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Am Tisch sitzen: Timur Husein, Beisitzer im Bundesvorstand der Jungen Union, Kevin Kühnert, Vositzender der Jungsozialisten in Berlin, Lasse Becker, Vorsitzender der Jungen Liberalen, Karl Bär, Bundessprecher der Grünen Jugend, Josephine Michalke, Bundessprecherin der Linksjugend ['solid], Sören Siegismund-Poschmann, Kapitän der Berliner Jungen Piraten, Yvonne Everhartz, Mitglied des Bundesvorstands des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Henriette Labsch,Beisitzerin im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, Immo Fischer, Pressestelle WWF-Jugend .

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Alle sprechen von Liquid Democracy. Aber was das konkret ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Sören, als Mitglied der Jungen Piraten, die das Modell mitverfechten, müsstest du es doch erklären können, oder?
Sören-Siegismund Poschmann (Junge Piraten): Liquid Democracy, so wie ich es verstanden habe – wir definieren das auch in der Piratenpartei unterschiedlich – ist die prinzipielle Möglichkeit, sich mit bestimmten Themen selber zu beschäftigen und darüber zu entscheiden. Wenn dir zum Beispiel Umweltschutz wichtig, der Bau einer Autobahn aber egal ist, dann kannst du über dieses System sagen: Über Umweltschutzthemen möchte ich selber mitentscheiden, während ich bei anderen Themen die Entscheidung an Parteien oder Organisationen abgebe, denen ich vertraue.
Timur Husein (Junge Union): Aber dann gibt es das bei uns allen auf gewisse Art und Weise doch schon. Bei der Jungen Union haben wir sogar offene Foren, in denen auch Nicht- Mitglieder mitmachen können. Man kann sich in Gruppen, zu einzelnen Themengebieten wie der Wirtschaft engagieren...
Sören Siegismund-Poschmann: Das greift aber noch nicht weit genug. Wir haben bei den Piraten auch Liquid Feedback, da kann ich bei allen Themen, die Wirtschaftspolitik betreffen, meine Stimme an die Personen dirigieren, die Meinungsbildner sind. Aber beim Themenbereich Erziehung kann ich immer auch selbst entscheiden. Dieses System auf möglichst vielen Ebenen zu verbreiten, das ist Liquid Democracy. Am Ende habe ich die Möglichkeit, bei einer Wahl zu speziellen Themen CDU und SPD miteinander zu kombinieren.

Ein solches Modell bundesweit einzuführen, wäre wohl nur mit elektronischen Hilfsmitteln möglich. Steht bei den Piraten schon eine Software bereit?
Sören Siegismund-Poschmann: Ein hessischer Pirat hat jetzt gerade die Demo davon gestartet, und ich möchte das Programm nutzen, sobald es fertig ist. Aber zurzeit ist diese Software unbedienbar.
Timur Husein: Also reden wir hier gerade über etwas, das es noch gar nicht gibt?
Sören Siegismund-Poschmann: Doch, die Idee dahinter gibt es. Nur das Design der technischen Umsetzung ist noch nicht gut.
Karl Bär (Grüne Jugend): Neben der Technik stellt sich mir noch die Frage, wie verhindert werden kann, dass wir widersprüchliche Ergebnisse bekommen, weil eine Person an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Meinungen auf sich vereint. Was passiert, wenn ich Yvonne bei Umweltfragen unterstützen möchte und Lasse bei Wirtschaftsfragen - und die beiden dann in einen Konflikt miteinander geraten?
Lasse Becker (Junge Liberale): Dann kommst du ganz plötzlich zur Autobahn aus Sörens Beispiel: Ist das dann eine die Wirtschaftsfrage oder eine Umweltfrage, ob die Autobahn gebaut werden soll?
Sören Siegismund-Poschmann: Das hängt davon ab, wie der Antrag gestellt wurde. Bei uns im Liquid Feedback ist es so geregelt, dass ich als Antragsteller mein Anliegen einem Themenbereich zuordnen kann.
Lasse Becker: Wir werden aber im Bundestag nie in die Situation kommen, dass die Bürger über jede einzelne Gesetzesinitiative einzeln entscheiden können. Allein den Wust einer Sitzungswoche des deutschen Bundestages einmal aufzuschlüsseln, ist ein Riesenaufwand und wäre für die Wähler viel zu kompliziert. Da bin ich Fan der repräsentativen Demokratie. Für innerparteiliche Strukturen können diese Tools aber eine Bereicherung sein, wenn man sie als Ergänzung wahrnimmt. Wir nutzen sie unter anderem schon, um herauszufinden, welche Themen für unsere Mitglieder wichtig sind. Da funktioniert direkte Demokratie super. Aber hundertprozentig sauber läuft das vollständige Liquid-Democray-Modell der Piraten nirgendwo. Bei den Liberalen arbeiten wir deshalb gerade an einem einfacheren System. Auch Adhocracy in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft führt dazu, dass viele doch eher überfordert sind, sich am Anfang einmal eingeklinkt haben, dann aber nicht mehr mitmachen.
Josephine Michalke (solid): Trotzdem kommen Parteien daran zukünftig nicht vorbei, wenn sie erfolgreich sein wollen. Denn deren aktuelle Flaute hat nicht nur mit Inhalten zu tun, sondern auch mit Politikstil. Warum sollte Liquid Democracy nicht auch in einer parlamentarischen Demokratie auf Bundes-, Landes- und Kreisebene ein interessantes Konzept sein? Technisch ist noch viel mehr möglich als wir es uns jetzt vorstellen können. Ich finde, es sollte ein Zwischending geben, zwischen „Ich stimme für jeden einzelnen Beschluss“ und „Ich stimme einmal alle vier Jahre über alle Entscheidungen ab, die es gibt, und habe in der Zwischenzeit keine Möglichkeit, auf irgendetwas Einfluss zu nehmen“.

