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Brauchen wir die Ehe noch?

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jetzt.de: Timur, Lasse, der letzte Gesetzesentwurf für eine Gleichstellung der Ehe homosexueller Partner ist von euren Mutterparteien CDU/CSU und FDP verhindert worden. Hättet ihr auch gegen die Gleichstellung gestimmt?
Timur Husein (Junge Union): Homosexuelle Paare sollten zum Beispiel im Erbschaftsrecht, im Steuerrecht die gleichen Rechte haben wie verheiratete Personen auch. Aber für die Junge Union und für mich ist die Ehe nun mal ein Verbund zwischen einem Mann und einer Frau.
Lasse Becker (Junge Liberale): Der Gesetzesentwurf ging mir nicht weit genug. Es geht doch darum, wo Verantwortung füreinander übernommen wird, und da greifen die Begriffe Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft zu kurz. Es kann auch sein, dass es drei oder vier Personen sind, Patchworkfamilien, die Verantwortung füreinander übernehmen, Stichwort Polyamorie. Oder: wie ist es beim Zusammenleben ohne sexuelle Beziehung, zum Beispiel in Senioren-WGs? Deshalb wollen wir neben der klassischen Ehe langfristig die eingetragene Verantwortungsgemeinschaft einführen.

Das bedeutet, anstatt die Institution Ehe für homosexuelle Paare zu öffnen, wollt ihr sie ganz abschaffen?
Lasse Becker: Weiterentwickeln.
Karl Bär (Grüne Jugend): Genau. Ich will niemandem verbieten, religiös zu heiraten oder sein Leben miteinander zu verbringen. Die Frage ist eher, warum ich diese Leute in eine andere Steuerklasse setzen muss. Wir stellen uns das deshalb so vor, dass man Rechte, die bislang nur Ehepartner haben, über Vertragsbeziehungen regeln kann, statt dieses große Konstrukt Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft zu stützen.
Josephine Michalke (solid): Außerdem steckt hinter diesem altehrwürdigen Konstrukt ein ausschließendes Moment.
Henriette Labsch (Evangelische Jugend): Wen schließt das denn aus, wenn ich sage, ich möchte mit dem zusammen sein, den ich liebe?
Josephine Michalke: Alle, die nicht hetero sind. Und alle, die mehr als zwei sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Am Tisch sitzen: Timur Husein, Beisitzer im Bundesvorstand der Jungen Union, Kevin Kühnert, Vositzender der Jungsozialisten in Berlin, Lasse Becker, Vorsitzender der Jungen Liberalen, Karl Bär, Bundessprecher der Grünen Jugend, Josephine Michalke, Bundessprecherin der Linksjugend ['solid], Sören Siegismund-Poschmann, Kapitän der Berliner Jungen Piraten, Yvonne Everhartz, Mitglied des Bundesvorstands des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Henriette Labsch,Beisitzerin im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, Immo Fischer, Pressestelle WWF-Jugend

