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Alte Heftchen, neues Gesicht

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Welche Erinnerung verknüpft sich bei Ihnen mit Reclam-Büchern?  
Friedrich Forssman: Reclamhefte waren schon in meiner Kindheit wichtig – ich war schon früh das, was man eine Leseratte nennt. Soweit ich mich an mich als an einen lesenden Menschen erinnere, hatte ich immer ein oder zwei Reclamhefte dabei. So ab 15 trug ich, als kleiner Snob, Sakkos, und da passen die ja wunderbar in die Innentasche. Natürlich war es auch fein, in den Antiquariaten alle möglichen Texte für eine Mark zu bekommen. Für mich verbindet sich gar nicht irgendein Schulelend mit diesen wunderbaren Büchlein, zumal ich den Deutschunterricht auch immer gerne mochte.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Der Schrift-Gelehrte Friedrich Forssman

Wer nicht so gern in den Deutschunterricht geht, stößt sich gerne mal an den dünnen Seiten und der kleinen Schrift.  
Dünne Seiten finde ich schön, zumal bei guter, registerhaltiger Typographie. Und kleine Schrift ist eben unvermeidlich bei kompaktesten Büchlein. Da für mich jetzt, mit 46, die Zeit der Lesebrille beginnt, habe ich in eigenem Interesse bei der UB-Neugestaltung die Schrift etwas größer und besser lesbar gemacht. Alles, was von jetzt an neu gesetzt wird, führt durch neue Satzspiegelproportionen, eine neue Schrift und die Typographie dazu, daß man denkt, es wäre nur noch der halbe Text auf einer Seite, tatsächlich sind es aber nur etwa zehn Prozent weniger. Die wunderbare »Documenta« des Niederländers Frank E. Blokland hat eben auch eine sehr gute Zeilenbildung und ist auch dadurch in kleinen Größen bestens lesbar. 

 Wie heißt denn die alte Reclam-Schrift?             
 Das ist die Stempel Garamond, natürlich auch eine bestens eingeführte Schrift, deren Formen aber im eher schmalen Blocksatz oft zu unvermeidlichen weiten Wortabständen und dann dazu führen, dass man beim Lesen die Zeile verliert.  

Wie geht man mit dem Auftrag um, so etwas Ikonisches wie das Design der Reclam-Heftchen zu verändern? 
 Es ist ein Auftrag, den ich selbst herbeigeführt habe, weil mir aufgefallen ist, dass die Vorgängergestaltung aus dem Jahr 1988 ihre Zeit gehabt hat. Bei der Universal-Bibliothek von Reclam gibt es schon seit dem frühen 20. Jahrhundert einen ungefähren Zwanzig-Jahre-Neugestaltungs-Zyklus. Die UB wurde dabei in ihrem Design nie verwässert, wie das anderen Reihen passiert ist, sondern immer bewusst neu gestaltet, gelegentlich auch radikal. Da ich den Verlag liebe, habe ich auf den zwei Buchmessen jahrelang den Verlagsleiter Frank Max behelligt und ihm immer wieder gesagt, dass es Zeit für eine Neugestaltung ist, und dass ich das gern machen möchte. Erst hat er mir anderen Aufträge gegeben, aber von da an wusste ich, daß irgendwann auch die UB dran sein würde. Was das Ikonische angeht – die Heftchen sind ja erst seit den 70er Jahren gelb, davor waren sie rotbräunlich oder chamoixfarben. Das Ikonische steckt eben auch im kleinen Format und dem bescheidenen Auftreten, mit gut redigierten Texten und ausgezeichneten Nachworten. Insgesamt war es eine Aufgabe, an die man, wie an andere auch, mit Selbstherrlichkeit und Selbstzweifeln herangeht, dabei nach Kräften mit System und Vernunft – und zwar, ganz wichtig, zusammen mit dem Kunden – das ist der Hauptunterschied des Gestalter- zum Künstlersein: Man kann (und muss, und will) jederzeit über jeden Schritt Rechnung ablegen.  

