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„Das fühlt sich wie Diskriminierung an“

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Seit Beginn des Jahres können Hochschulen in Sachsen durch das geänderte Hochschulfreiheitsgesetz ausländische Studierende zur Kasse bitten. Da Bürger aus EU-Staaten gegenüber Deutschen nicht diskriminiert werden dürfen, können die Gebühren nur von Studenten außerhalb der Union verlangt werden. Die Leipziger Hochschule für Musik und Theater (HMT) macht nun als erste vom geänderten Gesetz Gebrauch. Bezahlen sollen auch diejenigen, die schon seit einigen Semestern studieren. Die Angaben über die Zahl der Betroffenen schwanken. Zunächst war von 120 Studenten die Rede, zuletzt sollen es laut Rektor Robert Ehrlich aber „nur“ 85 sein. Einer davon ist Ashkan Rosat aus der iranischen Hauptstadt Teheran.  

Jetzt.de: Wie hast du erfahren, dass du bald Studiengebühren bezahlen sollst?
Ashkan Rosat: Durch eine E-Mail, die ich vor einem Monat bekommen habe. Darin stand, dass wir ab nächstem Semester 1800 Euro bezahlen müssen.  

Und wie hast du darauf reagiert?
Ich war total schockiert, genauso wie viele meiner Freunde. Die meisten haben jetzt Angst vor ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten. Seit der E-Mail gibt es plötzlich eine sehr schlechte Stimmung an der Hochschule.

Kannst du die 1800 Euro bezahlen?
Ich wüsste nicht wie. Im Iran gibt es unter anderem wegen der internationalen Sanktionen eine schwere Wirtschaftskrise. Unsere Währung ist kaum noch etwas wert. Deshalb kann mir meine Familie nicht helfen. Sie betreiben ein kleines Restaurant in Teheran, das zur Zeit nicht gut läuft. Als ich vor drei Jahren nach Deutschland kam, haben sie mir jeden Monat etwa 500 Euro überwiesen. Das können sie jetzt nicht mehr. Aber selbst wenn, wäre es technisch gar nicht möglich. Der Zahlungsverkehr ist seit einiger Zeit eingefroren, zwischen dem Iran und Europa existieren derzeit keine Bankverbindungen.

Und wenn du für die Gebühren arbeiten gehst?
Ich habe bereits einen Job. Aber die 400 Euro, die ich im Monat verdiene, brauche ich für meinen Lebensunterhalt. Für manche ausländische Studenten wie mich gilt außerdem, dass wir nur bis zu einer relativ niedrigen Höchstgrenze arbeiten dürfen. Ich habe deshalb schon mit meiner Professorin und der Sekretärin der Hochschule gesprochen. Sie haben gesagt, es soll ein Stipendien-Programm für diejenigen geben, die sich die Gebühren nicht leisten können.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ashkan soll in Zukunft 1800 Euro Studiengebühren pro Semester zahlen. Sollte er kein Stipendium bekommen, wird er sein Studium abbrechen müssen.

Hat man euch gesagt, wie das Stipendien-Programm funktionieren soll und wie man sich dafür bewirbt?
Nein, denn das ist noch nicht entschieden. Die sächsische Wissenschaftsministerin hat deshalb die neue Gebührenregelung an der HMT öffentlich kritisiert. Gesetzlich sei es problematisch, Studiengebühren zu verlangen, ohne ein Stipendienprogramm zu haben. Unser Direktor hat die neue Regel aber bei der Vollversammlung der Hochschule am Mittwoch verteidigt und gesagt, dass die Leitung der Hochschule daran festhalten will.  

Wenn du die Gebühren wirklich selbst zahlen müsstest, könntest du dann überhaupt noch weiterstudieren?
Nein, ich müsste die Hochschule verlassen.  

