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Rauboys und Indieaner. Heute mit Ben Folds, Kaiser Chiefs, Viktoriapark und Lambchop

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Kaiser Chiefs – Off With Their Heads Hm, auf die Kaiser Chiefs hätte ich letztes Jahr keinen Cent mehr gewettet. Zu bombastiös war ihr Durchpreschen mit dem Debüt 2005 und „Predict A Riot“ auf allen Kanälen. Folgerichtig geriet das nachgeschobene zweite Werk auch zu einem hohlen Gekloppe inkl. der Offenbarungseid-Hitsingle „Ruby“, die nichts anderes war als billiges Crack für Antenne-Bayern-Hörer. Jetzt legen sie also schon wieder nach und wären eigentlich nicht mehr in die engere Auswahl gekommen, wenn, nun ja, wenn dieses dritte Album nicht so seltsam gut wäre. Im Grunde klingt es wie das Debütalbum, das die Kaiser Chiefs wg. Instant-Erfolg ihrer Single-Brecher nie gemacht haben. Ihr Hitverständnis und das Wissen um die richtige Hookline zelebrieren sie in jedem Song, aber ohne dabei die großen Pauken rauszuholen. Es geht irgendwie lässiger zu und das Ganze fügt sich viel harmonischer in die britische Popgeschichte ein. Kaiser Chiefs klingen jetzt an manchen Stellen exakt wie Blur oder noch öfter wie Supergrass - und verbreiten die gleiche gute Laune. Freilich mag das immer noch ein bisschen Maskerade sein und von pophistorischer Relevanz sind sie immer noch weit entfernt. Aber was schert einen das, wenn eine Platte im Player ist, die von vorne bis hinten auf den Punkt funktioniert und im besten Sinne unterhält? Endlich wieder ein Musikvideo mit Tiermasken - das eher schlappe "Never Miss A Beat":

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Viktoriapark – Was ist schon 1 Jahr? Ich mag ja, wenn Sachen genau das sind, wonach sie aussehen bzw. klingen. Dieses Duo Viktoriapark, kommt aus Berlin, ist ein Mann und eine Frau, die Platte kommt in einem aufwändigen Cover mit vielen Bildchen, die nach arbeitslosem Grafikdesignbüro aussehen. Alles furchtbar nett und niedlich! Und die Musik? Auch genau das, was man von denen im Erinnerungsohr hat, von irgendeinem Berlin-Sampler: Furchtbar netter Großstadtpop, mit Mädchen- und Jungsgesang, ziemlich guten deutschen Texten aus der Welt der vagen Befindlichkeit, Gitarren, irgendwo zwischen Virginia Jetzt! und Klee. Bei allen Schmalznäpfchen, in die man mit diesem Programm tappen kann, bewähren sich Viktoriapark ganz gut. Weder kriegt man nach dem vierten Lied einen Zuckerschock, noch animieren die Lyrics übermäßig zum Fremdschämen. Das passt schon, also. Gleichzeitig habe ich das starke Gefühl, dass diese Form von Musik, dieses kleingefühlige Barfuss-Filzpoppige gerade überhaupt keine Lobby hat. Und irgendwie ist das auch gut so. Schade nur, dass eine grundsätzlich sympathische Formation wie Viktoriapark deswegen momentan nicht recht in Betracht kommt. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Pelle Carlberg - The Lilac Time Ein schwedischer Liedermacher, bei dem es mir vorkommt, als hätte ich schon 40 seiner Platten rezensiert und empfohlen. Es ist jetzt aber erst die Dritte. Wir können es ziemlich kurz machen. Wer Belle&Sebastian (denen er im ersten Lied seine Referenz erweist), Kings Of Convenience, Gentle Waves etc. mag, der wird von Pelle Carlberg auch diesmal wieder aufs Beste versorgt. Astreiner, gefühliger Melancho-Pop, gut abgehangen, mit Mundharmonika und zweistimmigem Gesang manchmal, ruhig und geradeaus. Dazu immer noch dieses typische schwedische Gefühl für die richtige Länge und die Ausgewogenheit aller Komponenten und ganz wichtig: viel Mitklatsch-Appeal. Es fällt mir schwer, mir Situationen vorzustellen, in denen diese Musik jemals nicht passen sollte. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass einem nach einem Monat Rotation auf dem iPod die Überharmonie auch auf den Geist geht. Aber jetzt so vor Weihnachten – ziemlich ideal. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ben Folds - Way To Normal Ben Folds ist ja so eine Art Elton John für Bionade-Trinker. Nachdem er in den Neunzigern noch mit Band als Ben Folds Five ziemlich energischen Piano-Indierock verbreitete, hat er sich solo zum eher scheuen Mann am schnellen Klavier gewandelt, der mit markanter Stimme seine Geschichten erzählt. Nach dem gefeierten Soloeinstand „Rockin The Suburbs“ von 2001 folgten Live-Alben, einige EP’s, 2005 das Album "Songs for The Silverman", dann EP-Zusammenfassungen und Kollaborationen, auch das fantastische Dr.Dre-Cover „Bitches ain’t Shit“ und und jetzt eben, endlich, neu und wieder konzentriert Ben Folds pur. Das hätte man fast nicht mehr zu hoffen gewagt. Was macht er also draus? Zum einen Großes aus dem Balladenfach, wie das herrliche „Cologne“ oder „Kyle from Connecticut“. Er bleibt aber nicht beim feinsinnigen Geklimper und es gibt Tendenzen in mir, die das bedauern. Folds kann doch das Ruhige so gut und ein trauriges Klavier ist immer noch das beste Instrument der Welt. Ben Folds beim Auftritt in Bochum, mit dem feinen "Kylie From Connecticut":