Angenommen, die Bundesregierung etabliert dieses Modell. Glaubt ihr, dass Wähler dank der Möglichkeit zur direkten Mitbestimmung wieder aktiver werden?
Immo Fischer (WWF Jugend): Ich frage mich, ob sich die Leute durch so ein System nicht noch weiter von der Politik entfernen. Derzeit vertreten die Parteien ihre Positionen ja recht geschlossen und sie haben immer noch ein relativ gut erkennbares Profil. Wenn das aufbricht, mag das zwar sehr attraktiv sein für Leute, die sich für einzelne Themen stark interessieren. Ich befürchte aber, dass viele Menschen schon aus Zeitgründen damit überfordert sein werden. Für die wird es schwierig, sich eine Meinung zu bilden, wenn die Parteien ihr Profil verlieren.
Henriette Labsch (Evangelische Jugend): Sich plötzlich differenzierter entscheiden zu müssen, ist bestimmt eine Hürde für all die Leute, die immer nach Schema F gewählt haben. Wenn ich nicht mehr nur einmal mein Häkchen machen soll, sondern fünf Mal, das kann ganz schön abschreckend sein.
Karl Bär: Das schöne an dem Liquid-Democracy-Modell, so wie ihr das jetzt vorgestellt habt, ist aber auch, dass ich theoretisch immer noch mein eines Kreuz machen kann. Ich habe in Bayern ein paar Mal Wahlen ausgezählt. Kommunalwahlen sind sehr kompliziert mit Kumulieren und Panaschieren. Es gibt aber Leute, die verwenden tatsächlich ihre 84 Stimmen. Und dann gibt es Leute, die machen einfach ihre vier Kreuze. Das ist im jetzigen System also schon sehr gut kombinierbar: mehr Freiheit zu geben, aber auch die Freiheit zu geben, eine einfachere Methode zu wählen.
Timur Husein: Nein, ich denke nicht, dass die Bürger aktiver werden. Wenn es zum Beispiel um die Umbenennung einer Straße geht, dann ist die Abstimmungsbeteiligung in der betroffenen Straße hoch, in der nächsten Parallelstraße aber sinkt die Beteiligung massiv. Diese Instrumente werden dann eh nur von denjenigen genutzt, die sowieso bereits eine große politische Durchsetzungsfähigkeit besitzen, nämlich Akademiker und Selbständige. Alle anderen fallen raus. Liquid Democracy nutzen nur Eliten und sie nützt nur den Eliten.

Ein Modell wie Liquid Democracy, bei der die Mehrheitsmeinung zählt, wäre sehr anfällig für Manipulationen. Gerade für Populisten wäre eine solche Demokratiestruktur ungemein erfolgversprechend. Wie könnte man sich dagegen abschirmen?
Lasse Becker: Am Ende muss man als Politiker so selbstbewusst sein, auch dann die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen zu können, wenn auf der anderen Seite irgendein bescheuerter Populist steht. Deshalb streiten wir ja alle für unsere Überzeugungen.
Timur Husein: So einfach finde ich das alles nicht. Beispiel Atomkraft. Die Frage ist: Ausstieg ja oder nein? Doch dann folgen viele weitere Fragen. Wenn wir für den Ausstieg sind, wie soll er dann umgesetzt werden und bis wann? Wie soll der Energiemix aussehen? Die Parlamentarier sind die gewählten Vertreter und die entscheiden auf Basis der Wahlprogramme. Ganz einfach. Wobei natürlich Kompromisse zwischen den Regierungsparteien untereinander und mit der Opposition gefunden werden und gegebenenfalls Fehlentwicklungen korrigiert werden. Das alles wäre mit Liquid Democracy nicht möglich. Insofern ist die parlamentarische Demokratie flexibler. Direkte Demokratie finde ich auf Landesebene und auf Kommunalebene gut, weil der Sachverhalt zu überblicken ist, aber ich möchte nicht über Außenpolitik entscheiden oder über die Frage von Krieg und Frieden. Das sollen die Parlamente machen, die dazu den Auftrag von ihren Wählern bekommen haben. Deshalb lehnt die Junge Union Volksbegehren auf Bundesebene auch auf jeden Fall ab.

Hier liest du den ersten Teil der Gesprächsrunde, in der unser runder Tisch darüber diskutiert, wie man der immer wieder diagnostizierten Politikverdrossenheit der Jugend beikommen kann.



Text: mark-heywinkel - und Carsten Schrader; Fotos: Elena Wagner

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