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Der Fall Guttenberg: Plagiate in der Wissenschaft
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Karl-Theodor zu Guttenberg, Bundesverteidigungsminister, Foto: dpa
Ganz Deutschland spricht über die Doktor-Arbeit des Verteidigungsministers. Sie befassen sich schon länger mit dem Thema Plagiate und haben auch Software getestet, die Plagiate erkennen soll, würden Sie sagen, dass es bei der Bewertung von wissenschaftlichen Arbeiten heutzutage dazugehören sollte, einen Plagiats-Scann durchzuführen?
Nein. Ich möchte nicht alle Studierenden unter Generalverdacht stellen. Für mich ist es sehr wichtig, dass auch die Kulturwissenschaften den Punkt vermitteln, wo Wissenschaft auf Vertrauen aufgebaut ist. Ich würde aber jedem, der Seminararbeiten korrigieren muss, raten: Wenn man Verdacht schöpft, sollte man es überprüfen.
Was könnte ein Verdacht sein?
Wenn jemand in einer Arbeit Begriffe verwendet, die man als Korrektor selber nachgucken muss, ist das ein Anzeichen. Entweder lerne ich selber was dabei oder ich stelle anhand dieses Begriffs fest: Hier wurde abgeschrieben. Zu Verdachtsmomenten zählen auch Stil- und Formatierungsbrüche. Studierende haben oft keine Vorstellung davon, dass man den Stil eines Textes wirklich erkennen kann.
Funktioniert das auch bei Übersetzungen?
Das ist fast unmöglich. Aber oft nutzen die Studierenden, die plagiierend übersetzen Programme, wie Bablefish. Das sind grauenvolle Übersetzungen, aber so findet man durchaus die Quellen, von denen abgeschrieben wurden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das Thema der Debatte: Guttenbergs Doktorarbeit, Foto: reuters
Plagiate gibt es aber nicht nur bei Studierenden ...
... überhaupt nicht. Es sind mehrere Fälle von Doktorarbeiten bekannt, die als Übersetzungen eingereicht wurden. Dabei ist es doch so: Wenn sich ein Dozent auf einem Gebiet spezialisiert, sammelt er alles, was er dazu finden kann. Dem kommt es bekannt vor, wenn jemand eine ganze Arbeit übersetzt.
Dann steckt aber nicht kriminelle Energie hinter dem Plagiat, sondern auch Dummheit?
Ich weiß es nicht. Es gibt wenig Ursachenforschung zum Thema Plagiate. Wir entwickeln gerade ein Lernspiel für Erstsemsterstudierende, mit dem wir ihnen ein Grundgefühl für das Thema geben wollen: Warum setzt man Fußnoten? Wie zitiert man? Wie vermeidet man Plagiate?
Es geht also um das richtige Kopieren?
Der Sinn der Wissenschaft ist es doch, sich in ein Bezugssystem einzugliedern. Wir stehen auf Schultern von Riesen, wie der Spruch lautet, der fälschlicherweise Newton zugeschrieben wurde. Dabei ist er bereits bei Bernhard von Chartres im Jahr 1135 zu finden. Es ist aber wahr: Wir stehen auf den Schultern von Riesen und man sollte sagen, auf welchen Riesen man steht.
Können Sie das erklären?
Es geht darum, die Bezüge klarzumachen: Der hat das gesagt, der hat jenes gesagt und ich meine das dazu. Ich habe unlängst mit einem Studenten gesprochen, der gesagt hat: ,Ich hab gedacht, ich muss alles selbst machen. Ich dachte es wäre falsch, wenn man Fußnoten setzt.’
Ist es dann vielleicht wichtiger, eine Kultur des richtigen Zitierens und Kopierens zu zu vermitteln als Software zu entwickeln?
Unbedingt. Man kann mit Software keine sozialen Probleme lösen. Es geht darum, dass wir eine Kultur des Zitierens benötigen in Deutschland. Dass wir eine Atmosphäre bekommen, in der es in Ordnung ist zu sagen: Der hat auch gute Arbeit geleistet, ich beziehe mich darauf.
Warum gibt es diese Kultur nicht?
Vielleicht liegt es auch an unserer Vorstellung von einem Professor. Wir erwarten, dass Professoren Koryphäen sind, dass sie einzigartig sind auf ihrem Fachgebiet. Dabei ist die Realität so, dass es sehr viele Professorinnen und Professoren gibt, die der Meinung sind, ihnen gehören alle Arbeiten, die bei ihnen am Lehrstuhl angefertigt werden. Sie setzen ihren Namen mit auf die Arbeit oder sie nehmen kess die ganze Arbeit und reichen sie unter eigenen Namen und ohne Erwähnung der tatsächlichen Urheber ein.
Studierende können es also nur lernen, wenn sie gute Vorbilder haben.
Wir müssen es denen vorleben. Und wir müssen es denen auch beibringen, denn in der Schule lernen sie es nicht. Es steht zwar im Lehrplan für die neunte Klasse: Umgang mit fremden Texten, aber die meisten wissen es nicht, wenn sie an die Hochschule kommen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Plagiatsforscherin: Debora Weber-Wulff
In der Debatte wird häufig der Eindruck erweckt, das Problem habe zugenommen. Wie schätzen Sie dies ein?
Wir können es nicht messen. Wir wissen, dass es Plagiate immer gegeben hat – auch schon weit vor dem Internet. Wir wissen aber nicht, wie viel plagiiert wurde. Vielleicht gehörte es schon immer zu der Art, wie Wissenschaft in Deutschland betrieben wurde: Die Professoren haben von ihren Doktoranden geklaut, die Doktoranten von ihren Diplomanden und die wiederum haben ihre Arbeit aus Büchern abgeschrieben, die andere Professoren von ihren Studenten abgeschrieben haben. Aber im Ernst: Wir wissen nicht, wie viel plagiiert wurde. Und wenn wir etwas nicht messen können, können wir auch nicht sagen, ob es größer oder kleiner geworden ist.
Aber dann ist das Internet doch eher eine Verbesserung für diejenigen, die ehrlich arbeiten. Man kann Plagiate jetzt einfacher finden.
Je nachdem, welche Metapher Sie wählen wollen: Wir haben ein ebenes Spielfeld oder wir haben Waffengleichheit. Und diejenigen, die glauben, sie schreiben nur aus analogen Quellen ab, die man online nicht finden kann, vergessen, dass es auch Menschen gibt, die korrekt zitieren. Diesen Fall hatte ich unlängst, dass ich dank eines korrekten Zitats bei jemand anderem einen Plagiator überführen konnte.
Das heißt: Wer korrekt zitiert, hilft mit, Plagiate zu vermeiden?
Ja, so kann man das sagen.
Mehr zum Thema gibt es im Schwerpunkt bei sueddeutsche.de, das Thema Abschreiben ging genau vor einem Jahr im Fall Hegemann bereits durch die Presse.
Text: dirk-vongehlen - c. 2011: Axel Völcker, DerWedding.de