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"Ambition ist alles, was zählt" - John Niven weiß, wie man Popstar wird

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Ich zitiere mal kurz: “Nach meinem Examen in den frühen Neunzigern war ich mir über zwei Dinge klar: Erstens: Ich wollte keinen normalen Job. Zweitens: Nach vier Jahren Uni und zwei Jahren als Gitarrist in einer mittellosen Indieband wollte ich Geld verdienen. Ich war gleichermaßen faul und habgierig, also, ohne es zu wissen, prädestiniert für eine Karriere im Musikgeschäft.“ War es wirklich so leicht, da reinzukommen? Für mich war es das. Nach der Uni hat mir ein Freund einen Job bei seinem Indie-Label in Glasgow angeboten – für fast kein Gehalt. Das habe ich so ungefähr ein Jahr lang gemacht und bin dabei auch auf die ganzen Label-Konferenzen, wie MIDEM und Cannes gekommen. Und dort habe ich nach und nach Leute von den größeren Labels kennengelernt. Und dann wurde mir ein Job bei dem Major-Label Polygram angeboten. Und so einfach war das. Manche Dinge passieren einem einfach so. Was hast du genau bei Polygram gemacht? Am Anfang war ich im Marketing, dann wurde ich zum A&R-Manager, dann Senior-Manager. Und was genau macht so ein A&R-Manager? Das ist eigentlich ziemlich einfach. Steven Stelfox (der Protagonist) erklärt das im Buch so: Ein A&R-Manager hört sich Bands und Singer-Songwriter an und entscheidet, wer von denen seiner Meinung nach kommerziell erfolgreich werden könnte. Dann arrangiert er für seine Künstler die Aufnahmen, besorgt einen Produzenten und am Ende kommt eine CD heraus. Und das war es eigentlich. Lustigerweise war das Timing meines Buches ganz gut. Vor fünf bis zehn Jahren hatte noch keiner eine Ahnung, was ein A&R-Manager macht aber durch den wahnsinnigen Erfolg von „Pop Idol“ (das englische DSDS) und Simon Cowell (der englische Dieter Bohlen), hat jeder eine ungefähre Ahnung von dieser Arbeit. Steven sagt im Buch aber auch, dass viele Leute denken, eine A&R-Manager sei so etwas wie ein Talent-Sucher. Aber wonach man in Wahrheit sucht, ist nicht Talent, sondern Ambition. Die macht den Unterschied. Denn da draußen gibt es Tonnenweise großartige Bands. Aber wer von denen wäre bereit, nach Amerika zu gehen und eine 60-tägige Presse-Tour zu absolvieren? Um so etwas zu tun und dabei auch noch erfolgreich zu werden, muss man komplett manisch sein. Denn es bedarf eines unbeschreiblichen Aufwand an Arbeit. Wer berühmt werden will, muss im Grunde genommen nicht ganz richtig im Kopf sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bild: Matthew Donaldson In dem Buch erwähnst du als Beispiel für diese überambitionierten Popstars die „Spice Girls“.. Ambition ist alles, was zählt. Nichts sonst. Kein Talent. Diese Leute würden modeln, schauspielern, singen, ganz egal, Hauptsache, sie werden berühmt. In den Neunzigern war diese Erkenntnis noch einigermaßen ungewöhnlich, aber heute definiert das Berühmt werden wollen geradezu unsere Kultur – vor allem in England. Ich habe neulich in den Nachrichten eine Ansammlung von 10 000 Menschen gesehen und dachte: Hilfe, ist da ein Erdbeben gewesen? Aber das waren nur der Vorsing-Termin für die nächste „Pop Idol“-Staffel – in einer Stadt haben sich dafür 10 000 Menschen beworben. Und was für welche: Mutanten, unerzogene Typen und die sagen dann: „Ich werde jetzt berühmt.“ Und du denkst nur: Herr im Himmel! Was denkt ihr eigentlich, wer ihr seid? Jeder will berühmt sein, und der eine oder andere ist dann vielleicht sieben Minuten lang Madonna, verdient hunderttausend Pfund – die er natürlich auch sofort wieder ausgibt. Und nach den sieben Minuten endet er dann wieder in seinem alten, arbeitslosen Leben. Du selbst kamst selbst aus einer Indie-Kultur, hast in einer Band gespielt. War es schwer für dich, auf einmal für ein Major-Label zu arbeiten und Musik für die Massen auszuwählen? Das war ein wirklich schockierender Prozess. Ich komme aus einer Szene, in der man sich ernsthaft für Musik interessiert hat, für Künstler. Und dann kommt man zu dem Major-Label und hört Platten, bei denen man denkt: „Was ist das denn bitte für ein stinkendes Stück Scheiße, das ich da gerade höre und wer sind diese spastischen Klone, die die Band darstellen?“ Und das wird dann ein Nummer-Eins-Hit. Aber wenn man einige Zeit dort gearbeitet hat, dann wird man selbst zu so einem zynischen Menschen und funktioniert einfach in diesem Betrieb. Als ich 2001 nach zehn Jahren aufgehört habe, in der Musikindustrie zu arbeiten, habe ich erst einmal eine Weile gebraucht, um da wieder runterzukommen. Auch „Kill your friends“ habe ich erst nach vier Jahren geschrieben, nachdem ich all meine Erlebnisse verarbeitet hatte. Hätte ich das Buch gleich geschrieben, wäre die Perspektive ganz anders gewesen. Dann wäre es vielleicht aus der Perspektive dieses netten, normalen Typen geschildert, der den ganzen Irrsinn und Horror sieht und auch erkennt. Aber es macht sehr viel mehr Spaße, aus der Perspetive des totalen Irren zu schreiben, der