Was denkst du darüber, dass nur die Studenten bezahlen sollen, die nicht aus der EU kommen?
Das fühlt sich wie Diskriminierung an! Als wir die Aufnahmeprüfung gemacht haben, war von Studiengebühren keine Rede, wenn man von den üblichen Semesterbeiträgen absieht. Jetzt erwarten wir von der Hochschule, dass wir zu diesen Bedingungen auch unseren Abschluss machen können. Ich bin im vierten Semester und soll plötzlich 1800 Euro bezahlen – hätte ich das gewusst, wäre ich nicht nach Leipzig gekommen, sondern hätte mich woanders beworben. Selbst diejenigen, die die 1800 Euro bezahlen könnten, sind wütend. Denn vor der Aufnahme hätten sie noch die Wahl gehabt, an einer anderen Hochschule anzufangen. Wie die HMT mit uns umgeht, finde ich menschlich gesehen unerträglich.  

Euer Rektor begründet die Gebühren damit, dass die HMT das Geld dringend braucht, um Lehrkräfte angemessen zu bezahlen.
Ich weiß, dass die Lehrbeauftragten hier nur zwischen 23 und 25 Euro Honorar pro Stunde bekommen. Das ist sehr wenig und das verstehen wir Betroffene auch. Aber die Lösung kann nicht sein, dass ein kleiner Teil der Studenten das Geld aufbringen muss. Würden wir das bezahlen, ginge es zwar den Dozenten besser, aber dafür uns deutlich schlechter. Für die Studenten ist die Hochschule wie ein zweites Zuhause. Die meisten von uns kommen früh morgens und arbeiten bis spät abends. Für diesen Einsatz erwarten wir von unserer Hochschulleitung Unterstützung. Aber das, was jetzt passiert, ist genau das Gegenteil davon.  

Habt ihr mit euren Dozenten über die Gebühren gesprochen?
Ja. Auch wenn ihnen die Gebühren zu Gute kommen, finden viele von ihnen die Lösung sehr schlecht, dass eine Minderheit das Geld aufbringen soll.  

Einige deutsche Politiker haben in den vergangenen Jahren gefordert, wohlhabende Ausländer sollten bezahlen, wenn sie eine Hochschulbildung in Deutschland in Anspruch nehmen. Wie siehst du das?
Bei zukünftigen Aufnahmeprüfungen werden Bewerber, deren Familien wenig Geld haben, nicht mehr nach Leipzig kommen. Unter diesen Leuten gibt es viele gute Musiker. Wenn sie wegbleiben, wäre das ein großer Verlust. So sehe ich für unsere Hochschule keine gute Zukunft.  

Was macht ihr als betroffene Studenten jetzt?
Wir treffen uns regelmäßig und versuchen jede Chance zu nutzen, um gegen die Gebühren zu kämpfen. Vor zwei Wochen haben wir eine kleine Demonstration an der Hochschule organisiert und eine Online-Petition gestartet.  

Ist es schwierig für euch, einen gemeinsamen Protest zu organisieren? Schließlich kommt ihr aus vielen verschiedenen Ländern und sprecht alle unterschiedliche Muttersprachen.
Ein bisschen, aber die internationale Atmosphäre hier hilft uns. An der HMT kennen sich alle, dadurch gibt es die nötigen Kontakte. Außerdem haben wir eine Gruppe bei Facebook gegründet. Wenn etwas neues passiert, erfahren alle schnell davon.  

Unterstützen euch die nicht betroffenen Studenten auch?
Einige von ihnen machen bei unseren Aktionen mit, aber es gibt auch Leute, die kein Interesse und kein Mitgefühl zeigen. Allerdings wussten viele von ihnen zunächst nichts von den Gebühren. Wer nicht betroffen war, hatte die E-Mail nicht bekommen. Das ist ein Unding. Über ein so wichtiges Thema sollte die Hochschulleitung eigentlich alle informieren.  

In deinem Studium probst du gerade Mozarts Zauberflöte. Kannst du dich mit den drohenden Gebühren im Nacken überhaupt noch richtig auf deine Rolle einlassen?
Ich singe zwar nur im Chor und den zweiten Geharnischten, eine sehr kleine Rolle. Aber so wie sich die Atmosphäre an der Hochschule verändert hat, ist das Arbeiten sehr schwierig geworden. In dieser
Stimmung kann man keine schöne Musik machen. Doch wir haben ja keine Wahl und machen weiter – auch wenn die Qualität sicher leidet.

Die Studenten haben zwei Online-Petitionen gestartet, einerseits gegen die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer an der HMT, andererseits gegen die Umsetzung des sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes.

Text: clemens-haug - Foto: o.H.

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