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Horror-Party: Lesenacht mit Tequila-Trinkspiel

Eigentlich wollte unsere Autorin bei der Lesenacht nicht so lange bleiben. Es kam alles anders.
Illustration: Jaqueline Kuhn

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Wir alle vermissen Partys – und vergessen dabei leicht, dass Feiern nicht immer nur spaßig ist. In dieser Serie erzählen wir deshalb von den schlimmsten Partys, auf denen wir in unserem Leben waren. Viel zu viel Alkohol, grauslich langweilige Verwandte, emotionale Tiefpunkte – es gibt ja viel, das eine Feier vermiesen kann. Falls du selbst von einer schlimmen Party erzählen willst: Schreib uns eine Mail an info@jetzt.de! 

Horrorstufe: 6/10

Center of Attention: Ein Literatur-Klassiker

Trinkverhalten: zu viel Tequila

Lesenacht in der Uni – wie unschuldig das klingt: nach nerdigen Geisteswissenschaft-Studierenden, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als ihren Freitagabend in einem stickigen Seminarraum zu verbringen, um sich zehn Stunden lang gegenseitig aus einem Literatur-Klassiker vorzulesen. Die schon Wochen im Voraus eifrig Buchseiten gescannt und die Kapitel an verschiedene Vorleser:innen verteilt hatten. Die Isomatten, dimmbare Lampen und Kuscheldecken mitbringen, denn vielleicht würden sie zwischendurch mal ein Nickerchen machen (die verpassten Kapitel könnten sie ja später noch nachlesen). Und genauso so unschuldig und brav war sie zunächst auch, die Lesenacht. Aber nur eine einzige Zutat versetzte alles in Chaos: Tequila. 

Ich weiß nicht mehr, ob ich die Idee für das Trinkspiel hatte, aber ich weiß, dass ich sie krass gut fand. Die Idee war simpel: In dem Buch, aus dem wir an dem Abend vorlesen wollten, kommt immer mal wieder ein spezieller Schnaps vor. Zu speziell, um ihn vom Fachschaftsbudget in großen Mengen kaufen zu können, aber mehr oder weniger ähnlich wie … Tequila. Immer, wenn der Name dieses Schnapses beim Vorlesen fiel, wollten wir  einen Shot davon trinken. Die Getränke musste man nicht bezahlen, man durfte stattdessen einen selbst gewählten Betrag spenden. Rückblickend hätte man echt ahnen können, dass das nicht gut gehen kann. Aber Menschen, die auf Lesenächte gehen, sind doch keine Menschen, die sich unkontrolliert mit Tequila abschießen, oder? Man sollte Literatur-Nerds wirklich nicht unterschätzen. 

Als der Abend der Tequila-Lesenacht anbrach, packte ich, nichts Schlimmes ahnend, Isomatte, Decken und Kissen ein und kündigte bei meiner Ankunft im umgestalteten Seminarraum vorsichtshalber an, „wirklich nur ganz kurz“ dabei sein zu wollen. Im Grunde begann alles denkbar harmlos und harmonisch. Ein milder Sommerabend. Durch die offenen Fenster fiel goldenes Licht in den Seminarraum. Eine (fast) romantische Atmosphäre. Wir hatten es uns mit Kaltgetränken und Pizza gemütlich gemacht. Und wir lachten. Viel sogar, weil manche meiner Kommiliton:innen ein ungeahntes Talent für das Vorlesen der Sex-Szenen des Buches an den Tag legten. Da waren die meisten noch nüchtern.

Die erste Eskalationsstufe: Diejenigen, die sich für den Abbau am nächsten Morgen eingetragen hatten, stahlen sich aus der Verantwortung. Nur ein guter Freund von mir, nennen wir ihn Gabriel, kniff nicht, und stand mit dem kompletten Abbau allein da: Also alle Getränke aufräumen, alle Behältnisse spülen, den klebrigen Boden wischen, Tische und Stühle aus dem Flur zurück in den Raum schleppen und so weiter. Richtig ungerecht, klar, dass ich mich da solidarisch zeigen wollte, in der Hoffnung, dass sich andere Lesenacht-Gäste es genauso machen würde. Aber da war ja noch der Tequila.

Und so kam es zur zweiten Eskalationsstufe: lallende Vorleser:innen. Es war schon etwas nach Mitternacht, als die meisten der braven Lesenacht-Besucher:innen entweder gegangen oder eingeschlafen waren. Dann kamen auf einmal zwei feierwütigen, „coolen“ Nerds, die freitagabends eigentlich etwas Besseres vorhatten – aber gehört hatten, dass es Alkohol for free gab, darunter Anton und Sina. Das Schnaps-Stichwort fiel zu diesem Zeitpunkt der Lektüre zwar nicht mehr so oft, aber das war egal. Denn diejenigen, die mittlerweile ein, zwei, drei Tequila-Shots intus hatten, brauchten kein Stichwort mehr, um weiter zu trinken.

