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Das Leben der Anderen
Jetzt.de: Wie kamst du dazu, dich für die Handyfotos von Fremden zu interessieren?
Ivan Cash: Wer tut das nicht? Wenn man durch die Stadt läuft, ist man immer der gleichen Szenerie ausgesetzt: Menschen starren auf ihre Handys – ich selbst ja auch. Ich habe mich immer gefragt, was sie wohl gerade tun, mit wem sie in Kontakt sind. Jeder ist ja mit irgendwem durch sein Smartphone verbunden, aber dadurch ergeben sich eben weniger direkte Kontakte im Alltag.
Was ist das genau, das dich an deinem Projekt so fasziniert?
Die Realität ist oft verrückter, als man es sich ausdenken könnte. Menschen nach ihrem letzten Foto zu fragen, ist ein einfacher Weg, sehr intime Dinge zu erfahren. Man kann ganz ungefiltert in das Leben wildfremder Menschen schauen.
Das ist auch ganz schön voyeuristisch. Wie oft kam es vor, dass sich Leute geweigert haben, dir ihre Fotos zu zeigen?
Ungefähr jeder zweite hat sich erst gar nicht von mir auf der Straße ansprechen lassen. Aber nahezu jeder, dem ich mein Projekt erklärt habe, hat mir auch sein letztes Foto gezeigt.
Wie lange arbeitest du denn schon an der „Last Photo“- Serie?
Vor dem „Last-Photo“-Projekt ließ ich Fremde auf der Straße ihre letzte SMS vorlesen – das waren auch schon sehr interessante Geschichten. Dann ging ich 2013 dazu über, die Fremden auf der Straße nach ihren Fotos zu fragen. Ich fing hier in San Francisco an und nahm mir vor, in jeder Stadt, die ich besuche, ein Video zu drehen. Mittlerweile übernehmen Leute auf der ganzen Welt meine Idee – jemand hat zum Beispiel ein „Last-Photo“-Video von Berlin gemacht.
Du musst mittlerweile ein Experte für Handyfotos sein– gibt’s da verschiedene Motive, die besonders häufig vorkommen?
Sicher. Fast jeder hat Fotos von seinem Essen, seinem Haustier, den Kindern oder den Großeltern in seiner Galerie. Jede Menge Selfies natürlich. Aber das ist gerade das Interessante: Viele Fotos sehen ähnlich aus, aber die Geschichte dazu ist immer eine andere.
Du hast für deine Videos verschiedene Städte bereist, von Amerikas Ostküste bis zur Westküste. Mit London ist auch eine europäische Stadt dabei. Gibt es regionale Unterschiede, was die Smartphone-Galerien betrifft?
Ich habe bewusst sehr gegensätzliche Städte besucht: Miami, Los Angeles oder Detroit etwa. Je mehr Städte ich besucht habe, desto bewusster wurde mir, dass es sehr viele Gemeinsamkeiten gibt, die überall gelten. Es gibt natürlich jede Menge merkwürdige Motive, aber die sind ja nie repräsentativ für einen Ort.
Jetzt mal ehrlich: Wie oft bekommst du Nacktfotos zu sehen?
Das passiert öfter mal. Eine Frau in London hatte zuletzt ein Penisfoto zugeschickt bekommen. In San Francisco hat jemand ein Foto von seinem One Night Stand gemacht, das hat er aber nur mir gezeigt und nicht der Kamera.
Manchmal hast du dann also nur du das Vergnügen?
Genau. Ich gebe aber auch Workshops für Firmen und da gibt es eine Übung, „Cameraroll-ette“, wo man blind durch die Galerie von jemand anderem scrollen muss und dann wahllos ein Foto öffnet – da war auch das ein oder andere Nacktfoto dabei.
Welche Rolle spielen denn überhaupt Handyfotos in unseren Leben? Sind das die modernen Erinnerungsalben unserer Generation?
Ich glaube, kaum jemand aus meiner Generation hat noch klassische Fotoalben zu Hause. Die Bilder auf Facebook und Instagram können diese ersetzen, oder eben die Fotos auf unseren Handy. Ich finde nicht, dass man alles immer dokumentieren muss, aber ab und zu ein Foto als Erinnerungsstütze ist natürlich super. Was wir zum Beispiel auf Instagram hochladen, ist immer schon vorgefiltert; unsere privaten Handygalerien bilden viel präziser die Realität ab.
Was zeigt uns die Last-Photo Serie? Hast du selbst etwas gelernt?
Vor allem habe ich gelernt, dass es unglaublichen Spaß macht, offen zu sein und mit fremden Menschen zu sprechen - das merke ich bei jedem meiner Projekte aufs Neue. Wenn man die Fotos sieht und die Hintergründe davon erzählt bekommt, dann wird klar: Das Gewöhnliche ist außergewöhnlich.
Welches Bild ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
In New York habe ich mit einem Typen namens Jazzsoon gesprochen. Insgesamt ein sehr hipper, männlicher Typ mit dem typischen Brooklyn-Akzent. Und der zeigt mir ein Foto von sich im Bademantel in einer Wellness-Therme, die er mit seiner Freundin besucht hat und sagt etwas wie: „Mann, wir trinken da Gurkenwasser und den ganzen Scheiß, du musst das Leben genießen am Wochenende, weißt du, was ich mein'?“ Das fand ich so lustig, dass ich später eine kleine Dokumentation über ihn gedreht habe.
Jetzt schau doch bitte mal für uns nach: Was ist das letzte Foto auf deinem Handy?
Oh, das ist sogar ein gutes! Das habe ich heute morgen zuhause gemacht. Da ist mir aufgefallen, dass ich meinen Kaktus zu sehr gewässert habe und dass der geschimmelt ist. Der Schimmel hat aber so eine gruslige Farbe, dass ich meiner Freundin ein Foto davon geschickt habe, um zu fragen, wie giftig so was ist. Sieht furchtbar aus, oder?
Text: kristin-hoeller - Foto: Bryan Derballa