Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Da sind wir nachtragend“

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Wilhelm Hilpert koordiniert als Leiter der Abteilung Benutzungsdienste der Bayerischen Staatsbibliothek in München unter anderem Mahnungen wegen überzogener Ausleihen. Wir haben mit ihm über verschwundene Bücher und den Gründen dafür gesprochen.   

jetzt.de:Was war die spektakulärste Überziehung, die Sie je erlebt haben?
Wilhelm Hilpert: Vor ein paar Jahren hat einer unserer Benutzer schubkarrenweise Bücher zurückgebracht. Das war ein Künstler, der mit unseren Büchern ein Projekt in der Akademie der Bildenden Künste gemacht hat. Er hatte Freunde und Bekannte aufgefordert, dass jeder am besten 30 Bücher ausleiht, das Maximum, das man bei uns ausleihen darf. Aus diesen hat er einen großen Turm gebaut – ein Kunstobjekt. Als diese Ausstellung zu Ende war, hat er uns die Bücher wieder zurückgebracht. Ich habe ihm gesagt, dass wir über einen Verlag Bestände hätten auftreiben können. Aber er hat mit erklärt, dass er ausgeliehene Bücher gebraucht hat, weil das Teil der Kunst sei.  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Vergangenes Jahr wurden in der Bayerischen Staatsbibliothek in München mehr als 17 000 Mahnungen verschickt.

Bekam er damals Mengenrabatt bei den Mahngebühren?
Er hat in der Tat keine Mahngebühren verursacht, weil das Projekt nicht so lange gedauert hat. Das hatte damals keine schlimmen Konsequenzen für ihn, außer das Gespräch mit mir. Ich habe ihm erklärt, warum so ein Verhalten für eine Bibliothek schwierig ist. Und von ihm ein bisschen was über Kunst gelernt.

Wie viele Mahnungen hat die Stabi 2011 wegen überzogener Bücher verschickt?
2011 waren es genau 17.235 Mahnungen. Am Ende sind es aber nicht so viele Bücher, die wir wirklich verlieren. Unsere Nutzer sind sehr zuverlässig, bis auf wenige Ausnahmen.  

Ab wie vielen Tagen Überziehen werden Mahnungen verschickt?
Wenn jemand ein Buch nicht zurückgibt, wäre schon ab dem ersten Tag eine Mahnung möglich. Wer darauf nicht reagiert, bekommt nach vier Wochen die zweite Mahnung. Insgesamt verschicken wir vier.  

Wie oft kommt das vor?
Nach der zweiten sind 99 Prozent aller Mahnfälle erledigt. Es gibt sehr wenige, die ihre Bücher hartnäckig nicht zurückgeben, zum Beispiel wenn jemand ohne unser Wissen umgezogen ist.  

Was passiert dann?
Die Bücher sind Eigentum des Freistaats Bayerns und gehören damit uns allen. Wenn jemand hartnäckig Bücher unterschlägt, führt das zur Vollstreckung, zum einen der Gebühren, zum anderen der Bücher selbst. Da schicken wir den Gerichtsvollzieher zu den Nutzern, die ihre Bücher nicht zurückbringen. 2011 hatten wir 250 Vollstreckungen wegen nicht bezahlter Gebühren und zehn, bei denen der Gerichtsvollstrecker den Auftrag bekam, ein oder mehrere Bücher wieder zu beschaffen.  

Und wenn auch das nicht klappt?
Dann können wir das irgendwann nicht mehr weiterverfolgen. Wenn derjenige dann aber wieder bei uns Nutzer werden will, kann er das erst wieder, wenn er diese Gebühren bezahlt hat. Da sind wir nachtragend.  

Wie viele Medien verschwinden jedes Jahr?
2011 haben wir 200 Bücher stark beschädigt zurückbekommen, 150 sind ganz verloren gegangen. In beiden Fällen müssen die Bücher ersetzt werden oder Gegenwert des Buches bezahlt werden.  

