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Bis zum Äußersten: Hamburger Studenten verweigern Uni-Gebühr

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Ihr wagt jetzt den Boykott. Habt ihr das entschieden, als ihr noch dachtet, ihr hättet einen Riesen wie die Uni Hamburg an eurer Seite, der Euch stärker gegen das Exmatrikulationsrisiko absichern könnte? Anfänglich waren wir schon davon ausgegangen, dass wir unseren Boykott an den der anderen Hochschulen koppeln. Als dann klar war, dass außer uns nur die HfbK den Boykott durchzieht, haben wir in einer Art Sturm-Vollversammlung entschieden, weiter zu machen. Wir sind momentan eben so etwas wie ein kleiner Stamm von Galliern, der in einer Welt, die Studiengebühren zahlen muss, nicht aufhört, Widerstand zu leisten: Wir sind 89 Studenten, die boykottieren. Das sind drei Viertel der Studenten der Theaterakademie. Solange diese 89 dabei bleiben – und danach sieht es zur Zeit aus – glauben wir nicht, dass die Theaterakademie uns so einfach rauswerfen und damit auch die meisten ihrer Professoren auf die Straße setzen wird. Wie seid Ihr organisiert? Die Besonderheit an unserem Boykott ist, dass wir kein gemeinsames Treuhandkonto haben. So etwas einzurichten, hätte Gebühren gekostet, die wir uns nicht leisten können, und dann hätten noch nicht mal alle darauf überweisen können – weil sie die 500 Euro nicht aufbringen können. Darum geht es ja beim Boykott. Wir wollen zeigen, dass sich Manche das Studium einfach nicht leisten können, wenn es noch mehr Geld kostet als bisher schon. Das ist nicht gerecht!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schauspiel-Studenten protestieren: Christiane Boehleke, Dominik Lindhorst, Alexander Scala und Johanna Fülle (von links). (Fotos: oh) Eure Boykott-Gemeinschaft basiert also nur auf Vertrauen? Im Grunde schon. Wir sind nicht unübersichtlich viele wie an den großen Unis, die mit der Vereinzelung der Studenten einen ganz anderen Ausgangspunkt für die Boykottversuche haben als wir: Wir kennen uns sehr gut untereinander. Deshalb können wir Neuigkeiten rasend schnell an alle verbreiten und ständig miteinander sprechen und so dafür sorgen, dass alle zusammenbleiben und das Vertrauen nicht verlieren. Der Solidaritätsgedanke geht so weit, dass wir uns im Notfall gegenseitig mit Geld aushelfen oder mal für ein paar Wochen ein Zimmer teilen können. Dieser Zusammenhalt ist uns wichtig und die Voraussetzung für einen Boykott ohne Absicherung durch ein Treuhandkonto. Darüber hinaus haben wir aber auch abgemacht: Falls einer Muffensausen bekommt und seine Studiengebühren nun doch an die Uni überweisen möchte, muss er sich vorher melden. So steht es in der Absichtserklärung, die wir alle unterschrieben haben, damit etwaigen Wankelmütigen ein Schriftstück unter die Nase gehalten werden kann, damit sie ihre Meinungsänderung noch mal am Papier überprüfen können. Trotzdem können wir natürlich niemanden zwingen mit zu boykottieren, oder den ganzen Weg bis zum Ende mitzugehen. Wie groß ist Eure Angst vor Exmatrikulation? Natürlich haben wir Angst – aber nicht zu große. Schließlich haben wir das Hochschulgesetz auf unserer Seite. Danach kann kein Student, der eine Semesterbescheinigung für das laufende Semester hat, vor dem Semesterende am 30. September exmatrikuliert werden. Zudem muß er oder sie sofort nach Einzahlung der fälligen Gebühren wieder immatrikuliert werden. Juristisch sind wir also ordentlich immatrikulierte Studenten, obwohl wir die Studiengebühren für das aktuelle Semester zurückhalten. Dass der Hamburger Wissenschaftssenator Dräger, wie wir gehört haben, jetzt eine Art Eil-Exmatrikulation aller Nichtzahler durchsetzen möchte, ist deshalb rechtswidrig und könnte ihm große Schwierigkeiten bereiten. Warum muss die Künstlerausbildung umsonst sein? Und was hat Monica Bleibtreu mit dem Protest zu tun? Teil zwei des Gesprächs auf der nächsten Seite.


