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Horror-Urlaub: Die schwimmenden Inseln des Titicacasees in Puno
Reiseziel: Die schwimmenden Inseln des Titicacasees, Peru
Reisebegleitung: Alleinreisend
Horrorstufe: 9 von 10
Während meines Freiwilligendienstes in Ecuador hatte ich ein Zwischenseminar in Lima, Peru. Ich nahm mir eine Woche frei, um nach dem Seminar eine kleine Rundreise durch den Süden des Landes zu machen. Mein Traum von erfrischendem Pisco Sour, leckerem Ceviche und verwirrt dreinblickenden Lamas platzte allerdings bei einer Tour zu den schwimmenden Inseln in Puno, Peru. Meine schlimmste Urlaubserfahrung wurde die, bei der mir klar wurde, welchen Horror ich als Touristin anrichte.
Ich hatte bis dato den Titicacasee nur in Dokumentarfilmen gesehen. In einem Hostel in Arequipa wurde mir eine Tour empfohlen, die über den See führte. Also buchte ich prompt, fuhr über Nacht nach Puno und wartete morgens am Treffpunkt.
Dort hielt ein ruckelnder, weißer Van und der Tourguide rief: „Islas flotantes, floating islands!“ Ich stieg ein. Im Bus saß bereits eine Horde älterer Amerikaner*innen, die mit einem starken Südstaatenakzent sprachen. Neben mir saßen drei junge New Yorkerinnen, die mit ungewöhnlich piepsigen Stimmen ihre Worte langzogen. „Oh my gooood, I’m sooooo excited for the indigenous people“, sagte eine. Indigene? Ich gebe zu: Ich hatte mich überhaupt nicht informiert. Hätte ich geahnt, was mich auf dieser Tour erwarten würde, wäre ich noch aus dem fahrenden Van gesprungen.
„Less talking, more pictures. That’s what we’re here for“
Am Hafen stiegen wir in ein Boot. Es war eins von vielen. Unschwer konnte ich erkennen, dass die Tour zu den schwimmenden Inseln ein lukratives Geschäft ist. Unser Mitte-30-jähriger, peruanischer Tourguide erzählte uns von der Entstehung des Sees und dem Namen „Titicaca“. Wir würden ihn nämlich alle falsch aussprechen. Also sagten wir dem Tourguide im Chor „Titicaca“ nach und betonten das A ganz besonders.
Die schwimmenden Inseln sahen aus wie große Heuballen, die auf dem Wasser trieben. Als wir dort anlegten, winkten uns gleich vier füllige, kleine Frauen in traditioneller, bunter Tracht zu und riefen „Bienvenidos, Bienvenidas, Welcome, Welcome“. Ein Inselbewohner schnürte auf der anderen Seite der Inseln Schilfbündel zusammen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Plastikflaschen unter einigen der Bündel befestigt waren. Am Ufer lag verblüffend viel Müll. Vermutlich von den Touristen. Den nutzten die Inselbewohner*innen für ihre Konstruktionen also auch.
Vor uns breiteten die Indigenen Souvenirs aus, während der Tourguide über die Kultur der Uros erzählte. Eine ältere Amerikanerin beugte sich zu mir und flüsterte: „Less talking, more pictures. That’s what we’re here for.“ Ich schämte mich ganz schön für ihre Aussage, stand kurz daraufhin auf und ging um die Insel herum. Von dort aus konnte ich beobachten, wie das nächste Boot anfuhr und sich vier füllige, kleine Frauen in traditioneller, bunter Tracht an das Ufer stellten und „Bienvenidos, Bienvenidas, Welcome, Welcome“ riefen. Der Guide beorderte mich nach einigen Minuten zurück, damit ich das nächste Spektakel bewundern konnte.
Es gab keinen authentischen Austausch zwischen uns und den Inselbewohner*innen
Er sagte, dass die Indigenen über die Jahre viel von den Tourist*innen gelernt hätten. Enthusiastisch drehte er sich zu drei der Inselbewohnerinnen um und rief ihnen heiter zu: „Singt für uns! Singt für uns!“ Sie stellten sich vor unsere Tourigruppe, fingen an zu klatschen und sangen lustlos und desinteressiert auf vier oder fünf Sprachen bekannte Kinderlieder wie „Bruder Jakob“ und „Old MacDonald“. Es war mit Sicherheit nicht das erste Mal an dem Tag, dass sie für einen Schwarm unreflektierter Tourist*innen gesungen hatten.
Die Touris klatschten aufgeregt mit und riefen „Wow“ und „Bravo“. Als wären diese Menschen Zootiere, die zu unserer Belustigung zeigen müssen, wie viel sie von ihren Wärter*innen gelernt haben. Dann luden die Indigenen uns in ihre Häuschen ein. Die New Yorkerinnen sprangen auf und lichteten sich lasziv in der Mittagssonne neben den Schilfhäusern der Indigenen ab. Sie setzten sich in ihre Wohnzimmer und auf ihre Betten und suchten den besten Winkel für das Foto – alles im Hochkantformat für Instagram.
Von draußen schaute ich ihnen zu, weigerte mich allerdings, den Lebensraum der Bewohner*innen so zu stören. Ich sprach den Tourguide darauf an, dass wir doch viel zu stark in die Welt dieser Menschen eingreifen würden. Aber er antwortete mir, dass sie das so wollten. Ich verstand, dass der Lebensunterhalt dieser Menschen vom Tourismus abhängig ist, aber ich verstand das Konzept der Tour nicht. Es gab keinen authentischen Austausch zwischen uns und den Inselbewohner*innen. Sie wurden uns regelrecht vorgeführt. Wir waren „die Touris“ und sie „die Anderen“.
In dem Moment wünschte ich mir wirklich, ich wäre rausgeworfen worden.
Kurze Zeit später sprach mich der Tourguide noch einmal an: Ich hätte die Tour nicht bezahlt. Er rief hektisch bei der Agentur an, aber sagte letztlich, dass ich bei seiner Tour bleiben könnte. Offenbar wollte er die einzige kritische Stimme von seiner Tour verbannen. Denn ich hatte sehr wohl gezahlt und als ich mit der Agentur sprach, gab es gar kein Problem. Nach dem Mittagessen tanzten die Indigenen für uns. In dem Moment wünschte ich mir wirklich, ich wäre rausgeworfen worden.
Wir wechselten auf ein weiteres Boot und tuckerten 20 Minuten lang über den See, blieben aber quasi an der gleichen Stelle und drehten uns nur gelegentlich. Dafür wollte der Tourguide von jeder Person einen kleinen Obolus erhalten. „It’s a tourist trap“, sagte ein junger Niederländer zu mir. Aber wer saß hier wirklich in der Falle? Wir, die einmalig diese verquere Disneyshow über uns ergehen lassen mussten und sie zum Teil sogar richtig gut fanden? Oder die Indigenen, die ihren Lebensalltag dem Tourismus angepasst hatten?
Wir fuhren zum Festland zurück und auf dem Weg in die nächste Stadt beschäftigten mich bittere Gedanken zu Postkolonialismus und Massentourismus. Es ging mir nicht darum, die Einkommensquelle der Bewohner*innen der schwimmenden Insel in Frage zu stellen. Ich hätte mir nur gewünscht, dass diese Touren fair konzipiert worden wären und die involvierten Personen nicht aufgrund ihrer Lebenslage ausgenutzt wurden.