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Dem Netz ins Netz gegangen

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Prof. Dr. Christoph Möller, ist Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. Auf der dortigen Suchtstation, dem Teen Spirit Island, werden mittlerweile auch Internetabhängige aufgenommen. Möller hat kürzlich einen neuen Ratgeber für Eltern und Jugendliche veröffentlicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Studien zufolge sind eine halbe Million Menschen in Deutschland internetsüchtig. Ab wann gilt man als abhängig vom Internet und kann von einer echten Sucht sprechen?  
Christoph Möller: Von einer Abhängigkeit kann man sprechen, wenn der Betroffene im Internet etwas findet, was er im realen Leben nicht hat, zum Beispiel Anerkennung und Bestätigung. In der Schule ist er schlecht, kriegt immer nur einen auf den Deckel, aber beim Onlinespiel ist er plötzlich erfolgreich. Das ist natürlich ein Riesenkick, und so was braucht der Mensch. Wenn er im realen Leben keine Bekannten aber online plötzlich viele Freunde hat und Zuspruch bekommt, im Leben aber eher Ausgrenzung als Anerkennung erfährt, dann ist die Gefährdung groß, dass die virtuelle Welt ihm wichtiger wird. Wenn jemand folglich nicht aufhören kann und weiter surft, obwohl er negative Folgen erleidet, dann kann man von einer Abhängigkeit sprechen. Das kann soweit gehen, dass Jugendliche monatelang nicht mehr zur Schule gehen, die ganze Nacht Computerspiele spielen, den halben Tag verschlafen und ihre Körperhygiene vernachlässigen. Zudem werden ihnen ihre Online-Kontakte immer wichtiger und die fragen dann auch schon mal „Wo biste denn? Wir wollen weiterspielen!“ Das Dasein wird folglich aufs eigene Zimmer und den Computer reduziert. Und das ist leider keine Seltenheit. Aus Untersuchungen mit Schülergruppen von 15-Jährigen geht hervor, dass ungefähr drei Prozent abhängig und weitere fünf Prozent als gefährdet einzustufen sind. Überwiegend Jungs.  

Und was ist letztlich der Auslöser bei diesen Jugendlichen, den Schritt zum Therapeuten zu tun?
Irgendjemand muss Handlungsbedarf sehen oder zumindest Fragen haben. Das sind meistens die Eltern oder Lehrer. Oftmals kommen die Eltern zur Beratung auch erst alleine. Viele Jugendliche folgen, weil sie von ihren Eltern gedrängt werden, manche kommen aber auch, weil sie merken, irgendwas läuft in ihrem Leben aus dem Ruder und so wollen sie nicht weitermachen. Das ist aber schon eine Einsicht, die nicht unbedingt gegeben ist.

Wie gehen Sie dann weiter vor?
Während der ersten Gespräche geht es darum, herauszufinden, welche Grundprobleme es gibt, das sind oft Depressionen und soziale Ängstlichkeit. Die Jugendlichen sind mit sich unzufrieden, trauen sich nicht raus und auf andere Menschen zuzugehen und das muss man ja alles nicht mehr im Internet. Entsprechend fühlen sie sich gut, weil sie dort plötzlich alles machen können, was sie sonst nicht können. Meist liegt also eine Grundproblematik vor und das Internet verstärkt das Ganze. Sobald sie sich komplett ins Internet zurückziehen und darin verlieren, entwickeln und verstärken sich solche Symptome.  

Wie sieht die Therapie denn letztlich aus? Müssen die betroffenen Jugendliche komplett auf Handy und Internet verzichten?  
Richtig, sie dürfen nichts mitbringen. Kein Handy, gar nichts. Der einzige Ort, wo sie im Laufe der Zeit, meistens nach zwei oder drei Monaten, wieder Zugang zum Internet haben, ist die Klinikschule. Dort lernen sie beispielsweise, zu recherchieren und eine Bewerbung zu schreiben. Dinge, die sie nicht können, obwohl sie Meister im Computerspielen sind. Außerdem lernen sie in der Gruppe zu kochen und ihren Körper beim Klettern oder beim Volleyball wieder als eine sinnvolle und befriedigende Ressource zu erleben. Ihr Handy dürfen sie während der ganzen Therapie nicht benutzen - erst wieder, wenn sie nach drei Monaten zum ersten Mal zu Besuch nach Hause können.

Die Therapie ist aber nach drei Monaten noch nicht vorbei, oder?
Nein, insgesamt sind die Jugendlichen mindestens ein halbes Jahr bei uns. Viele gehen danach auch nicht mehr nach Hause sondern in eine Einrichtung und werden weiterhin ambulant betreut. Diese ambulante Therapie kann über ein oder zwei Jahre weiter gehen. Das hängt vom Jugendlichen ab und davon, ob er bereit ist, sich weiterhin auf den Prozess einzulassen. Im Erwachsenenbereich ist das Ganze zeitlich gestraffter.  

