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Aufgemerkt: Clemens prägt sich in 15 Minuten 90 Gesichter ein. Rekord!
Andere Jungs spielen mit 16 Jahren Fußball, Basketball oder skaten, du machst Gedächtnissport. Wie kam’s dazu? Durch die Medien. In verschiedenen Sendungen bin ich darauf aufmerksam geworden, dass es Leute gibt, die sich in kurzer Zeit viele Zahlen, Namen und Gesichter merken. Also habe ich ein wenig im Internet recherchiert und bin so auf den Gedächtnissportverein Memory XL gestoßen. Dafür gibt es einen richtigen Sportverein? Ja, und dort hat man mich gleich willkommen geheißen - auch heute bin ich dort noch aktiv. Dass das interessant ist, ist klar - aber wie kamst du dazu, selber Gedächtnissport zu betreiben? Mir fiel es schon immer leicht, mir Sachen zu merken. In der Schule war es zum Beispiel kein Problem, Referate auswendig zu halten. Ich dachte mir, das könnte interessant werden und sinnvoll einsetzbar sein. An Meisterschaften oder so habe ich damals noch nicht gedacht. Das erste Jahr habe ich damit verbracht, in den Gedächtnissport reinzukommen. Ich habe jeden Tag eine Stunde trainiert und das nicht so publik gemacht. Dann habe ich einfach mal bei Regionalmeisterschaften teilgenommen, um zu sehen wie weit ich bin. Dort war ich für den Anfang ganz gut, da hat mich der Ehrgeiz gepackt: Ich habe gemerkt, was alles möglich ist mit dem Gehirn. Hast du dabei eine bestimmte Methode angewendet? Ja. Schon als ich den Gedächtnissport kennen gelernt habe, habe ich mir erste Gedanken gemacht, wie ich mir Sachen leicht merken kann. Ich habe mich über den äußeren Rahmen informiert, welche Disziplinen es im Gedächtnissport gibt, wie die Wettkämpfe ablaufen und wie ich mir Eselsbrücken bauen könnte. Aber das Arbeiten mit diesen Techniken habe ich schnell abgebrochen, weil ich mir dachte: wenn ich das schaffen will, brauche ich meinen eigenen Weg, mir Dinge einzuprägen. Wie funktioniert deine Technik? Als Erstes habe ich mir für die Zahlen eins bis 100 Symbole überlegt. Dabei habe ich immer ein Symbol für eine Zahl genommen, das mir zuerst dafür eingefallen ist - das erste Gefühl ist ein guter Wegweiser. Die 99 ist zum Beispiel eine Angel, die 47 eine Maus. Die Zahlen verbinde ich dann zu einer Geschichte. Wenn ich mir 9947 einprägen soll, dann denke ich an einen Angler, der eine Maus aus dem Wasser zieht. Kommt jetzt noch die 38 hinzu, die für mich eine Aktentasche bedeutet, so hat die Maus eine Aktentasche dabei. Man muss lernen, in Bildern zu denken. Die Bilder sind bei jedem Gedächtnissportler anders: manche sehen einen Film vor sich, andere ein Standbild, einige sehen das Bild in schwarz-weiß, andere in Farbe.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Foto: oh Und mit 100 Zahlen-Symbolen-Verbindungen wird man Gedächtnisweltmeister? Meine Methode verbinde ich mit der Loci-Methode, nach locus, dem lateinischen Wort für Ort oder Raum. Das wenden viele an - dabei gehen sie dann gedanklich durch ihre Wohnung oder einen anderen Ort. Das geht an der Tür los, über den Fußabstreifer, es gibt unendlich viele Stationen. Bei mir sitzt dann zum Beispiel auf der Türklinke der Angler mit der Maus und der Aktentasche. An jeder Station des Ortes liegen verschiedene Zahlenkombinationen - und diese können so zu einer sehr langen Kombination verbunden werden. Es geht beim memorieren also darum, sich Geschichten auszudenken? Ja, die Fantasie ist der einzig limitierende Faktor. Mit 16 Jahren dachte ich noch, die Fantasie für den Gedächtnissport fehlt mir. Aber dann habe ich mich zurückbesonnen, wie Kinder denken, die viel freier sind in ihren Gefühlen und ihrer Fantasie. Es ging darum, das aufzufrischen. Du hast also deine Phantasie trainiert? Ja. Ich weiß noch, am Anfang habe ich mir mit der neuen Technik zehn bis zwölf Ziffern gemerkt, da war ich den ganzen Tag total fröhlich, das war ein Schlüsselerlebnis. Heute kann ich mir in fünf Minuten 300 Ziffern merken. Dass konsequentes Training nötig ist