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Wahl im kotelettförmigen Land: Wird der Mann aus Ybbs Österreichs Kanzler?
Was sind das für Schuhe? Schwarze Herrenschuhe. Die Marke lässt sich allenfalls erahnen, spielt aber keine Rolle: Politikerschuhe sind das. Und zwar nicht die mokkabraunen Designerlatschen eines Guido Westerwelle oder die Mailänder Maßschuhe eines Gerhard Schröder, sondern – frisch gekauft, auf Hochglanz gewienert und von Hand geschnürt – ganz normale Anzugschuhe.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Hoffnung der SPÖ: Alfred Gusenbauer nach dem TV-Duell. Wo kommen diese Schuhe her? Aus einem Wiener Schuhgeschäft. Ursprünglich kommt ihr Träger aber aus einem Dorf in Niederösterreich, genauer: aus Ybbs an der Donau. Dort lieferte der junge Alfred Gusenbauer mit dem Fahrrad den Salat der Oma aus. Dabei trug er womöglich abgewetzte Sandalen. Seine Eltern waren Arbeiter und hatten nicht viel Geld. Ende der Siebzigerjahre ging er zum Studieren nach Wien – Jura, Philosophie und Politik. Nebenher engagierte er sich als Friedensaktivist in der sozialistischen Jugend, wurde deren Vorsitzender und reiste demonstrativ nach Nicaragua, um bei der Kaffeeernte zu helfen. In der Zeit zwischen 1984 und 1989 erfolgte der Wechsel von Ökoturnschuhen zum ersten Paar Herrenschuhe. Denn 1989 war Gusenbauer ein international anerkannter Politiker: Mit 29 Jahren wurde er Vizepräsident der Sozialistischen Internationale – dem Zusammenschluss von sozialistischen Parteien aus verschiedenen Ländern. Zur selben Zeit war Willy Brandt deren Präsident. Seit 1993 sitzt Alfred Gusenbauer im Nationalrat. So heißt der Bundestag in Österreich. Als er 2000 zum Parteivorsitzenden der SPÖ gewählt wird, verhöhnt ihn das politische Gegenlager, nennt ihn „Gruselbauer“. Sein Problem ist bis heute das Image: Er gilt als altmodisch, schwerfällig und uncharismatisch. Trotzdem hat die SPÖ seit seinem Amtsantritt in allen Wahlen zusätzliche Mandate gewonnen. Wo gehen diese Schuhe hin? Wenn es nach Alfred Gusenbauer geht: auf den Platz des österreichischen Bundeskanzlers. Am Sonntag tritt er als größter Konkurrent von Kanzler Wolfgang Schüssel zur Nationalratswahl an. Schüssel leitet die ÖVP, das große christlich-konservative Lager. Im Februar 2000 wurde er Kanzler. Koalitionspartner war die FPÖ, eine rechtspopulistische Partei unter Führung Jörg Haiders und zweitstärkste Partei bei den Wahlen 1999. Nach parteiinternen Streitigkeiten kam es 2005 zur Spaltung der FPÖ, Haider und einige andere FPÖ-Politiker gründeten das „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ), das sie als Nachfolgepartei der FPÖ bezeichnen. Das BZÖ wurde, ohne je bei einer Wahl angetreten zu sein, an der Regierung beteiligt, die FPÖ war forthin in der Opposition.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Spitzenkandidaten der größten Parteien (v. l.): Wolfgang Schüssel (ÖVP), Alfred Gusenbauer (SPÖ), Heinz-Christian Strache (FPÖ), Alexander Van der Bellen (Grüne). (Fotos: ap) Im Wahlkampf 2006 fordert Gusenbauers SPÖ vor allem die Rücknahme von umstrittenen Maßnahmen der Regierung Schüssel: Die Pensionsreform, die Einführung von Studiengebühren und die Abschaffung des Frauenministeriums haben in den letzten Jahren heftigen Protest ausgelöst. Seit 2000 ist die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich um 48 Prozent gestiegen. Schüssel wehrt sich mit dem Einwand, die Akademikerquote sei gestiegen und die Studiengebühren hätten die Studienzeit verkürzt. Der Ausgang der Wahl ist schwer einzuschätzen: Lange hat Gusenbauer in Meinungsumfragen geführt. Im März löste aber eine Bankaffäre um den Österreichischen Gewerkschaftsbund Streitigkeiten innerhalb der SPÖ aus. Seither führt die ÖVP die Umfragen an. Um trotzdem eine weitere ÖVP-geführte Regierung zu verhindern, hat die SPÖ vor vier Wochen ein Wahlbündnis mit dem „Liberalen Forum“ geschlossen. Die Liberalen treten selbst nicht zu der Wahl an, sondern sprechen Wahlempfehlungen für die SPÖ aus. Für die SPÖ gibt es drei mögliche Koalitionspartner: Einer davon sind die Grünen, die nach neuesten Umfragen um die zehn Prozent der Stimmen erhalten werden. Auch eine Rot-Grün-Weiße Koalitionsregierung ist möglich. Weiß steht für die Protestwählerpartei „Liste Dr. Martin“, die aber an der Vier-Prozent-Hürde scheitern könnte. Eine große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP wäre für Alfred Gusenbauer die dritte Möglichkeit, Österreichischer Bundeskanzler zu werden. Ob ein Kanzler Gusenbauer die Studiengebühren abschaffen, die Pensionen erhöhen und die Arbeitslosigkeit senken wird, muss man abwarten. Aber bei seiner Vereidigung zum Bundeskanzler wird er ganz normale Anzugschuhe tragen.