Auf dem Weg zu den Toiletten wären wir fast in die dritte Eskalationsstufe getreten: Erbrochenes im Uni-Flur

Gabriel und ich (beide mehr oder weniger nüchtern) blieben, bis außer uns nur noch Sina und Anton (beide hackedicht) da waren. Wir dachten noch: Geil, dann haben wir zwei Leute, die uns beim Abbau helfen! Und weil wir nur noch zu viert waren, könnte der Abbau ja auch theoretisch bald stattfinden. Das erhoffte ich mir zumindest, weil ich zu dem Zeitpunkt schon langsam müde wurde – es war da ungefähr drei Uhr morgens. Aber falsch gedacht: Anton und Sina waren zu betrunken, um jetzt schon aufzuhören.

Was mich bis heute an dem Abend irritiert: Auch in der kleinen Runde wurde der Roman konsequent weitergelesen. Lallend. Und laut. Eine komplett neurotisch wirkende Lese-Performance. Als Sina einen Versuch startete, aufzustehen, um auf die Toilette zu gehen, wurde uns final klar, dass sie uns mehr Arbeit als Hilfe sein würde: Sina fiel mehr, als dass sie ging. Hilfsangebote lehnte sie jedoch vehement ab. Ein klarer Fall von Trunkenheits-Leugnung. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie vielleicht sogar das Buch mitgenommen und weiter laut vorgelesen – nur um zu beweisen, dass sie noch gar nicht sooo betrunken war. Als sie weg war, fragten wir Anton, ob er uns jetzt schon beim Aufräumen helfen könne. Er willigte ein, hob eine abgeknabberte Wassermelonenschale vom Boden auf, schmiss sie in den Papiermüll – und torkelte ebenfalls in Richtung Toilette. 

Gabriel und ich räumten also allein die Essensreste auf (inklusive angemessener Mülltrennung), sammelten Gläser und Getränke ein, spülten die große Kaffeemaschine, als uns die Abwesenheit der beiden auf einmal verdächtig lang vorkam. 

Auf dem Weg zu den Toiletten wären wir dann fast in die dritte Eskalationsstufe getreten: Erbrochenes im Uni-Flur. Vermutlich von Anton oder Sina. Zu dem Zeitpunkt hätte ich am liebsten geweint. Aus Frust und aus Ekel. Und weil ich schon so erschöpft und müde war, dass mir im Taumel eine dramatische Reaktion irgendwie angemessen erschien. Ich glaube aber, dass ich stattdessen gelacht habe, weil Gabriel die Situation mit all ihrem Unglück einfach absurd lustig fand. Im Treppenhaus begegnete uns dann Anton, der sofort die Urheberschaft des dritten Alarmsignals leugnete, uns noch kurz halbherzig bei der Suche nach Sina half, um dann doch wenig später einen Abgang zu machen. 

Nachdem sie sich erst vor uns zu verstecken versuchte, fanden wir letztlich auch Sina. Wir platzierten sie auf der einzigen Matratze, die neben den zahlreichen Isomatten noch zur Gemütlichkeit der Lesenacht beigetragen hatte und hofften, dass sie sich nicht (nochmal?) übergeben würde. Ich war erst ein bisschen neidisch darauf, dass sie sich einfach hinlegen und ein Nickerchen machen konnte. Dann fiel mir ein, wie peinlich ihr das alles morgen sein würde und der Neid legte sich. Wir deckten Sina zu, sie schlief sofort ein. Draußen wurde es hell. 

Ich wischte das Erbrochene auf, während Gabriel Stühle und Tische wieder zurück in den Seminarraum räumte. Dabei lästerten wir über unsere treulosen Mitstudierenden. Wenigstens ein bisschen Frust ablassen. Als wir fertig waren, erschöpft und mit Muskelschmerzen vom vielen Möbelschleppen, stellte Gabriel dann auch noch fest, dass Anton seinen Kuchen geklaut hatte! Gabriel hatte ihn von einer anderen Veranstaltung mitgebracht. Der Kuchen war das einzige, worauf er sich in den letzten Stunden dieser Nacht gefreut hatte. Und als wir um acht Uhr morgens gemeinsam kuchenlos Richtung U-Bahn liefen (die immer noch torkelnde Sina im Schlepptau), dachten wir, was viele Menschen vor uns schon gedacht hatten: Nie wieder Tequila. 

*Unsere Autorin möchte anonym bleiben, damit ihre Uni nicht erkannt wird – ist der Redaktion aber namentlich bekannt. 

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