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Das Ende der Uni-Bib? Studenten und Profs schreiben die freie Netz-Bibliothek
Sie haben mit Studenten ein Lehrbuch zu XML-Programmierung geschrieben. Wie kam es dazu? Viele Banken nutzen die neue XML Software. Der Bedarf an Programmierern für das Programm ist groß, also wollte ich dazu ein Seminar halten. Weil aber die Software sehr neu ist, gibt es noch keine Lehrbücher dafür. So kam ich auf die Idee, die Studenten zu fragen, ob sie nicht mit mir gemeinsam versuchen wollten, das erste Kapitel eines Lehrbuches zu schreiben. Als es um das zweite Kapitel ging, meldete sich gleich einer meiner Studenten freiwillig als Chefautor. Und ein anderer für das dritte Kapitel. So teilten wir das ganze Buch in einzelne Kapitel auf, das dann jeweils hauptsächlich von einem Studenten geschrieben wurde. Hatten die Studenten bei ihrer Arbeit freie Hand? Ja, im Prinzip schon. In meinem ersten Kurs arbeiteten 20 Studenten an dem Projekt, im nächsten Semester, da war ich als Dozent in Passau, überarbeiteten und korrigierten bereits 50 Studenten, was ich mit dem ersten Kurs erarbeitet hatte. Ich hatte zwar schon Erfahrung mit dem Schreiben von Lehrbüchern, habe die Studenten beim Schreiben aber fast nur Beraten. In unserem ersten Projekt habe ich die Anleitung für das gesamte Lehrbuch übernommen, der jeweilige Autor hatte aber die leitende Autorenfunktion für sein Kapitel inne.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Eine Studentin vor dem Bibliotheks- und Hörsaalgebäude der Bauhaus-Universität in Weimar. Werden Präsenz-Bibliotheken irgendwann überflüssig? (Foto: dpa) Wer bestimmt, was geändert wird? Meist ein Gremium aus Dozent und mehreren Studenten. Vorschläge zu Änderungen kann aber jeder dank der Wiki-Software machen. Ob die Änderungen vorgenommen werden, entscheiden die Autoren, die mit dem behandelten Inhalt sehr vertraut sind. Wir wollen durch die Herausgeberkontrolle schon ein gewisses Maß an Qualität erlangen. Dann dürften Sie der Online-Enzyklopädie Wikipedia recht wohl gesonnen sein, oder? Naja, ich betrachte das Projekt mit gemischten Gefühlen. Einerseits finde ich den Open-Source Gedanken toll. Andererseits verstehe ich, dass viele Professoren keine wissenschaftlichen Arbeiten akzeptieren, in denen als Quelle Wikipedia angegeben wird, denn wer garantiert, dass der Artikel, den ich Online abrufe, schon überarbeitet worden ist? Wir wollen, dass die Online-Lehrbücher diese Glaubwürdigkeit erlangen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Rick Watson. Jetzt wollen Sie Entwicklungshilfe leisten. Wir versuchen ein internationales Netzwerk aus Dozenten und Studenten in aller Welt aufzubauen, um eine Online-Lehrbuch-Bibliothek zusammenzustellen. Ich würde mir wünschen, dass diese dann an die 1000 Lehrbücher umfasst. Von dem XML-Lehrbuch sollten die Studenten profitieren. Erst später kam uns der Gedanke, dass das Thema global interessant sein könnte. Sehen Sie, in Uganda und Nigeria wollen die Leute auch studieren. Theoretisch können sie das auch, die Lehrbücher in Entwicklungsländern sind auch meist subventioniert. Aber ein Biologie-Einführungswerk, das in den USA um die 108 Dollar kostet, geht in Uganda immer noch für 52 Dollar über die Ladentheke – das Durchschnitts-Jahreseinkommen aber beträgt 250 Dollar. Sie würden doch nicht ein Fünftel ihres Jahresgehaltes für ein Biologiebuch ausgeben, oder? Kaum. Deshalb unsere Idee, ärmeren Ländern Wissen umsonst zur Verfügung zu stellen. Wissenserwerb ist der beste Weg aus der Armut. Wer wird an dem Projekt verdienen? Niemand. Wenn, dann müssten alle etwas bekommen, die daran mitgearbeitet haben. Wir wollen ja keine Studenten ausbeuten, wir wollen vielmehr ihre Arbeit besser nutzen: Der größte Fehler, der an Unis gemacht wird, ist meiner Meinung nach, dass wir die schriftlichen Arbeiten der Studenten – von denen einige durchaus brillant sind – wegwerfen. Die Studenten schreiben die Arbeiten so oder so und wir machen uns nun zusätzlich die Arbeit, dieses Wissen zu vernetzen. Wenn es uns gelingt, Sponsoren für das Projekt zu gewinnen, bezahlen wir alle Autoren, die mitgearbeitet haben. Was sagen die Studenten? Die meisten bringen sich voll ein und erarbeiten sich nicht nur den Lernstoff hervorragend, sondern entwickeln ein starkes Selbstbewusstsein. Sie stellen Ansprüche an sich selbst, denen sie dann auch gerecht werden wollen. Das ist eine gute Erfahrung, die junge Menschen sonst meist erst in ihrem ersten Job haben. Arbeiten denn auch andere Professoren mit? Wir müssen uns im nächsten Jahr mit zwei Fragen beschäftigen. Gelingt es uns, ein Netzwerk aus kompetenten Autoren aufzubauen? Auf globaltext.org findet sich bereits eine Liste der Dozenten, die an dem Projekt weltweit bisher mitarbeiten, wir haben vor allem viel Unterstützung aus Südamerika. Die zweite Frage: Werden die Online-Lehrbücher dann auch genutzt? Unser Fokus liegt eben auf den Entwicklungsländern. Wir wollen nicht den Lehrbuchverlagen den Markt sprengen. Deswegen soll das Online-Lehrbuch in Europa und Nordamerika auch eher eine Alternative zu den bestehenden Lehrbuchangeboten sein. Erstmal aber brauchen die ärmeren Länder einen Zugang zum Internet! Es gibt da mehrere Ansätze, zum Beispiel laptop.org, deren Macher die Entwicklung eines robusten, leistungsstarken aber günstigen Laptops vorantreiben. Die Anschaffung eines solchen Computers ist dann zwar für Menschen mit niedrigem Jahreseinkommen immer noch sehr teuer, aber das Wissen zu dem sie dadurch Zugang erhalten, übersteigt das Wissen aus zwei teuren Lehrbüchern, deren Inhalt ja in wenigen Jahren im Zweifelsfall überholt ist. Unsere Lehrbücher lassen sich, bei neuen Erkenntnissen in einem Fachbereich, problemlos nachbearbeiten. Außerdem lassen sich die Online-Lehrbücher auch ausdrucken und beispielsweise an Schulen und Universitäten verwenden.