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"Daimler fragte: Will Rimini Protokoll da Terroristen reinbringen?"

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Dass die Lage der Wirtschaft dramatisch ist, hat Rimini Protokoll wörtlich genommen. Die Berliner Künstlergruppe erklärt die Hauptversammlung der Daimler AG am 8. April 2009 zum Theaterstück. Wie schon beim Projekt "Deutschland 2", der Kopie einer Bundestagssitzung mit 237 "Vertretern von Volksvertretern", soll die Veränderung der Sichtweise des Zuschauers auf Alltägliches den Unterschied ausmachen. jetzt.de hat mit Stefan Kaegi, 36, über die "Vorstellung" gesprochen. Kaegi gründete Rimini Protokoll vor neun Jahren mit Helgard Haug und Daniel Wetzel. jetzt.de: Stefan, wird das im April eine Komödie oder eine Tragödie? Stefan: Ein kleines Happy-End steht jetzt schon fest: Es wird dieses Jahr eine Dividenden-Auschüttung geben. Aber vermutlich auch Entlassungen, und der Vorstand muss wie immer für einige Fehlentscheidungen der letzten Jahre gerade stehen. Aber weinen habe ich bisher auf einer Hauptversammlung noch nie jemanden gesehen. Was habt ihr genau vor? Wir wollen versuchen, den Begriff des Theaters auf diese Hauptversammlung anzuwenden, auf eine Situation, die das Leben schreibt und deren Inszenierung wir verstehen wollen. Manchmal fühlen wir uns dabei wie Anthropologen. Die zentrale Frage, die uns interessiert, ist: Was ist Macht? Aber bei uns stehen keine Schauspieler auf der Bühne, die so tun, als seien sie jemand anderes, sondern echte Menschen in ihren eigenen Rollen. Ihr inszeniert an diesem Tag also nicht selbst? Das Aktienrecht reguliert und inszeniert den ganzen Vorgang: Unter anderem kann jeder Aktionär Fragen stellen und dabei kommt es oft zu komischen Szenen: Bei Daimler hat mal jemand vor 5.000 Zuschauern über den Reparaturärger an seinem Smart geklagt. Ein anderer hat gefordert, dass das gesamte Geld, das in die Fusion mit Chrysler geflossen ist, von dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Schrempp persönlich zurückgezahlt werden soll. Ein weiterer hat sich als Weihnachtsmann verkleidet ... Ein Aktionärstreff dauert so lange, bis jeder gesprochen hat, der will, und der Vorstand entlastet wurde – darauf zielt die Inszenierung und damit endet das Stück.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Rimini Protokoll sind von links: Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel Welche Rolle könnt Ihr dann noch spielen? Wir wollen versuchen, möglichst unsichtbar zu bleiben. Es lohnt sich einfach hinzugehen und zuzusehen, wie Daimler inszeniert - wir wollen das Ganze vor allem einrahmen. Eine der wichtigsten Fragen wird sein: Wer spielt die Hauptrolle? Rimini Protokoll wird ein Programmheft herausgeben. In diesem kann man alles nachlesen, was in einem Theaterprogrammheft steht: Hintergründe zum Stück, eine Charakterisierung der Figuren auf der Bühne und Informationen zum Regisseur, der Daimler AG. Außerdem werden wir durch verschiedene Experten einen multiperspektivischen Zugang ermöglichen: Experten wie ein Rechtsanwalt, ein ehemaliger Mitarbeiter, ein antikapitalistischer Aktivist, ein Organisator von Hauptversammlungen oder eine Hostesse werden in kleinen Gesprächsgruppen außerhalb des Hauptsaals Fragen beantworten. Aber selbst teilnehmen werdet Ihr nicht? In der Physik sagt man: Der Beobachter verändert das Experiment. In diesem Sinne werden wir mitmachen. Es ist anzunehmen, dass es die Veranstaltung subtil verändert, wenn 200 Theaterzuschauer im Saal sind. Aber wir werden nicht durch eigene Aktionen auffallen wie dies etwa der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre regelmäßig tut. Gab es dennoch irgendwelche Reaktionen von der Daimler AG? Wir haben in einem relativ frühen Stadium eine Zeitungsanzeige geschaltet, in der wir Aktionäre gesucht haben, die bereit wären, jemanden mitzunehmen oder ihre Einladung abzutreten. Auf diese Anzeige hat jemand angerufen, der sich nach einer Weile als Daimler-Mitarbeiter geoutet hat. Daraufhin entstand ein Kontakt und wir haben uns letzte Woche in Berlin mit Vertretern des Konzerns getroffen und erklärt, was wir vorhaben. Daimler hat natürlich Angst, dass etwas schief laufen könnte und eine der ersten Fragen war: Wollt Ihr da Terroristen reinbringen? Daimler hat klar gemacht, dass man kein Interesse habe, uns zu helfen, dass man aber gleichzeitig uns auch nicht hindern werde. Für sie seien unsere Zuschauer Aktionäre wie andere auch. Für die ist das Neuland: Plötzlich wird eine Rezension über ihre Hauptversammlung im Feuilleton stehen. Einer der Anwälte sagte: Für Daimler wäre die Aufführung gelungen, wenn die Theaterkritiker schreiben, das Aktionärstreffen sei ein langweiliges Stück gewesen. Wie lange wird für die "Inszenierung" geprobt? Von diesem Tag hängt für die Daimler AG viel ab, deshalb darf nichts falsch laufen: Die Hostessen proben normalerweise zwei Tage, damit alles klappt. Für Dr. Zetsche und die anderen Vorstände gibt es Kleideranproben, und die Reden werden durch mehrere Abteilungen geschrieben und korrigiert. Wenn auf der Versammlung etwas falsch läuft, verklagen manchmal so genannte „räuberische Aktionäre“ Daimler, um einen gewinnträchtigen Vergleich zu erreichen – häufig mit Erfolg. Wir selbst recherchieren schon seit Jahren. Das Problem ist, dass man ja nur einmal pro Jahr, eben auf der Hauptversammlung, zur Probe gehen kann. Wie kann man an Karten kommen? Am besten in dem man bis spätestens vier Wochen vor dem Treffen eine Aktie kauft und die Einladung zum Aktionärstreff bestätigt, damit Daimler genügend Würstchen fürs Buffet kaufen kann. Wir helfen auch gerne beim Kauf und bezahlen die durch Depoteröffnung und den Transfer entstehenden Kosten. Bei uns bekommt man dann das Programmbuch und den Plan des Rahmenprogramms. Unsere Emailadresse ist: hauptversammlung@hebbel-am-ufer.de. Die Aktie selbst bezahlen wir natürlich nicht, aber man kann sie ja danach wieder verkaufen – tiefer fallen, als sie schon gefallen ist, wird sie wohl kaum.

Text: hannes-kerber - Foto: Rimini Protokoll

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