Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Sechs Geschichten von Frühaufstehern und Langschläfern

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was das Aufstehen angeht, so leide ich an einem sonst nicht besonders ausgeprägten Hang zur protestantischen Pflichterfüllung. Obwohl ich das Bett für den perfekten Urlaub und einzig tauglichen Universalschutz gegen das Leben halte, werde ich unruhig, wenn ich zu lange darin liege. Länger als halb elf habe ich zum Beispiel noch nie geschlafen. Unter der Woche steht mein Wecker auf 7.30 Uhr, obwohl ich erst um 8.40 Uhr aufstehen müsste. Das Protestantische ist, dass ich immer schon um 7.15 Uhr aufwache und den Wecker ausmache, seine Batterie hält ewig, weil er nie klingeln muss. Im Sommer stehe ich dann gleich auf und schreibe mit dem beginnenden Tag um die Wette, das ist eigentlich ganz schön und ich kann mich besser konzentrieren. Abends zum Beispiel, wenn der ganze Tag schon so verbraucht und abgenutzt ist, kann ich gar nicht schreiben. Im Winter komme ich jedoch nicht an den Schreibtisch, zu kalt, zu dunkel. Ich bleibe stattdessen wach, aber gelähmt im Bett liegen, eine ganze Stunde lang und starre im Zimmer herum. Anfangs fand ich das ziemlich töricht, weder zu schlafen noch irgendwas zu machen, aber mittlerweile habe ich es als eine Art Meditationsübung anerkannt. Ich gehe in dieser sehr ruhigen Zwischenstunde alles durch, was so anliegt, an diesem Tag, in diesem Winter, in diesem Leben. Ich fasse 95 Vorsätze und erstelle Dringlichkeitslisten und Notfallpläne, formuliere zu schreibende E-Mails aus und kalkuliere Kontostände. Nach einer Stunde ist es, als hätte ich alle diese Sachen irgendwie einsortiert und ich gehe mit einem angenehmen freien Kopf duschen – eben so, als wäre ich gerade erst aufgestanden. max-scharnigg


Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Morgen für Morgen läutet die immer gleiche Handymelodie einen neuen Tag in meinem Leben ein. Anstatt voller Tatendrang aus den Federn zu springen, stelle ich den Wecker gerne noch einige Male nach. Drehe mich von einer Seite auf die andere und mache die Augen noch einmal kurz zu. Jede Minute länger im schönen warmen Bett erscheint mir Gold wert zu sein. Seit zwei Jahren zwingt mich der Arbeitsalltag zum frühen Aufstehen, daran gewöhnt habe mich immer noch nicht. Stattdessen schäle ich mich in Zeitlupe aus der Bettdecke und öffne auf dem Weg zum Badezimmer reflexartig die Balkontüre für ein wenig frische Luft. Dort angekommen helfen dann laute Musik und kaltes Wasser, mich langsam in die Gänge zu bringen. In dieser Phase des Tages beantworte ich auch nur höchst ungern irgendwelche Fragen. Umso mehr hat sich dafür meine kleine Mitbewohnerin Laila, eine zierliche getigerte Katze auf den Rhythmus eingestellt. Bereits vor dem Wecker wird sie aktiv. Sie ist leider schon derart auf 8:00 Uhr geprägt, dass sie nicht zwischen Werktagen und Wochenende unterscheidet. Ich fühle mich leider ein bisschen wie im unten stehenden Video. Aber wer weiß, vielleicht macht sie mich ja noch zu einer überzeugten Frühaufsteherin.

alice-peterhaensel


Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mein Opa stand jeden Tag um fünf Uhr auf. Eine lange Zeit seines Lebens musste er das. Um sieben Uhr begann seine Arbeit und davor lag eine einstündige Zugfahrt. Später, als er längst in Rente war, tat er es freiwillig. Wobei freiwillig das falsche Wort ist. Das klingt, als hätte er etwas Unangenehmes irgendwie doch gerne getan. Für ihn war das Aufstehen im Dunklen aber nichts Schlimmes, es war einfach normal. Mein Vater steht täglich gegen sechs Uhr auf. Früher, sagt er, hätte er auch gerne bis mittags geschlafen, aber heute fühle er sich so am wohlsten. Ich schlafe täglich mindestens acht Stunden, meistens aber neun und manchmal zehn. Ich weiß, dass das viel ist, aber darüber mache ich mir keine Gedanken mehr. Napoleon schlief angeblich nur vier Stunden, aber Goethe 12 bis 14. Ich hätte auch gar nichts dagegen, früh aufzustehen. Ich mag Sonnenaufgänge wirklich gerne. Vor allem, wenn ich nicht nach zuviel Bier und Zigaretten rieche. Doch bisher kann ich die Sonnenaufgänge, die ich nicht nüchtern erlebt habe, an zwei oder vielleicht vier Händen abzählen. Das wird wohl so bleiben, bis ich 40 bin. Dann soll man ja weniger Schlaf brauchen. Damit ich heute früh aufstehe und genügend Schlafe bekomme, müsste ich zwischen 20 Uhr und 22 Uhr ins Bett gehen. Das klappt nicht. philipp-mattheis


Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn ich morgens im Büro ankomme haben ich meist schon eine E-Mail von meinem Freund im Postfach. Das wäre nicht so ungewöhnlich, würden wir nicht in der gleichen Wohnung wohnen und uns täglich sehen. Es liegt auch nicht daran, dass wir Sprechen für antiquiert halten. Wir haben einfach nur sehr unterschiedliche Schlafbedürfnisse. Während für mich Schlafen das Allertollste auf der ganzen Welt ist, hält er es für das Allerlangweiligste auf der Welt. Ich liege also noch im Bett, während er schon stundenlang alles mögliche tut und denkt. Und weil ich noch nicht verfügbar bin, das morgendliche Zeitfenster, in dem ich gleichzeitig wach und zuhause bin, aber sehr klein ist, muss er mir eben aufschreiben, was er am frühen Morgen schon erlebt hat und was er mir unbedingt noch sagen wollte. Weil er aber nicht nur sehr früh aufstehen, sondern auch gut rechnen kann, hat er mir vor ein paar Tagen beim Frühstück vorgerechnet, wie viel Zeit mir über die Jahre durch meine Langschläferei abhanden kommt. Hier die nackten Fakten: Pro Tag 2 Stunden länger schlafen 365 x 2 Stunden = 730 Stunden im Jahr = 30,4 Tage = ein ganzer Monat pro Jahr verpennt = in 12 Jahren ein verschlafenes Jahr = bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung der im Jahr 1980 geborenen Mädchen von 85 Jahren sind das rund 7 Jahre meines Lebens die ich nicht aktiv gestalten kann. Das hat mich erst ein bisschen erschreckt und dann geärgert. Aber zum Glück ist mir noch rechtzeitig eingefallen, dass mein Herr Freund ja sowieso früher stirbt, weil er älter und obendrein ein Mann ist. Und dass ich so oder so nichts an der Situation ändern kann, weil ich vom frühen Aufstehen Organschmerzen bekomme und die würden meine Lebenserwartung ganz sicher gehörig nach unten schrauben. katharina-bitzl


Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Manche suchen sie ein Leben lang vergeblich, unzählige Wellness-Buddhisten wollen sie meditativ entdecken: Die Eingangstür zum Nirvana, die irgendwo zwischen Jenseits und Diesseits liegt. Ich hingegen habe mein Nirvana längst gefunden. Täglich zwischen sechs und sieben Uhr morgens pendle ich irgendwo zwischen Traum und Erwachen, befinde mich auf der Schwelle zum Nichts – dank der „Snooze“-Funktion meines Weckers, die in meinem Handy auch „Schlummermodus“ heißt. Ist die „Snooze“-Taste einmal gedrückt, gewährt mir der Wecker immer wieder aufs Neue gnädig neun zusätzliche Minuten Halbschlaf. Das ist gerade lang genug, um noch nicht richtig wach zu sein und doch zu kurz, um wieder in den Tiefschlaf zu fallen – ich döse also bis sieben Uhr in einer Art Zwischenwelt jenseits von Traum und Realität. Eine tägliche spirituelle Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Der Nachteil: Im Grunde fehlt mir jeden Tag eine Stunde tiefer, erholsamer Schlaf. Ja, ich gebe zu, dass es eigentlich eine schlechte Angewohnheit ist. Allerdings wurde mir diese Eigenart quasi anerzogen. Solange ich noch zuhause gewohnt habe, ist es nämlich Mami gewesen, die – ganz offenkundig im exakten Neun-Minuten-Rhythmus – in mein Zimmer kam und vergeblich versuchte, mich zu wecken. Wie bei einem ordentlichen Wecker üblich, wurden ihre Weckrufe dabei solange kontinuierlich lauter, bis ich beim dritten oder vierten Mal vor Schreck aus dem Bett gehüpft bin. Mamis Aufgabe hat mittlerweile die „Snooze“-Funktion meines Weckers übernommen. Wenn auch nicht ganz so zuverlässig: Drücke ich im morgendlichen Wahn des spirituellen Hochgefühls versehentlich die falsche Taste, falle ich nach zehn Minuten zurück in den Tiefschlaf. Ein böses Erwachen ist dann programmiert. andreas-glas


Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als Kind bin ich einmal im Schlaf aus dem Hochbett gefallen – und sitzend auf einem Stuhl gelandet. Aufgewacht ist dabei nur meine zu Tode erschrockene Tante, die im unteren Bett schlief. Dieser komatöse Schlaf führt dazu, dass ich mein Weckerklingeln morgens prinzipiell als Teil einer äußerst aktiven Traum-Dramaturgie missdeute. Das penetrante Piepen und mein unterbewusster Schlag auf die 10-Minuten-Weitertaste dienen quasi als Auftakts-Tusch für den nächsten Akt, in dem ich dem Geschehen hinter geschlossenen Lidern noch mal eine neue dramatische Wendung verleihen kann. Das geht manchmal über eine Stunde lang so, bis der Punkt kommt, an dem es für das Frühstück dann doch wieder zu spät war. Pünktlich in die Schule, in die Uni, zur Arbeit habe ich es trotzdem immer geschafft – bis auf die wenigen Male, die ich tatsächlich erst zwei Stunden nach Unterrichtsbeginn schlagartig senkrecht im Bett saß. Wenn schon verschlafen, dann aber richtig, lautet mein Credo, an das ich mich seit vielen Jahren erstaunlich konsequent halte. Seltsamerweise habe ich mir mit 17 einen Nebenjob gesucht, der mich drei Jahre lang zum Frühaufstehen am Wochenende verdonnert hat. Ab 7 Uhr stand ich jeden verdammten Samstag auf dem Wochenmarkt und habe den quitschfidelen Rentnern aus der Nachbarschaft Gemüse verkauft, bevor ich selbst auch nur einen Schluck Kaffee runtergekriegt habe. Ich glaube, dass ich in Wahrheit die ersten zwei Stunden schlafend gearbeitet habe. Das Kassenklingeln hat das Weckerpiepen ersetzt und die Choreografie für mein Wochenmarkt-Wachkoma vorgegeben. Und keiner hat’s gemerkt. marie-piltz

Text: jetzt-redaktion - Illustration: Katharina Bitzl

  • teilen
  • schließen