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"Begabtenstipendien sind ungerecht und sollten abgeschafft werden"
Eine neue Studie des Hochschul-Informations-Systems zeigt, dass weitaus mehr wohlhabende Akademikerkinder ein Stipendium der großen Begabtenförderwerke erhalten als Studenten aus Arbeiterfamilien. In der Wochenzeitung "Die Zeit" spricht der Elitenforscher Michael Hartmann nun von der "Illusion, dass es bei der Vergabe von Stipendien um Leistung geht" und kritisiert, dass ausgerechnet jene Studenten benachteiligt seien, die wirklich Hilfe benötigen. Der Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) plädiert bereits seit mehreren Jahren für die Abschaffung von Stipendienmodellen, die auf Studienfinanzierung basieren. jetzt.de hat mit fzs-Vorstandsmitglied Florian Kaiser gesprochen. jetzt.de: Die HIS-Studie sieht sozial schwache Studenten bei der Stipendienvergabe im Nachteil. Wo siehst du die größten Ungerechtigkeiten? Florian Kaiser: Ein großes Problem sind allein schon die Auswahlgespräche. Die Stiftungsgremien sind männlich dominiert und ihre Mitglieder kommen fast immer aus höheren sozialen Schichten. Psychologische und soziologische Studien beweisen, dass all das letztendlich einen Effekt auf die Auswahl hat. Hinzu kommt, dass die Stiftungen primär nach Leistung bewerten. Leistung ist nun mal das Grundprinzip von Stipendien. Liegt das Problem nicht vielmehr in unserem Schulsystem begründet, das sozial schwache Schüler zu wenig fördert? Ich glaube, dass sowohl das Schulsystem als auch das System der Stipendienprogramme unabhängig voneinander auf ihre eigene Weise benachteiligen. Außerdem stellt sich die grundsätzliche Frage, wie man Leistung überhaupt definiert. Wie definierst du Leistung? So pauschal lässt sich das oftmals gar nicht sagen. Fakt ist aber: Wer Leistung erbringen will, der braucht Zeit. Zum Beispiel für ein ehrenamtliches Engagement - nach wie vor ein wichtiges Aufnahmekriterium für ein Stipendium. Ja, klar. Wenn ein Student neben dem Studium arbeiten muss, hat er für soziales Engagement kaum noch Zeit. Wenn er sich die Zeit trotzdem nimmt, leiden die Leistungen im Studium. Für die Aufnahme in ein Stipendienprogramm ist das ein K.o.-Kriterium. Wie könnte man dieses Problem beheben? Ausgerechnet die Studenten, die sich ihr Studium selbst finanzieren müssen, hätten ja die Förderung durch ein Stipendium nötig. Ich finde, dass ein Studium gar nicht von Stiftungen abhängig sein sollte, die bei der Stipendienvergabe eigene Interessen verfolgen. Es muss das Ziel sein, ein Studium ohne Hochleistungsanspruch zu ermöglichen. Die Stipendien führen dagegen zu einer noch stärkeren Elitenbildung, die großen Teilen der Gesellschaft den Zugang zur Bildung noch schwerer machen, als er ohnehin schon ist. Eine bedarfsgerechte Gestaltung des Bafögs, unabhängig vom Einkommen der Eltern, wäre da viel sinnvoller. Man sollte also Stipendien komplett abschaffen... ... und durch eine breiter angelegte Förderung ersetzen, ja. Das wäre doch viel gerechter als das derzeitige System der Stipendienförderung. Denn gerecht ist es erst dann, wenn die Stipendien wirklich für alle zugänglich sind.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Florian Kaiser, 26, ist Vorstandsmitglied des Freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs).
Mal überspitzt formuliert: Was können die Stiftungen dafür, dass begabte Studenten häufig aus Akademikerfamilien stammen? Ist es nicht Aufgabe der Bildungspolitik, bereits viel früher für gerechte Voraussetzungen zu sorgen?
Die Frage impliziert, dass Akademikerkinder per se leistungsfähiger sind. Das entspricht aber nicht der Realität. Wenn eine alleinerziehende Studentin arbeiten geht, weniger Zeit für ihr Studium hat und deshalb schlechtere Noten hat, dann heißt das ja nicht, dass sie weniger intelligent ist als ihre Kommilitonin aus wohlhabendem Elternhaus, deren einzige Aufgabe ihr Studium ist.
Aber es könnte doch am Bildungssystem unterhalb der Hochschulebene liegen, dass mangels Förderung Schwächerer viele Akademikerkinder im Vergleich besser abschneiden.
Ja, das ist sicherlich ein Faktor, der zu Ungerechtigkeiten führt. Aber es ist eben nur ein Faktor. Natürlich muss die Breitenförderung schon in Kindergärten und Schulen stattfinden, aber danach muss sie weiter bestehen bleiben. Ein Studium ist eine teure Angelegenheit und für Einkommensschwache ganz einfach schwieriger als für Gutsituierte. Ein sinnvoller Anfang wäre da natürlich die Abschaffung der Studiengebühren. Aber auch das würde noch nicht ausreichen.
Was ist noch notwendig?
Neben dem freien Zugang zum Studium muss auch die Finanzierung des Lebens abseits der Uni gewährleistet sein. Dass dies im Moment ganz offensichtlich nicht der Fall ist, hat der Bildungsstreik im Sommer ja erst gezeigt.
Gerhard Teufel, Generalsekretär der Studienstiftung des deutschen Volkes, fordert die Einführung einer „Sozialquote“, um die Stipendienvergabe gerechter zu machen.
Eine Sozialquote behebt das Problem der sozialen Selektion ja nicht, deswegen ist das keine Lösung.
Rein theoretisch würde eine Sozialquote schon dafür sorgen, dass die sozialen Schichten einigermaßen gleichberechtigt mit Stipendien ausgestattet werden.
Dann gäbe es aber immer noch genügend Studentinnen und Studenten, die nicht ihr wahres Leistungspotenzial entfalten können.
Inwiefern?
Wer sein ganzes Potenzial entfalten will, muss sich voll auf das Studium konzentrieren könnten. Nebenjobs, Kinder oder soziales Engagement wirken sich auch dann nicht förderlich auf die Noten aus, wenn es so etwas wie eine Sozialquote gibt.
Was schlägst du also vor?
Wir als Dachverband sehen in einem Stipendiensystem keine Lösung und befürworten stattdessen eine gesellschaftliche Finanzierung - und zwar völlig unabhängig vom reinen Leistungsgedanken.
Text: andreas-glas - Foto: privat