Timur, als Mitglied der konservativsten Partei an diesem Tisch, müsstest du doch vehement protestieren, oder?
Timur Husein (Junge Union): Ich finde das vollkommen absurd, worüber wir hier reden. Die Ehe ist die Keimzelle unserer Gesellschaft. Es gibt Institutionen, die bewährt sind, weil auf ihnen die Grundlage unseres Staates basiert. Die allermeisten Kinder werden immer noch in Ehen geboren. Und bei Jugendlichen hat die Ehe wieder größere Bedeutung. Deshalb sehe ich überhaupt nicht die Notwendigkeit, diese Institution abzuschaffen.
Kevin Kühnert (Jungsozialisten): Wo trägt die Ehe denn die Gesellschaft? Da muss man wirklich mal von diesen Allgemeinplatzformulierungen wegkommen. Was bricht in diesem Staat zusammen, wenn die Leute keine Ehe mehr eingehen? Auch dein Argument mit den Kindern funktioniert für mich nicht: Ein Staat hat keinen Selbstzweck, deshalb verpflichten wir auch glücklicherweise niemanden dazu, dass Kinder geboren werden müssen. Ich heirate doch nicht, weil ich im Kopf habe: Ich trage hier dazu bei, das dieses Land in seiner quantitativen Größe erhalten wird und meine Stadt nicht ausstirbt. Das ist eine unromantische Betrachtung, die mir völlig fern liegt. Wenn in einer Beziehung Kinder entstehen, ja bitte, gerne, wenn die Leute damit glücklich werden. Aber was fehlt uns, wenn die Ehe dann weg ist? Das verstehe ich noch nicht.
Lasse Becker: Zumal weder Familienvertrag noch Verantwortungsgemeinschaft verbieten würden, in dieser Konstellation zu leben. Für mich persönlich wäre eine Ehe immer noch meine Wunschvorstellung der Verantwortungsgemeinschaft, aber deshalb muss ich das doch nicht jedem anderem vorschreiben.
Karl Bär: Genau, es geht darum, den ganzen historischen Brambums abzuschaffen, der da dranhängt. Nicht das Zusammenleben von zwei Menschen.
Timur Husein: Die Ehe zwischen Mann und Frau ist ein Teil unserer Identität. Und für alle anderen gibt es doch die Lebenspartnerschaft.
Kevin Kühnert: Warum machst du diese Unterscheidung?
Timur Husein: Ich finde, Kinder sollten in einer Ehe aufwachsen, und eine Ehe besteht aus Mann und Frau. Die Junge Union spricht sich gegen das Adoptionsrecht von homosexuellen Paaren aus. Das ist die Unterscheidung von Ehe und Lebenspartnerschaft, und deswegen sind wir für den Erhalt der Ehe.  
Kevin Kühnert: Bist du dann auch gegen alleinerziehende Väter, weil es dann keine Mutterfigur in der Familie gibt?  
Timur Husein: Das ist ziemlich polemisch. Für mich ist es wünschenswert, dass ein Kind mit einem Vater und einer Mutter aufwächst. Letztendlich ist es für uns alle hier eine ideologische Frage.  
Kevin Kühnert: Das Grundproblem ist der Gedanke, staatlicherseits könnte definiert werden, was Normalität ist. Für mich ist jede individuell gefundene Beziehungsform zunächst mal ihre eigene Normalität. Auch Partnerschaften zwischen Mann und Frau werden ja unterschiedlich gelebt. In den seltensten Fällen bestehen die einfach aus Mama, Papa und zwei Kindern, so wie man das früher hatte. Da sind ja eigentlich immer Patchwork-Elemente mit drin, irgendwelche Großeltern oder Freunde der Familie, die mit einbezogen sind. Vielleicht wohnen die Eltern auch mit anderen Leuten in einer WG. Das sind heutzutage ja alles gesellschaftliche Normalitäten. Timur, du wohnst in Kreuzberg, du siehst das selber jeden Tag vor der Haustür.
Timur Husein: Das ist der Anfang von der Abschaffung der Ehe. Das ist euer erklärtes Ziel, und dagegen wehre ich mich. Und ja, ich lebe in Kreuzberg, und ja, ich sehe, dass die Ehe einen sehr hohen Stellenwert hat, vielleicht nicht bei den zugezogenen Schwaben, aber bei den seit Jahrzehnten lebenden Migranten ist die Ehe die überragende Lebensform und wird zu Recht nicht in Frage gestellt.
Kevin Kühnert: Meinetwegen, andere Themen interessieren mich viel mehr. Wenn die Ehe am Ende nicht abgeschafft ist, dann ist mir das scheißegal. Dann sollen die Leute eben weiter heiraten, das ist für mich nicht der heilige Gral, um den sich alles dreht. Mir als Homosexuellem musst du aber die Frage lassen, ob du mir zugestehst, eine gleichwertige Lebensform annehmen zu können. Ich sage gleichwertig, weil es aus deiner Sicht ja eine Wertfrage ist. Und da kannst du noch hundertmal von Lebenspartnerschaft anfangen: Du gestehst es mir nicht zu. Ich muss daraus schlussfolgern, dass du oder deine Partei oder deine Organisation mich nicht als gleichwertigen Teil der Gesellschaft sehen. Das nehme ich erstmal zur Kenntnis, und das sollen die Leute auch ruhig wissen. Es ist schon nicht unwesentlich, wenn eine Partei von einer Ungleichheit von Menschen ausgeht.
Timur Husein: Alle Menschen sind gleichwertig, darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, wie wir das Zusammenleben organisieren. Und da haben wir eine andere Position als ihr.
Henriette Labsch: Seht ihr alle nicht, dass die Ehe vielleicht noch mit konservativen Werten belastet ist, inzwischen aber trotzdem von vielen schon ganz anders gelebt wird? Man muss da nichts abschaffen oder anders nennen, sondern man kann die Ehe doch auch einfach der Realität anpassen. Der Antrag, der gerade abgelehnt wurde, ging da in die richtige Richtung. Es gibt einfach viele Paare, die eine Eheschließung wünschen und gleichgeschlechtlich sind. An eine Ehe sollte man nicht koppeln, dass es ausschließlich um Mann und Frau geht. Aber das tut die stärkste Partei in Deutschland ja immer noch. 
Timur Husein: Und wird es auch weiterhin tun. Wenn wir anfangen, an der Ehe zwischen Mann und Frau zu rütteln, dann kommen als nächstes einige Muslime, die fordern, dass eine Ehe aus einem Mann und bis zu vier Frauen bestehen darf. Oder es kommen zwei Männer und zwei Frauen. Das wollen wir als JU auch nicht.