und Fortschritte bringt, habe ich dadurch gelernt, dass ich lange Zeit Radsport und Mittel- und Langstreckenlauf gemacht habe und sogar in Cottbus am Olympiastützpunkt war. Dazu war der Mentalsport außerdem ein guter Ausgleich. Bist du schon an deine Grenzen gestoßen? Nein, eine Wand im Gedächtnis ist noch nicht aufgetaucht. Ich glaube, auch das Alter wird keine Rolle spielen - der WM-Zweite ist zum Beispiel 43 Jahre alt. Wie sieht dein Trainingstag aus? Ich trainiere am Tag 20 bis 30 Minuten, aber die höchst effizient. Dabei arbeite ich relativ wettkampfgetreu, das heißt ich orientiere mich an den Wettkampfdisziplinen. Welche sind das? Zum Beispiel der Kartensprint. Es geht darum, sich die Reihenfolge von 52 Spielkarten möglichst schnell einzuprägen. Oder ich muss mir fünf Minuten lang so viele fiktive historische Daten einprägen wie möglich. In Cambridge, bei der Gedächtnisweltmeisterschaft, habe ich mir zum Beispiel in 60 Minuten 1760 Ziffern eingeprägt. Und warst damit erfolgreich: Du bist im August zum zweiten Mal Gedächtnisweltmeister geworden. Ja, es ist schon ein gutes Gefühl, zu wissen, dass es niemanden gibt, der schneller ist als ich und an Wettkämpfen Teil nimmt. In der Rubrik Namen und Gesichter habe ich einen Weltrekord aufgestellt: Ich habe 90 Gesichter mit ihren Vor- und Nachnamen in 15 Minuten memoriert. Wie läuft so eine Gedächtnisweltmeisterschaft ab? Teilgenommen haben 30 Leute aus zehn Nationen, unter anderem Australien, Afrika und China. Jeder hat einen eigenen Tisch, erhält Memorierblätter, auf denen zum Beispiel 1000 Ziffern, je 40 in einer Zeile stehen. Je nachdem wie viele man schafft, erhält man Punkte. Die Punktzahlen aus allen Disziplinen werden addiert - wer die meisten Punkte hat, wird Weltmeister. Für Zuschauer am interessantesten ist der dritte Tag, da ist die letzte Disziplin, Kartensprint. Da gibt es mehr zu sehen, als wenn wir nur auf unsere Blätter starren und die Leute können mitmachen und schauen, wie weit sie selber kommen. Was gewinnt man bei einer Gedächtnissportweltmeisterschaft? Es gibt einen Pokal, eine Medaille, Sachpreise wie Enzyklopädien und Geldpreise. Verdienst Du mit deinem Gedächtnis auch Geld. Ja, mich hat letztes Jahr Oliver Geisselhardt angesprochen, ein Fachmann auf dem Gebiet Gedächtnistraining, der Schulungen für Manager macht. Für ihn ist es gut, einen Weltmeister im Team zu haben, und für mich ist das ein toller Job. Ab Ende September werde ich jetzt also Seminare für Schüler und Studenten, also für Lernende, halten. Ich werde ihnen beibringen, wie man sich Sachen einfacher merken kann, wie man freier reden lernt, wie man mit Stresssituationen umzugehen lernt und wie man sich besser Vokabeln und Fremdwörter einprägt. In praktischen Übungen werden sie lernen, sich 50 Vokabeln in einer halben Stunde so einzuprägen, dass sie sie morgen auch noch wissen. Was bringt dir dein gutes Gedächtnis im Alltag? Ich habe immer versucht, das auch praktisch einzusetzen. Zum Beispiel konnte ich dadurch die Lernprozesse in der Schule vereinfachen: die Lehrer wollen nur, dass man bis zum nächsten Tag 50 Vokabeln kann. Ob ich dafür fünf Stunden oder fünf Minuten brauche, interessiert niemanden. Aber wenn jemand mir seine Telefonnummer geben will, dann gebe ich sie trotzdem direkt ins Handy ein, und sage nicht, „die kann ich mir jetzt auch so merken“. Wenn ein Zettel da ist, schreibe ich Sachen auf. Aber es gibt eine gewisse Sicherheit, zu wissen, ich kann mir alles auch so merken. In meinem Jurastudium macht zwar das Verstehen, und nicht das Pauken einen großen Teil aus. Aber es ist halt praktisch, wenn man gleich weiß, bei welchem Paragrafen was steht, und nicht immer nachschlagen muss. Und wenn ich zum Beispiel auf einer Party bin, und ein Mädchen, das ich nur einmal kurz getroffen habe, mit dem Namen ansprechen kann und vielleicht auch noch ein Hobby weiß, ist das schon praktisch. Mehr Infos auf der eleganten Homepage www.clemensmayer.com und auf www.memoryxl.de.