Wie geht es nach der Therapie weiter? Ich stelle es mir recht schwierig vor, nicht rückfällig zu werden. Im Gegensatz zu Alkohol und Drogen lässt sich das Internet ja kaum komplett aus dem Leben streichen.  
Das stimmt, deshalb ist unser Ziel auch nicht, Internet und Computer komplett zu meiden, sondern einen kontrollierten und gesellschaftlich akzeptierten Umgang damit zu vermitteln. Natürlich kommuniziert man heute über das Internet, man schreibt Mails, man nutzt Skype. Nur das Wichtige ist, dass man auch Sinn und Befriedigung außerhalb des Netzes findet. Einen Jungen zum Beispiel kenne ich, der hat während seiner Therapie gemerkt, dass er sehr gut Gitarre spielen kann. Inzwischen ist er in einer Band. Ein anderer hat begonnen Volleyball im Verein zu spielen. Sehr viele haben zudem ihre Schulabschlüsse nachgemacht. Sie sind zum Teil ja sehr intelligent, kommen aber hierher und haben keinen Abschluss, weil sie nicht mehr in die Schule gegangen sind. Letztlich geht es während der Therapie also darum, einen Sinn im Leben zu finden, für den es sich lohnt, sich anzustrengen. Und das jenseits von Internet und Computern.  

Wie sieht die Therapiesituation in Deutschland denn momentan aus?  
Internet- und Computersucht ist als Diagnose bislang nicht anerkannt. Die Betroffenen leiden aber zumeist unter psychischen Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen. Die Behandlung dieser Symptome wird bezahlt. Da das Thema in den vergangenen Jahren zunehmend ins Bewusstsein rückt, gibt es auch immer mehr Anlaufpunkte, aber ich glaube nicht, dass es genügend sind. Es handelt sich schließlich um ein wachsendes Problem. Mittlerweile haben knapp 50 bis 64 Prozent der Jugendlichen einen mobilen Internetzugang. Das heißt, das Internet ist überall und allzeit verfügbar.    

Handelt es sich beim Thema Internetsucht eigentlich um ein typisch junges Phänomen?  
Internetsucht betrifft natürlich auch Erwachsene. Da gibt es viele, die ein ganz normales Leben führen. Sie sind nicht gefährdet, ihren Beruf gleich zu verlieren, spielen aber gerne und kaufen sich dann zum Teil hochgelevelte Spielfiguren von Berufsgamern aus Taiwan oder Südkorea. So kann man eben auch auf einem hohen Level spielen, ohne dass man die ganze Zeit vor dem PC sitzt. Dennoch gibt es auch Erwachsene, die ständig im Internet sind und ihre Sucht nicht im Griff haben. Es wurden bereits die ersten Todesfälle gemeldet. Zum einen Leute, die einfach tot vorm Computer umfallen, weil sie nichts mehr essen und trinken und ihr Kreislauf irgendwann zusammenbricht. Zum anderen gibt es aus Großbritannien die ersten Berichte, wonach Kleinstkinder verstorben sind, weil ihre Mütter sich nicht mehr um sie gekümmert haben, sondern nur mit ihrem Computer beschäftigt waren.  

Welche Internetanwendungen sind es denn, die Betroffene so sehr fesseln und besonders abhängig machen?  
Nicht alle, aber einige Onlinespiele haben ein hohes Suchtpotential. Zu Counter Strike gibt es Untersuchungen, die belegen, dass es während des Spiels zu einer Ausschüttung von Glückshormonen kommen kann, die vergleichbar mit einem Drogenrausch ist - zumindest wenn man es sehr exzessiv und gut spielt.  

Und wie sieht es mit sozialen Netzwerken aus?  
Sagen wir mal so, wenn eine 17-Jährige in der Schule und auf dem Heinweg mit Freundinnen redet, anschließend via facebook kommuniziert und abends trifft man sich wieder, dann ist das heute eben eine neue Form der Kommunikation. Wenn man aber die realen Kontakte oder andere alterstypische Aufgaben wie Schule und Hobbies zugunsten der sozialen Netzwerke vernachlässigt, dann wird´s problematisch. Zusammengefasst würde ich sagen: Medienkompetenz beginnt mit Medienabstinenz. Kinder und Jugendliche brauchen Sinneserfahrungen, müssen sich auf ihr Körpergefühl konzentrieren und das soziale Miteinander erlernen, denn das lernt man nicht in sozialen Netzwerken. Aber wenn man das alles schon kann, dann sind die sozialen Netzwerke eine wunderbare Ergänzung, die eine Kommunikation ermöglichen, die wir so sonst nicht unbedingt führen können, weil wir einfach räumlich begrenzt sind. Es spricht nichts dagegen, 500 Freunde bei Facebook zu haben, solange man auch im wahren Leben gut kommunizieren und Kontakte aufrecht erhalten kann.

Text: lisa-freudlsperger - Foto: dpa

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