Unter welchen Prämissen stand die Veränderung?             
Vom Verlag gabe es kein »Briefing«, sondern das Vertrauen, dass wir ohnehin die gleichen Grundvorstellungen haben. Ich wollte mit der Gestaltung die Leselust steigern, und zwar, wie immer bei meiner Arbeit, möglichst unauffällig, so dass der Leser womöglich erst beim Nebeneinanderlegen von alter und neuer Ausgabe die Unterschiede bemerkt. Das Auffälligste ist natürlich der Einband: Mir war aufgefallen, dass dort durch die vollflächige Bedruckung eine Farbe verschenkt wird, nämlich das Papierweiß. Dazu mag ich es gerne, wenn Bücher Schildchen auf dem Einband haben, und ich hielt dieses Element hier für geeignet, die Buchigkeit der kleinen Hefte zu verstärken. Die ikonisch-logoartige Kombination aus dem schwarzem Balken mit dem darunterstehenden Verlagsnamen ist geblieben; der Balken begrenzt nun unten das Schildchen und ist nicht mehr seitlich angeschnitten.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Dieses Gelb, ist das ein patentiertes Reclamgelb?              
Nein, es sind verschiedene Gelbs. 1970 wurde unter Alfred Finsterer ein zitroniges Gelb für die Hauptreihe eingeführt, die anderen Reihen bekamen andere zeittypisch-bunte Farben. Hans Peter und Brigitte Willberg haben 1988 eine deutlich trübere Farbpalette zusammengestellt, die natürlich auch schön war, aber zur Neugestaltung nicht mehr passen wollte. Ich kenne mich mit dem Schwarzweiß der Typographie besser aus als mit Farbe und habe deswegen bei der Neugestaltung meine Frau Cornelia Feyll eingeschaltet, die ist Textildesignerin und hat in Farbdingen immer Recht. Sie hat festgestellt, dass sich aus ungemischten HKS-Farben eine schöne, frische Palette samt strahlendem Gelb zusammenstellen ließ, die zum neuen Entwurf perfekt passt. Wir waren dann gemeinsam an der Andruckmaschine und haben mit dem Drucker und dem Verlagsleiter die Farbmengen für alle Farben genau bestimmt.    

Wie beschäftigt man sich als Buchgestalter eigentlich mit dem Thema E-Book?  
Das finde ich schwierig. Der Kindle wird ja derzeit auf ganzseitigen Anzeigen beworben; man sieht sogar auf der abgebildeten »Buch«-Seite, dass es keine Trennungen gibt – unmöglich bei Blocksatz –, und wenn Zeilen gar zu löchrig wären, stehen sie eben einzeln linksbündig und sehen aus wie Absätze. Ein guter Umbruch wird diesen Geräten nie beizubringen sein. Was mich aber viel mehr beschäftigt: Der Kern der Erfindung Gutenbergs war die identische Vervielfältigung. Durch Auflage und Verteilung wird ein Text so in die Welt gebracht, daß er unzerstörbar ist. Das E-Book betreibt Verrat an dieser Grundidee. Datenformate sind in einigen Jahren nicht mehr lesbar, man streamt womöglich irgendeine Metadatei aus dem Internet, die leicht zensierbar ist, der man nicht ansieht, welche Fassung davon man gerade liest. Die Texte sind nicht mehr gesichert. Außerdem finde ich die Abbildung der Lesebiographie im Bücherregal unverzichtbar. Nächster Punkt: Die intuitive Orientierung im Regal und im Buch sind im E-Book gestört. Es gibt kein Gefühl für das Buch-Individuum, für Umfang und Vorankommen im Text. Einband-Abbildungen, Rollbalken und so Kram sind untaugliche Simulationen.
Kein Mensch, den ich kenne, hat Probleme, an Information zu kommen, aber jeder hat Probleme, an jene Kontemplation zu kommen, die doch so unerläßlich ist für das wertvolle »tiefe Lesen«. Für mich also keine E-Reader, und zwar nicht aus verstaubten Protest, sondern weil mir der Preis zu hoch ist, den ich für die scheinbare Bequemlichkeit bezahle.

Text: max-scharnigg - Foto: Cornelia Feyll

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