- • Startseite
- • Interview
-
•
Bahnfahren und trotzdem lachen: Der Erfolg von "Senk ju vor träwelling"
Das Buch ist eine herrliche Satire und eine wunderbare Lektüre für (zu) lange Bahnfahrten: Die Journalisten Mark Spörrle und Lutz Schumacher schildern in ihrem Bändchen "Senk ju vor träwelling" die Stationen einer Bahnfahrt. Sie schreiben über die Reisevorbereitungen, die eigentliche Fahrt und die vermeintlichen "geheimen Pläne der Bahn". Die beiden geben aber auch Tipps wie: Eine Sonnenbrille sollten Sie aber auch bei schlechtem Wetter tragen - damit ihre Platzkonkurrenten, wenn Sie das Abteil stürmen, nicht erkennen können, welchen freien Sitz Sie fixieren oder Haben Sie obendrein immer ein paar gut gefälschte Schmuckstücke dabei. Diese können Sie im Notfall bei Leuten, die die Notlage ihrer Mitmenschen schamlos ausnutzen (davon tummeln sich bei der Bahn genug), gegen Nahrung oder eine Mitfahrgelegenheit in einem Auto eintauschen. [b]Herr Spörrle, ich bin am Wochenende auch wieder viel Bahn gefahren und hatte genug Zeit, Ihr Buch zu lesen. Mark Spörrle: Da hat wohl wieder mal nicht alles geklappt wie es sollte ... aber das ist ganz normal!
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Zug ist da. Doch was jetzt? [b]Wahrscheinlich ist es auf das ICE-Unglück zurückzuführen - auf der Rückfahrt vom Ruhrgebiet nach München hatte ich anderthalb Stunden Verspätung.[/b] Unglücke sind die eine – und eine furchtbare – Sache. Im Normalfall ist es aber ja so, dass ein Zug aus völlig unerfindlichen Gründen Verspätung hat. Wissen Sie, was ich für eine Erfahrung gemacht habe? Wenn man unser Buch dabei hat und offen auf den Tisch legt, dann lacht der Zugbegleiter und holt meist noch den zweiten Zugbegleiter. Der lacht dann auch. Der Zug kommt dann seltsamerweise fast immer pünktlich an. Aber das ist natürlich statistisch nicht belegbar ... [b]Wie fahren Sie eigentlich jeden Tag zur Arbeit?[/b] Mit dem ÖPNV natürlich. Wenn es funktioniert, ist es toll. Ich wohne in Hamburg gar nicht weit weg von der Redaktion. Die U-Bahn kommt nicht mehr alle zehn, wie noch letztes Jahr, sondern alle vier Minuten. Auch in Hamburg hat man also mittlerweile langsam gemerkt, dass öffentliche Verkehrsmittel wichtig sind. Die Busse sind hier zwar immer noch grauenhaft überfüllt aber die ÖPNVler wollen es nicht wahrhaben. Wenn man sie darauf anspricht, zählen sie die Fahrgäste bevorzugterweise in den Semesterferien, wenn kein Student Bus fährt. Aber das ist ein anderes Thema. [b]Was war zuerst da - das Buch oder der Titel? Ich stelle mir das so vor: Sie hören mal wieder einem Zugbegleiter bei dem Versuch zu, Englisch zu sprechen und denken: Prima, das ist ja mal ein Buchtitel.[/b] So hätte es sein können, aber zuerst war das Buch da. Mein Mit-Autor und ich sind beide viel mit der Bahn gefahren. Ich habe selber gar kein Auto und wenn es mit der Bahn klappt, ist es sehr entspannend. Manchmal sogar, wenn der Zug unvermittelt stundenlang auf der Strecke stehen bleibt und sich der Anschlusstermin absagen lässt. Dann hat man manchmal zwei bis drei Stunden Lebenszeit gewonnen und kann Dinge tun, zu denen man sonst nie kommt. Über sein Leben eben nachdenken. Ein Buch lesen. Oder eins schreiben.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mark Spörrle (links) und Lutz Schumacher suchen Abfahrtszeiten.
[b]So ist das Buch entstanden?[/b]
Die Entstehungsgeschichte war so: Am Anfang ärgert man sich über all die Verspätungen, den fehlenden Service, die schroffen Zugbegleiter, die unangenehmen Mitfahrer und die Tatsache, dass man im Bistro nie das bekommt, was man eigentlich will. Aber ärgern hilft nichts. Am besten, man nimmt es mit Humor und überlegt sich, wie man die schlimmsten Dinge vermeidet: Niemals umsteigen zum Beispiel, denn sonst ist man verloren. Immer ein paar Liter Wasser dabei haben und einen Notvorrat. Und im Bistro nicht das bestellen, was man möchte, sondern das, was der Servicemitarbeiter einem empfiehlt.
[b]Im Ernst?[/b]
Natürlich, denn das ist das Einzige, was er in die Kasse einbuchen kann und mit dem es keine Probleme gibt; meist handelt es sich um drei, vier Standardgerichte. Wir haben diese Tipps zuerst im Freundeskreis verbreitet - die hatten große Freude. Dann haben wir beschlossen, daraus ein Buch zu machen.
[b]Wie reagiert man bei der Bahn auf das Buch?
Die Bahn ist kürzlich erst gegen eine geplante Lesung mit uns vorgegangen. Die wollte ein Bahnhofsbuchhändler in einer bayerischen Stadt vor 300, 400 Leuten organisieren. Dann aber hat sich die Bahn gemeldet und dem Buchhändler gesagt: "Sie können mit jedem Buch eine Lesung veranstalten, aber nicht mit dem". Darauf hat der Buchhändler die Lesung abgesagt, weil er Repressionen der Bahn fürchtete.
[b]Und es gab auch keine offiziellen Reaktionen von der Bahn?[/b]
Nein, was ich schade finde, denn wir helfen der Bahn ja, indem wir den Fahrgästen wertvolle Tipps geben, um wider Erwarten doch ans Ziel zu kommen. Aus diesem Grund müsste Herr Mehdorn zur Beruhigung und Erheiterung der Reisenden das Buch eigentlich in den Zügen kostenlos verteilen lassen. Statt dessen darf der Verlag aber auch in den Zügen nicht für das Buch werben. Er hat versucht, die Flächen gegenüber den ICE-Toiletten anzumieten, wo sonst immer nur Mittel gegen Harndrang angepriesen werden – umsonst.
[b]Sie haben ganz am Ende die Mail-Adresse für Leser-Anregungen angegeben. Hat sich schon jemand gemeldet?[/b]
Das Postfach ist so voll, dass wir mit dem Antworten und Bedanken gar nicht nachkommen. Die Leser schreiben uns ihre Geschichten. Zum Beispiel hatte angeblich ein Zug fünf Stunden Verspätung, weil der Zugführer dachte, dass jemand auf den Gleisen liegt. Aber es war nur eine Sexpuppe, die jemand weggeworfen hatte. Viele setzen uns auch auf "cc", wenn sie Ärger mit der Bahn hatten und an Herrn Mehdorn persönlich schreiben. Ich weiß nicht, ob die Leute dann schneller Antwort bekommen. Wir hatten noch kein "cc" von Herrn Mehdorn.
***
[i]Senk ju vor träwelling, Verlag Herder, 192 Seiten, 12 Euro[/i]
Text: andreas-ernst - Fotos: ddp; Verlag