Wie viel nehmen Sie im Jahr mit Mahngebühren ein?
2011 waren es 155.000 Euro Mahngebühren. Das ist ein erheblicher Betrag, der aber in den bayerischen Staatshaushalt eingeht und nicht in der Staatsbibliothek bleibt. Wir können uns damit also nicht finanzieren. Wenn jemand für ein verlorenes Buch bezahlen muss, fließt das Geld schon in den Erwerbungsetat ein. Manchmal entscheiden wir, dass man genau das Buch nicht mehr in dem Zustand kriegt, dann kauft man mit dem Geld ein anderes Buch.  

Welche Ausreden bekommen Sie bei Überziehungen zu hören?
Meistens sagen diejenigen ganz ehrlich, dass sie die Bücher einfach nicht finden. Oder dass sie es einfach vergessen haben, das kann jedem mal passieren. Wenn jemand sagt, er war im Krankenhaus oder schwer erkrankt, verlangen meine Mitarbeiter ein Attest. Und selbst mit schlimmen Kreuzschmerzen kann man wenigstens anrufen, weil wir in so einem Fall auch das Mahnverfahren anhalten würden, sodass dann nicht noch mehr Kosten entstehen. Da muss man einfach mit uns reden. Wichtig ist uns, die Bücher wieder zu bekommen, damit sie anderen zur Verfügung stehen.  

Wie viel kostet so ein Mahnverfahren?
Die erste Mahnung finde ich mit 7,50 Euro relativ teuer. Die Kosten steigen dann pro Mahnung an. Ab der zweiten kommt noch die Postzustellung dazu, am Ende liegt die Gebühr zwischen 70 und 80 Euro für ein Buch. Der Wert des Buches ist da noch nicht dabei. Ein Trost ist, dass die Gebühr schon seit fast 30 Jahren gleich geblieben ist. Früher hat die erste Mahnung 15 Mark gekostet, das war damals in Relation ein noch sehr viel höherer Betrag. Öffentliche Bibliotheken wie der Gasteig berechnen die Gebühren oft nach den Tagen der Überziehung. Wenn jemand zwei Tage überzieht, kostet es 1,50 Euro, bei 20 Tagen 15 Euro. Das summiert sich auch schnell.  

Was war die längste Überziehung, die Ihnen untergekommen ist?
Ich habe leider keine Story parat, in der wir nach vielen Jahren wieder ein Buch zurückbekommen haben, aber es gab schon Erfolge, dass wir nach ein oder zwei Jahren Bücher wieder gekriegt haben.  

Aber es gibt doch bestimmt ein paar unvergessliche Mahngeschichten.
Oft bieten Überzieher an, dass sie ihre Gebühren bei uns abarbeiten, abspülen und putzen, wenn wir ihnen die Gebühren und das Bezahlen der Bücher erlassen. Das dürfen wir natürlich nicht, weil derjenige nicht versichert wäre. Gerade hatten wir den Fall, dass ein Mädchen angerufen hat, weil sie sich mit ihrem Freund verkracht hat und ausgezogen ist, aber die Bücher noch dort liegen und sie nicht zu ihm gehen will.  

Was machen Sie in so einem Fall?
Wir haben ihr mehr Zeit gegeben, dann findet sie schon einen Weg, indem sie zum Beispiel gemeinsame Freunde darum bittet, es zu holen. Oder wenn jemand nicht zahlen kann, legen wir Raten fest, damit er die Gebühren in kleinen Beträgen abstottern kann. Wir hatten auch schon Fälle, dass wir Bücher in mehreren Teilen zurück erhalten haben, weil der Hund oder die Katze damit gespielt hat oder weil es jemandem in die Badewanne gefallen ist. Einige unserer Bücher sind schon im Dschungel in Neuguinea verloren gegangen, weil sie jemand auf einer wissenschaftlichen Expedition dabei hatte, am Flughafen in Peking oder auf einer Skihütte in Norwegen. Unsere Bücher sind schon weit herumgekommen.  


Text: kathrin-hollmer - Foto: dpa

  • teilen
  • schließen