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Berlin, deine Gleise

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Im Januar bist du zusammen mit drei anderen Studenten in kürzester Zeit die komplette Strecke der Berliner S-Bahn abgefahren. Stellt sich einem ja die Frage: Warum nur?
Der Berliner Kunststudent David Kretz kam darauf – er hatte von Rekordversuchen in anderen Großstädten gehört, bei denen Menschen möglichst schnell das öffentliche Verkehrsnetz abfahren. Nun wollte David das in Berlin für ein Kunstprojekt ausprobieren. Er hatte zunächst versucht, die optimale Strecke händisch zu berechnen, was sehr kompliziert ist. Diese Route ist er auch einmal abgefahren, das hat 17 Stunden und eine Minute gedauert. Um zu wissen, ob es noch schneller geht, hat er das Berliner Zuse-Institut für Informationstechnologie, bei dem ich zu diesem Zeitpunkt Praktikantin war, gefragt, ob sie ihm helfen könnten. Ich habe dann ein Programm entwickelt, das einen Fahrtweg berechnet hat, der im günstigsten Fall nur 13 Stunden und 24 Minuten dauert. Den sind wir dann Anfang Januar innerhalb von 15 Stunden und vier Minuten abgefahren.

Und warum S- und nicht U-Bahn?
Wir dachten, S-Bahn ist netter als U-Bahn, da sieht man wenigstens etwas von der Stadt. (lacht) Außerdem ist die S-Bahn etwas komplizierter zu berechnen, weil dort die Züge seltener fahren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Loes Knoben (links) und ihre Mitfahrer am Startbahnhof Strausberg Nord. Die 23-Jährige Niederländerin studiert mittlerweile wieder an der Universität Twente angewandte Mathematik.

Wie genau lief die Fahrt ab?
Wir sind morgens gegen zehn an der Station Strausberg Nord gestartet. Der Plan war dann, um circa halb zwölf abends fertig zu sein. Allerdings gab es an diesem Tag einen starken Sturm. Das hat dazu geführt, dass viele Bäume auf die Gleise fielen. Oftmals sind Züge dann ausgefallen und wir mussten den Schienenersatzverkehr nehmen. Dafür haben wir wiederum auch eine Verbindung geschafft, die laut BVG eigentlich unmöglich war. Sie hat uns dann zehn Minuten Vorsprung gebracht, den wir allerdings wieder verloren haben, als ein anderer Zug uns vor der Nase wegfuhr. Am Ende waren wir um ein Uhr nachts fertig.

Kannst du das Programm, das du da entwickelt hast, mal kurz erklären? Für Dummys sozusagen?
In meinem Tool kann man theoretisch die Fahrpläne von jedem öffentlichen Verkehrsnetz eingeben – in diesem Fall also von der S-Bahn der BVG. Man kann dann noch angeben, ob man an einem bestimmten Punkt anfangen und ankommen möchte und ob man nur alle S-Bahn-Stationen, oder auch alle vorhandenen Gleise abfahren möchte. Wir haben uns für letzteres entschieden – wir fanden, nur dann hat man wirklich das gesamte Netz einmal genutzt. Allerdings hat es uns dabei gereicht, jedes Gleis nur in eine Richtung abzufahren. Wir sind also nicht noch zwischen den Stationen gependelt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Inwiefern waren in deiner Simulation Verspätungen mit eingeplant?
Ich hatte gehört, dass die S-Bahn in Berlin nicht ganz zuverlässig ist. Deshalb habe ich Verspätungen mitgedacht und den Fahrplan so aufgebaut, dass wir zu Beginn die schwierigen Strecken fahren, bei denen man bis zu 40 Minuten warten müsste, wenn man einen Zug mal verpasst. So wussten wir früher, ob wir den Rekord schaffen würden. Außerdem habe ich für Bahnhöfe wie den am Ostkreuz, bei dem das Umsteigen sehr lange dauert, zusätzliche Zeit eingeplant. Und natürlich für Toilettenpausen.

Mit eurer Fahrt wollt ihr ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen werden. Wie läuft sowas? Ist da jemand von denen bei euch mitgefahren?
Nein. Wir haben stattdessen an jeder Station ein Foto von dem Stationsnamen gemacht, das mit einem Zeitstempel versehen ist. Anfangs war das noch sehr stressig, da man an jeder Station schnell rausspringen musste. Mit der Zeit sind war aber besser darin geworden. Außerdem haben wir ein Logbuch geführt, die Zugnummern und genauen Abfahrts- und Ankunftszeiten dokumentiert. Teilweise haben wir uns auch von dem Zugführer unterschreiben lassen, dass wir wirklich in dem Zug waren. Das alles zusammen haben wir jetzt Guinness geschickt, ich hoffe, es klappt.

Wenn das Strecken-Abfahren ein richtiger Sport unter Rekordhaltern ist – haben dann jetzt schon andere Leute dein Programm angefragt?
Es gibt diesen Typen, der den Rekord für das Subway-Netz in New York hält. Er hat sich auch schon mal an der Berliner U-Bahn versucht, bisher allerdings immer alles manuell kalkuliert. Der hat sich gemeldet und Interesse an dem Programm gezeigt. Er hat auch gesagt, dass er bei unserem nächsten Versuch gerne mitfahren würde.

Inwiefern hat sich dein Eindruck von Berlin oder der Berliner S-Bahn durch eure lange Fahrt verändert?
Loes: Ehrlich gesagt habe ich die S-Bahn vorher kaum genutzt. Ich komme aus den Niederlanden, also habe ich mir in Berlin als erstes ein Fahrrad gekauft. Aber es war toll, die verschiedenen Ecken der Stadt, die vielen verschiedenen Gebäuden mal aus der Bahn zu sehen.

Willst du nochmal antreten und es schneller versuchen?
Prinzipiell ja. Allerdings gibt es im Berliner Verkehrsnetz gerade einige Bauarbeiten zwischen Nord und Süd. Da fährt so viel Schienenersatzverkehr, das wäre schwierig. Aber vielleicht noch einmal im Spätsommer – dann hätte ich auch einen guten Grund, von Twente aus noch einmal nach Berlin zu kommen.

Text: charlotte-haunhorst - Foto: oH / Lisa-Marie Prankl

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