von allen der Schlimmste ist und sich kein bisschen für seine Taten und Ansichten entschuldigt. Stelfox ist ja der Meinung, dass er in allem vollkommen recht hat. Viele träumen immer noch von einem Job in der Musikindustrie. Was würdest du denen raten? (Lacht) Es gibt auch in der Musikindustrie Leute und Labels, die das machen, was ihnen gefällt und die Bands unter Vertrag nehmen, an die sie glauben – und die damit auch erfolgreich sind. Aber die Kultur eines Major-Labels funktioniert ganz anders: Da wird ein Act nicht unter Vertrag genommen, weil er einem gefällt, sondern man sucht die Acts aus, von denen man meint, sie könnten dem Markt gefallen. Und da kommen dann jede Menge Mist-Platten heraus. Ich denke, es gibt zwei Wege, wie man im Musikgeschäft weiter kommt: Entweder du bist wirklich verrückt nach Musik und willst das mehr als alles andere. Oder du willst wirklich, wirklich reich werden – dann kannst es auch zu etwas bringen. Ich denke, die Leute in der Mitte, die von beidem etwas wollen sind die, die in der Industrie untergehen. Jetzt bist du Schriftsteller. Gibt es etwas, das du aus deinem alten Beruf vermisst? Ach, die kleinen, praktischen Dinge. Ich hatte einen unglaublichen Lifestyle damals. Jemand hat sich um meine Steuern und Versicherungs-Angelegenheiten gekümmert und wenn ich den Firmenwagen gegen eine Mauer gesetzt habe, dann hat mir jemand den Schlüssel für ein neues Auto in die Hand gedrückt. Jetzt muss ich mich mit der Welt auseinandersetzen und so nervige Dinge machen, wie Steuern zahlen und in der Schlange am Postamt stehen. Daran musste ich mich schon gewöhnen. Ist es im Business noch so, wie in den 90er-Jahren? Nein, das waren wirklich die letzten großen Tage des Musikbusiness. Eine neue CD hat 1995 ungefähr 15 Pfund gekostet, das wären heute umgerechnet 45 Euro. Und dem Künstler haben wir davon höchstens ein Pfund gezahlt. Der Profit damals war unglaublich hoch. Heute ist das viel weniger. Wir haben das ganze Geld verdient und dementsprechend gelebt. Leute in meinem Alter, die das Buch gelesen habe, sagen: „O Mann, das erinnert mich an die guten alten Tage“ und die jüngeren Leser sagen eher: „Verdammt, warum habe ich all das nur verpasst?“ Heute hat man auf Partys ein paar Käsekräcker und ein Wasser und damals haben die Leute den Champagner Flaschenweise gesoffen. Du meinst also, wir sollten dem Klagen der Musikindustrie Glauben schenken, wenn sie sich über illegale Downloads beschweren und sich so haben, als würden sie in den letzten Zügen liegen? Naja, ich hätte jedenfalls nicht allzu viel Mitleid. Wenn du hundert Jahre lang eine Sklavenplantage besessen hast und dann sind auf einmal die Sklaven befreit und du beschwerst dich darüber, dass du keine Sklaven mehr hast. Dann bist du immer noch ein Sklavenhalter, du Ficker. Man sollte die Musikindustrie nicht bemitleiden. Und außerdem werden die das mit Sicherheit hinkriegen. Die werden einen Weg finden, wie sie auch mit und trotz Internet und Downloads Geld verdienen. Natürlich kannst du nicht ausschließen, dass illegale Downloads stattfinden, aber es wird bestimmt schwerer. In den 1950er Jahren hat die Industrie ihr Geld nur damit verdient, dass sie Noten verkaufte. Und als dann das Rock’n’Roll-Radio daherkam und die ganzen Songs im Radio gespielt wurden, haben sie gejammert und gestöhnt. „Wo holen wir uns das Geld?“ Damals haben sie auch bis in die 60er-Jahre hinein gebraucht, um einen Weg zu finden, anders Geld zu verdienen. Denken viele Menschen, du wärst der gewissenlose, durchgeknallte Steven Stelfox? Ja schon. Erstaunlich viele Leute denken das und das hat mich schon schockiert, weil ja eigentlich völlig klar ist, dass Stelfox ein totaler Irrer ist und was er tut, ist total schrecklich. Und ich sage ja nicht, dass man sein Leben so leben soll. Im Gegenteil: So sollte man garantiert nicht leben. Dieses Buch ist eine sehr akkurate Wiedergabe meiner Erfahrungen im Musibusiness dieser Jahre. Und viele Leute, die dort arbeiten, sagen mir auch, dass es das Realistischste ist, was sie über die Industrie je gelesen haben. Haben sich Leute wiedererkannt in dem Buch? Einige. Ein Charakter basiert auf einem sehr guten Freund von mir, John, der Anwalt ist. Aber er ist einer meiner besten Freunde und hat es gut genommen. Er meinte nur „Du verdammter Bastard“. Stelfox dagegen basiert auf drei ehemaligen Kollegen von mir, es ist eine Mischung aus diesen Leuten und einer von denen weiß es und findet es auch ziemlich schmeichelhaft. Eher schlimm dagegen fand ich, dass es auch einige Leute gibt, die behaupten, sie seien das Vorbild. Die wollen geradezu, dass Stelfox ihr Wiedergänger ist. Herrgott, wer WILL denn bitte schon Stelfox sein? „Kill your Friends“ von John Niven ist bei Heyne erschienen und kostet 12 Euro Am Donnerstag, 8. Mail liest John Niven open air auf der Dachterrasse des Museum Ludwig. Einlass ab 20 Uhr, Beginn um 21 Uhr. Eintritt 8 Euro (kein Vorverkauf, nur Abendkasse)

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