Wie positioniert sich Eure Hochschulleitung zu Eurem Vorhaben? Professor Lampson, der Präsident der HfMT, befürwortet die Studiengebühren. Uns ist unerklärlich, warum, denn die Gebühren der meisten Studenten an unserer Schule gehen sowieso nicht an die HfMT, sondern an die Universität, wo viele von uns zusätzlich zum HfMT-Studium sind. Deshalb würde die HfMT aus den Studiengebühren nur etwa 300.000 Euro im Semester bekommen – das reicht gerade mal aus, um der Musikhochschule einen neuen Flügel zu kaufen. Dass Herr Lampson die Freiheit der Kunst einfach opfert, anstatt die 300.000 Euro vom Senat zu verlangen, ist allerdings bemerkenswert. Warum muss die Ausbildung von Künstlern gebührenfrei sein? Weil die Zahlen schon jetzt zeigen, dass in den Studiengebührenländern die Studentenzahlen an Kunsthochschulen zurückgegangen sind. Die hohe Verschuldung, die ein solches Studium bedeutet, schreckt ab. Wir Schauspielstudenten sind dazu angehalten bis verpflichtet, in unserer Freizeit an regulären Kunstproduktionen mitzuarbeiten. Zum Beispiel spielen wir im Thalia-Theater, werden aber nicht bezahlt dafür. Diese vielen Projekte müssten entweder entlohnt werden oder auf eine freiwillige Basis gestellt – denn nach einem 20-Stunden-Tag kann ich nicht noch zusätzlich für Studiengebühren jobben. Ein Stipendiensystem für Schauspieler gibt es nicht. Die Studienkredite sind auch keine guten Angebote. Zum einen bekommt man sie nur für ein Erststudium – aber beispielsweise für das Regiestudium an der HfMT ist ein abgeschlossenes Erststudium Aufnahmebedingung. Zum anderen: Schon ohne die Gebühren muss ich für mein Studium 17.000 Euro Kredit aufnehmen. Mehr ist angesichts der Aussicht auf ein Einstiegsgehalt von 1550 brutto nicht zumutbar, zumal ich als Schauspielerin sowieso ganz klar mit Phasen zukünftiger Arbeitslosigkeit rechnen muss.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Theaterakademie Hamburg. Unbezahlte Arbeit, zukünftige Jobunsicherheit, Schuldenangst und Mangel an Stipendien – diese Probleme greifen momentan in fast allen Fachbereichen. Kämpft Ihr für die mit? Genau darum geht es ja: Was bei uns vielleicht besonders stark zu spüren ist, trifft alle staatlichen Hochschulen und deren Studierende. Auch Medizinstudenten haben phasenweise 14-Stunden-Tage und können dann nicht jobben. Deswegen müssen die Studiengebühren weg. Und deswegen fühlen wir Nichtzahler uns in Verantwortung für alle Boykottversuche, die bisher gescheitert sind und es wieder versuchen sollten. Wir und die Nichtzahler von der HfbK, mit denen wir uns gerne möglichst eng zusammenschließen wollen, werden im kommenden Semester das Exempel sein, an dem die nächsten Boykotts sich orientieren können und hoffentlich auch Mut machen. Unsere Zuversicht kommt auch aus unserem vollen Vertrauen in den Anwalt Martin Klingner, der schon den Boykott an der Uni betreut hat, und der uns glücklicherweise zu Sonderpreisen berät. Fängt bald die ganz große Zeit der Studiengebührenboykotts an? Ich hoffe es doch! Die Themen Bildungsfreiheit und soziale Gerechtigkeit dürfen gesamtgesellschaftlich einfach nicht vergessen werden. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass der Aufruhr um die Nichtzahler noch viel größer wird. Stetig wächst unsere Unterschriftenliste gegen die Studiengebühren, unter anderem durch die Teilnahme von Menschen wie Monika Bleibtreu und Burkhard Klausner. Außerdem – das Konzept steht noch nicht ganz, aber immerhin der Plan – wird es eine Kunstaktion geben mit den über 500 Briefen von Befürwortern unseres Boykotts, die bisher an die Verwaltung der HfMT geschickt wurden. Schätzungsweise gibt es dort einen Sachbearbeiter, der 80 Prozent seiner Arbeitszeit damit verbringt, diese Briefe zu öffnen.

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