Eine ablehnende Position nimmt die CDU/CSU-Fraktion auch ein, wenn es um das Thema Frauenquote geht. Eine Gleichberechtigung von Mann und Frau im Berufsleben herzustellen, ist bislang nicht gelungen.
Henriette Labsch: Ich als Frau kann sagen, egal, wo ich hingehe, möchte ich gewählt werden können und prinzipiell reden dürfen. Ich möchte einen Job bekommen, wenn ich für diesen Job qualifiziert bin. Aber ich möchte den nicht aufgrund irgendeiner Quote bekommen, denn das finde ich auch schon fast wieder diskriminierend. Auf Grund der Frauenquote gibt es ja auch schwierige Situationen: Wenn noch drei Frauenplätze frei sind, können die Männerplätze erst besetzt werden, wenn man geeignete Frauen gefunden hat. Da geht Knowhow und Zeit verloren, weil es in einem Mann und nicht in einer Frau steckt.
Timur Husein: Unsere Position ist auch so: Wir sind gegen jegliche Form von Quote. Es muss um Leistung gehen. Wenn wir eine Frauenquote einführen, haben wir demnächst auch eine Migrantenquote und so weiter. Wir wollen keine Partei oder kein Unternehmen haben, das eins zu eins die Gesellschaft abbilden muss. Das wären Zwangsmaßnahmen, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Außerdem geht es hier nur um eine Elite-Debatte wegen einiger Elite-Frauen. Viel wichtiger wäre es, wenn der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bei der Masse in den unteren Lohngruppen durchgesetzt werden würde.
Yvonne Everhartz: Wir wollen eine Frauenquote in der Wirtschaft. Natürlich ist klar, dass die Frauenquote nur ein Element einer umfassenden Förderung sein kann. Wenn im Aufsichtsrat großer Konzerne Plätze frei werden, werden die Headhunter losgeschickt und dann ist natürlich klar, dass es keine Frauen gibt, die man da reinsetzen kann. Das liegt aber auch daran, dass man Frauen jahrelang nicht gefördert und nicht dafür gesorgt hat, dass Frauen in solchen Positionen sitzen. Und dem liegt meiner Meinung nach eine strukturelle Benachteiligung von Frauen zugrunde. Man kann sich anstrengen und kommt trotzdem nicht in diese Positionen. Für mich ist das keine Frage von Männerbashing, sondern es ist eine Frage von Gerechtigkeit. Es gibt da ein strukturelles Ungleichgewicht, es gibt in bestimmten Positionen einfach mehr Männer als Frauen. Bis es ein Gleichgewicht gibt, muss es eine Quote geben, damit Frauen da reinkommen.
Josephine Michalke: Im Kapitalismus funktioniert alles auf ökonomischen Grundlagen und aufgrund grundsätzlicher Machtverhältnisse. Die kann man leider nicht aufbrechen, indem man einfach nur darauf aufmerksam macht. Wir hätten auch noch 20 Jahre über die Gefahren der Atomkraft reden und nichts unternehmen können.
Lasse Becker: Ich lehne gesetzliche Quoten auch ab, aber  da ist doch auch ein recht platter ökonomischer Anreiz: Man hat in der Finanzkrise gesehen, dass die Unternehmen, die eine höhere Frauenquote in ihren Aufsichtsräten hatten, besser durch die Krise gekommen sind. Ich finde da eher andere Maßnahmen statt der Quote, zum Beispiel Mentoring-Programme und die klare Kommunikation weiblicher Role-Models, wichtig und erfolgversprechend.
Kevin Kühnert: Es muss umfassende Förderungsmaßnahmen geben, und das betrifft vor allem die Bildungspolitik. Wir verlieren viele Frauen schon sehr früh. Es machen mehr Frauen Abitur als Männer, und es beginnen noch geringfügig mehr Frauen ein Studium. Bei den Bachelor-Abschlüssen schlägt es das erste Mal um: Da haben wir mehr Männer als Frauen. Beim Master wird es noch deutlicher, und übers Promovieren und Habilitieren brauchen wir gar nicht erst sprechen, da sind wir bei den Frauen im einstelligen Prozentbereich. Bei der Aufsichtsratdebatte geht es nur um die oberste gläserne Decke, alles was darunter ist, tangiert das erst mal nicht. Für viele Frauen stellt sich die Frage gar nicht, ob sie Aufsichtsrätin werden können. Neben der Quote muss vorher geguckt werden, wo Frauen verloren werden und wo die Stolpersteine sind.

Die ersten beiden Folgen des jetzt.de-Sommergesprächs kannst du ebenfalls noch nachlesen. Vergangene Woche diskutierte die Runde über Bürgerbeteiligung und Liquid Feedback, in der ersten Folge ging es um Politikverdrossenheit bei jungen Deutschen.

Text: mark-heywinkel - und Carsten Schrader; Fotos: Elena Wagner

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