionsfigur einer bestimmten Entwicklung, die vielen Menschen nicht Recht ist: Der Hipster stellt die neue kulturelle Elite, aber anstelle des früheren bürgerlichen Kanons aus Goethe, Beethoven und Rubens, den man sich einverleiben musste, um dazuzugehören und Aufstiegschancen zu haben, hat der Hipster einen eigenen Zeichenkosmos, den man sich viel schwieriger aneignen kann. Weil nie so ganz klar ist, worin er eigentlich besteht, weil er sich dauernd verändert. Kann man ihn gar nicht bestimmen? Da ist dieser extrem starke Wille, sich vom Mainstream zu distanzieren. Der Hipster sagt: Mit eurem Prollgedudel im Radio, euren H&M-Klamotten und eurem Industriefraß hab ich nichts zu tun, ich vertrete ein verfeinertes Lebensgefühl. Das hat er mit dem traditionellen Bürgertum gemeinsam, das liegt auch an seiner Herkunft aus dem bürgerlichen Millieu. Gleichzeitig grenzt er sich aber auch gegen diese alten Eliten ab. Auch „das Niedrige“ kann für einen Hipster cool und angesagt sein – aber muss eben nicht. Du schreibst in deinem Buch, dass der „Hipster-Kanon“ immer vom Markt bestimmt wird. Ist der Hipster ein Phänomen des Kapitalismus? Ich glaube schon. Es gibt keine Gelehrten mehr, die von oben diktieren, was kulturell wertvoll ist und was nicht, sondern das entscheidet sich über den Markt. Und der ist eben auch dann bestimmend, wenn man sich gegen ihn wendet. Es gibt einfach keine andere Möglichkeit der Positionierung mehr als im Bezug zum Markt. Heute erkennen wir einen Hipster sofort auf der Straße. Aber du sagst, er verändert sich ständig. Wie wird denn der Hipster der Zukunft aussehen? In drei bis fünf Jahren jedenfalls nicht mehr so wie jetzt. Denn sobald die Accessoires und Moden wie zum Beispiel die Bärte Mainstream geworden sind, muss im Kampf um Distinktion der nächste Schritt gemacht werden. Dann muss man sich rasieren und etwas Neues finden. Aber was das sein wird, kann man nicht vorhersagen – weil die Hipster so raffiniert und kreativ sind. Philipp Ikrath: Die Hipster. Trendsetter und Neo-Spießer, Promedia, 208 Seiten, 17,90 €. Text: nadja-schlueter - Foto: Oh; Cover: Promedia