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Daniel Glattauer, was muss ich über das E-Mail-Flirten wissen?
Re: AW: Re: AW: Re: AW: Re: AW: – wir alle kennen solche Betreffzeilen. Sie sind nur ein Ergebnis der Tatsache, dass man heute nahezu 24 Stunden am Tag online ist und in die Tastatur hackt, was man früher vielleicht in ein Telefon gesprochen hätte. Die E-Mail ist längst auch zum Flirtwerkzeug geworden. Daniel Glattauer geht in seinen Romanen noch weiter. Gut gegen Nordwind (2006, Deuticke) und die eben erschienene Fortsetzung Alle sieben Wellen erzählen eine komplette Liebesgeschichte in E-Mails – vom zufälligen Kennenlernen durch eine fehlgeleitete Abo-Kündigung über das vorsichtige Abtasten und Flirten und das Entwickeln von Sehnsüchten bis zum Ver- und Entlieben. jetzt.de: Herr Glattauer, haben Sie selbst schon mal im Internet oder per E-Mail geflirtet? Daniel Glattauer: Nur mit Frauen, die ich bereits gekannt habe. Von den trügerischen Sinnesorganen, die wir besitzen, ist der Sehsinn noch einer der verlässlichsten. Wenn schon flirten, dann mit den Augen. Man kann sich also nicht in eine Person verlieben, ohne ihr live begegnet zu sein? Doch, ich denke schon. Mir selbst ist es noch nicht passiert, und mir wird es wohl kaum je passieren, aber ich kenne da zwei Personen, die sind ganz ordentlich hineingekippt: Emmi Rothner und Leo Leike heißen sie, die Protagonisten aus meinem Roman. Worte als reale Anhaltspunkte und dazu ein gehöriges Maß an Wunschvorstellungskraft – das ist schon auch ein guter Nährboden für Verliebtheit. Gehören zum Flirten nicht auch Blicke und Berührungen? Wie gesagt, Blicke sind mir sehr wichtig, aber ich halte sie gleichzeitig auch für ziemlich trügerisch. Berührungen? Na ja, zum Flirten braucht man sie eigentlich nicht. Eher zur Fortsetzung des Flirts mit eindeutigeren Mitteln.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Daniel Glattauer.
Ist es nicht vielleicht sogar einfacher, wenn man sich nicht sieht? Weil man unnahbarer ist, nicht so viel von sich preisgibt, sich vorsichtiger heranpirschen kann? Weil man Zeit hat, sich zurückzuziehen und zu überlegen?
Der Vorteil des E-Mailens besteht in seiner Unverbindlichkeit, im Umstand, dass man alles aussprechen kann und dennoch nichts dabei riskiert. Es lässt sich mit wenigen Tastengriffen von Nähe auf Distanz schalten. Das schafft man im persönlichen Gespräch nie und nimmer.
Glauben Sie, dass eine Geschichte wie die in Ihrem Roman wirklich stattfinden kann – oder vielleicht schon mal irgendwo stattgefunden hat?
Seit dem Erscheinen von „Gut gegen Nordwind“ habe ich täglich E-Mails in meinem Postkasten, von Leserinnen und Lesern, die ähnliche E-Mail-Flirts oder -Beziehungen schon erlebt haben – und es mir mitunter in allen Details erzählen. Manche behaupten sogar, ich habe exakt ihre Geschichte zu Papier gebracht.
Ihre Romane sind ja sozusagen eine neue Form des Briefromans, einer Literaturform, die nun schon einige Jahrhunderte alt ist. „Gut gegen Nordwind“ ist 2006 erschienen, es hat also relativ lange gedauert, bis der Briefroman zum E-Mail-Roman wurde und an die heutige Zeit angepasst wurde. Wie erklären Sie sich, dass nicht schon vor Ihnen jemand auf diese Idee gekommen ist?
Das wundert mich auch. Ich glaube, es gibt sogar ein paar andere E-Mail-Romane. Keine Ahnung, warum die keiner kennt. Vielleicht waren sie zu wenig authentisch. Vielleicht sind da nicht die richtigen Gefühle transportiert worden. Vielleicht haben sich die Leserinnen und Leser nicht so recht mit den Protagonisten identifizieren können – oder wollen.
Wie würden Sie den Unterschied zwischen Brief- und E-Mailverkehr bezeichnen?
Hundert und eins. Der Brief krankt an der Zeitverschiebung, die E-Mail lebt von der Unmittelbarkeit. Der Brief überliefert Gefühle von gestern. Die E-Mail schafft es, gleichzeitiges Empfinden zu übertragen. Briefe sind langsam und träge, E-Mails quirlig und spontan.
Sie selbst schreiben also keine Briefe mehr?
Nein. Ich selbst kann meine Handschrift nicht mehr lesen, wie soll es dann erst dem Empfänger gehen?
Wenn Sie das quirlige und spontane mögen, müssten Sie das persönliche Gespräch oder das Telefonat ja eigentlich am meisten mögen.
Ich habe da eine ganz persönliche Rangordnung, die ich Ihnen vielleicht einfach kurz aufzähle. Das Gespräch unter vier Augen kommt da zuerst. Dann: die vertrauliche E-Mail, das Gruppengespräch, die Massenmail, die allgemeine Diskussion, der Brief, der Vortrag. Dann kommt sehr lange nichts, und ganz zum Schluss das Telefonat. Ich hasse Telefonieren, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr!
Die Zahl derer, die ihren Partner im Internet suchen, hat massiv zugenommen. Ist es nicht besser, wie bisher in eine Bar zu gehen, wenn man jemanden kennenlernen möchte?
Das ist eine Frage der Geduld. In der Bar muss man mühsam jemanden ansprechen – und damit rechnen, dass er oder sie gerade nicht angesprochen werden will. Per Internet kann man das schon vorher erledigen. Das Treffen ist ein gegenseitig bewusster Akt. Allerdings weiß man nie genau, wer da auf einen zukommt.
In Ihrem neuen Buch „Alle Sieben Wellen“ kommt es zu einem Treffen zwischen Emmi Rothner und Leo Leike. Wann ist – nachdem man sich eine Weile per Mail abgetastet hat und sich versteht – der geeignete Zeitpunkt für ein Treffen gekommen?
Ich finde, Sie haben den idealen Zeitpunkt gerade genannt: Wenn man sich eine Weile per Mail abgetastet hat – und sich versteht. Genau dann, und keine Minute später!
"Alle 7 Wellen" ist ebenfalls bei Deuticke im Zsolnay Verlag erschienen und kostet 17,90 Euro.
Text: christian-helten - Foto: Heribert Corn / www.corn.at