Er will aber zwischendrin immer wieder durchknallen, lässt die Ride-Becken scheppern, experimentiert mit Synthie-Gebritzel („Free Coffee“) und lässt sich ein bisschen gehen. Dass dahinter dann doch meistens eine gute Idee steht, ist versöhnlich, trotzdem wirkt die Platte als Gesamtwerk etwas unhomogen und schwierig. Was sie nicht ist, sie tut nur so. In Wirklichkeit ist da der strubbelige Melodienmeister, der sein Ding macht und es ist gut. Hat Köln so ein schönes Lied verdient? "Cologne":

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lampchop - OH Traditionell sind Lambchop-Alben Schwergewichte. Man braucht Zeit, um sie zu überblicken und dann noch mal, bis sie sich im Herzen so breit gemacht haben, dass man ahnt: Sollten sie es je wieder verlassen, wird das Herz ausgeleiert und leer sein. Deswegen erst jetzt ein paar Worte zu dieser erfreulichen Platte. Das große Lambchop-Phänomen ist ja, dass einen nach den vielen Jahren und Alben, die Brüchigkeit von Kurt Wagners Stimme doch immer wieder in neuer Unmittelbarkeit erwischt. Wenn sie sich nahezu tonlos aus den Orchester-Instrumenten hervorschält, rau und reibig, wie sie dann später mit ein bisschen mehr Luft anklagt und treibt, das gehört zum feinsten Schauer, den zeitgenössische Musik heute auslösen kann. Im Vergleich zum letzten Werk „Damaged“, auf dem Wagner mal weiter ausschritt und ausprobierte und nicht ganz eine eherne Linie fand, führt diesmal wieder alles ziemlich geradlinig ins edle Dunkel. Gelegentlich wird der große Mann dabei von einer zarten Frauenstimme begleitet, was ungemein schmückt. Die meiste Zeit aber wirkt es als hätte er sich absichtlich zurückgeworfen, die Instrumentierung seiner vielen Musiker sehr ausgewählt und reduziert eingesetzt, die Momente gelassen, in denen gleichzeitig viel und ganz wenig passiert. Der stillen Highlights sind „Of Raymond“, wo zarte Bläsersätze Wagners unsentimentale Selbsteinschätzung umranken oder das schlichte „Slipped Dissolved And Loosed“, das man bei nächtlichen Busfahrten auf Repeat stellen muss. Eine schöne, tiefe Platte zum Versinken. Und wenn iTunes als Musikrichtung „Unclassifiable“ anzeigt, dann wirkt das in diesem Fall wie eine rücksichtsvolle Verbeugung vor einer der ganz großen Alternative-Bands, die wir noch haben.

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